In Indien sind E-Zigaretten seit September 2019 komplett verboten. Die allgemeine Gesundheit soll mit dem Verbot verbessert werden. Und das, obwohl jährlich rund 900.000 Menschen an den Folgen von „klassischem“ Tabakkonsum sterben und kaum jemand sich E-Zigaretten leisten kann. Von Alexandra Keller
Nur weil Indien echt weit weg und total anders ist, löst das Bild kaum Reaktionen aus. Das gängige Bild von Kindern, die auf den Straßen des großen Subkontinents Zigaretten rauchen. Zigaretten oder sogenannte Bidis, bei denen ein Blatt des Tendubaumes mit Tabak und eventuell auch Kräutern gefüllt, angezündet und geschmaucht wird. Bidis oder Beedis werden bis heute mit der Unabhängigkeit Indiens von England in Verbindung gebracht. Gandhi hatte dieses Bild stark geprägt, als er indische Produkte und die indische Industrie politisch unterstützte, weswegen es auch Intellektuelle bald vorzogen, mit dem Rauchen von Bidis ein entsprechendes Rauchzeichen zu setzen. Die Arbeiter auf den indischen Tabakfarmen, die ab den 17. Jahrhundert beackert wurden, sollen die Bidis erfunden haben und als Indien dann Teil des britischen Kolonialimperiums war und nicht mehr sein wollte, wurden Bidis zu einem glühenden Zeichen des indischen Nationalbewusstseins.
Land der Raucher. Heute ist Indien der drittgrößte Tabakproduzent der Welt. Im Jahr 2017 wurden in China 2.391.000 Tonnen, in Brasilien 880.881 Tonnen und in Indien 799.960 Tonnen Tabak geerntet – gefolgt von den USA, wo 322.120 Tonnen dortselbst geernteter Tabak gezählt wurden. Die Zahlen zeigen, dass die Tabakindustrie für Indien einen hohen Stellenwert hat, 82 Milliarden Zigaretten werden jährlich in Indien hergestellt und auch der Konsum ist enorm. Rund 106 Millionen rauchende Erwachsene zählt das Land. Die rauchenden Kinder dürften die Zahl erhöhen und eine Studie des Jahres 2008 hatte ergeben, dass in Indien jährlich 900.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums sterben. Eine unheimliche Menge an Indern raucht sich demnach jährlich zu Tode und die Studienautoren hielten fest, dass jeder fünfte Tod bei Männern und jeder zwanzigste Tod bei Frauen im Alter zwischen 30 und 69 Jahren auf den Tabakkonsum zurückzuführen ist.
Als die Studie veröffentlicht worden war, hatte der damalige indische Gesundheitsminister Schritte der Regierung gegen den Tabakmissbrauch angekündigt und festgehalten, dass vor allem Arme und Analphabeten über die mit dem Rauchen verbundenen Risiken aufgeklärt werden sollten.
Totalverbot. Ob oder wie die Initiative der Regierung gegen den Tabakmissbrauch fruchtete, ist nicht bekannt. Vor dem Hintergrund der Todesraten, die an eine Pandemie erinnern und im Katastrophenfall alle europäischen Spendentelefone erhitzen würden, ist die jüngste Entscheidung der indischen Regierung so erstaunlich wie bizarr. Im September 2019 wurden E-Zigaretten in Indien komplett verboten. Wer E-Zigaretten herstellt, importiert oder exportiert, sie lagert oder verkauft, muss mit richtig hohen Geldstrafen rechnen oder einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr. Wiederholungstäter drohen bis zu drei Jahre Haft.
Die Finanzministerin des Landes und nicht der Gesundheitsminister verkündete das totale Dampf-Verbot. Apropos Gesundheitsminister. Der hat die Einwohner der Smog-Stadt Neu-Delhi Anfang November 2019 erst aufgefordert, mit dem Essen von Gemüse die Folgen des Feinstaubs zu bekämpfen. Die indische Hauptstadt ist derzeit die Stadt mit den höchsten Smogwerten der Welt. Und behauptet wird, dass, wer in der ebenfalls nicht kleinen, zusammen mit dem Einzugsgebiet fast 29 Millionen Einwohner zählenden Stadt Mumbay (früher Bombay) einen Tag lang die Luft einatmet, gleich belastet wird, als würde sie oder er 100 Zigaretten rauchen.
Vieles in Indien wirkt durch die europäische Brille betrachtet skurril. Und vor dem Hintergrund der gesundheitsschädlichen Smog-Folgen oder der 900.000 Todesfälle eben auch das E-Zigaretten-Verbot. Finanzministerin Nirmala Sitharaman begründete die Entscheidung der Regierung damit, dass der Konsum von E-Zigaretten vor allem für die Jugend schädliche Folgen hätte. „Es ist stark in Mode gekommen, sie auszuprobieren und regelmäßig zu konsumieren“, wurde die Finanzministerin in der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) zitiert, wo auch eine Twittermeldung wiedergegeben wurde, laut der sich die Regierung mit dem Verbot eine Verbesserung der allgemeinen Gesundheit erhoffe.
Absurde Relationen. Der durchaus ehrenwerte Ansatz bekommt dann endgültig einen Haken, wenn klar wird, dass E-Zigaretten in Indien als Luxusprodukt gelten, die in Indien selbst auch nicht produziert werden. Im Gegensatz zum Tabakkonsum existieren keine Zahlen darüber, wie viele Inder überhaupt E-Zigaretten konsumieren. Zudem sind elektronische Verdampfer für indische Verhältnisse extrem teuer, viel teurer jedenfalls als Tabak-Zigaretten.
Indien ist das bislang einzige Land, das einen kompletten Bann für E-Zigaretten beschlossen hat. Die Verbote, welche immer mehr US-amerikanische Bundesstaaten aussprechen, betreffen die Aromastoffe in den Liquids, die mit E-Zigaretten verdampft werden. Zeitgleich mit Indien hat etwa der Staat New York alle Aromastoffe verboten – alle außer den Menthol- oder Tabakgeschmack. *
Andrew Cuomo, der Gouverneur des Bundesstaates New York, hatte sich für das Gebot sogar eines Notfall-Gesetzes bedient und festgehalten: „Das ist eine Gesundheitskrise, und sie endet heute.“ Wegen des Dampfens von gepanschten und mit diversen Ölen versetzten THC-Liquids, die auf dem Schwarzmarkt illegal gekauft wurden, waren in den USA sieben Todesfälle zu beklagen gewesen und zahlreiche Politiker sahen sich zum unmittelbaren Handeln gezwungen. Schätzungsweise gibt es weltweit 50 Millionen Menschen, die dampfen, und rund eine Milliarde, die Zigaretten rauchen. Laut WHO sterben jährlich acht Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums. Viele davon eben in Indien, wo die absurd wirkende Relation zwischen Dampfern und Rauchern mit dem E-Zigarettenverbot einen skurrilen Gipfel erklimmt.