Ganz Österreich würde über Nacht im Chaos versinken, würden sie nicht funktionieren. Würde, würde – der doppelte Konjunktiv ist nur möglich, weil die kommunalen und kritischen Infrastrukturen des Landes trotz Corona-Krise so reibungslos arbeiten. Lange, bevor das Virus das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben lahmlegte, wurde in den Unternehmen der Krisenmodus aktiviert.
Von Alexandra Keller
Mit dieser Kraft hatten sie nicht gerechnet – schlicht, weil sie damals nicht mit ihr rechnen mussten. Als sich Bund und Länder der Bundesrepublik Deutschland im November 2007 dazu anschickten, richtig groß „Grippe zu üben“, gab es weder Facebook noch Twitter. Aktuell – respektive seit Beginn der Corona-Krise – ist eindrücklich zu beobachten, welche Wirkung in Blitzesschnelle millionenfach verbreitete Fotos oder Meldungen haben können. Panik wecken die einen, Zusammenhalt fördern die anderen, ihre Wirkung verfehlen sie selten und Fake News richtigzustellen, fordert höchsten kommunikativen Einsatz. 2007 war das, wie schon erwähnt, anders. Das Szenario aber, welches der breit angelegten Krisen-Simulation zugrunde lag, und rund 3.000 Beamte aus sieben deutschen Bundesministerien, dem Kanzleramt und sieben Bundesländern in den Krisenmodus versetzte, ähnelt frappant dem realen Szenario Gegenwart.
Seit 2004 finden in Deutschland regelmäßig sogenannte „Lükex“-Übungen statt, wobei Lükex für Länder- und ressortübergreifende Krisenmanagementübung steht. Die Lükex-Übung des Jahres 2007 widmete sich einer potenziellen Grippe-Pandemie beziehungsweise einer landesweiten Epidemie, ausgelöst durch einen neuartigen Erreger aus Asien. Am Drehbuch dafür hatte das deutsche Robert Koch-Institut mitgeschrieben, 14 Monate war an dem Bild getüftelt worden, dessen Mittelpunkt Millionen Erkrankte und Zehntausende Tote bildeten. Eine Sterblichkeitsrate von 10 Prozent war die Annahme.
Den kritischen Infrastrukturen, kurz „Kritis“ genannt, wurde mit dieser Lükex-Übung auf den Zahn gefühlt und die Auswertung ergab, dass das Gesundheitssystem einem Szenario wie diesem nicht standhalten würde. Nachdem die Letalität diese Szenarios weit über jener des Coronavirus lag, darf diesbezüglich in Deutschland und anderswo gehofft werden. Nicht mit Hoffnung, sondern mit Verlass durfte damals und darf auch heute hingegen auf die übrigen kritischen Infrastrukturen gebaut werden. Die Annahme der Pandemie war für die deutschen „Kritis“ die größtmögliche Herausforderung. Sie haben ihn bestanden. So, wie ihn die kritischen Infrastrukturen Österreichs im Ausnahmezustand der Corona-Krise bestehen. Der reibungslose Ablauf bleibt trotzdem ein Stresstest für die Alltagshelden, die abseits der Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung das Rad am Laufen halten.
In der DNA. „Man muss sich keine Sorgen machen: Diese Unternehmen haben es in ihrer DNA, die Versorgung aufrechtzuerhalten“, wurde ein Pressesprecher der EVN AG, des größten Strom-, Gas- und Wärmeversorgers in Niederösterreich, jüngst in der Tageszeitung „Der Standard“ zitiert. Die Stromversorgung ist der Schlüssel für so gut wie alle Bereiche des Lebens. Wer sich je mit Blackout-Szenarien beschäftigt hat, und weiß, welch dramatischen Folgen ein länger andauernder, flächendeckender Stromausfall hat, kann nachvollziehen, welche Hauptrolle die verlässliche Energieversorgung spielt. „Die Unternehmen der österreichischen E-Wirtschaft sind im Zuge der aktuellen Krise durch Covid-19 mehrfach gefordert. Einerseits stellen wir mit vollem Einsatz den reibungslosen Betrieb des Stromsystem sicher. Gleichzeitig tragen wir als Betreiber von kritischer Infrastruktur in Krisenzeiten große soziale Verantwortung – dessen sind wir uns bewusst. Eine sichere Versorgung aller Österreicherinnen und Österreicher mit Strom ist daher unsere oberste Priorität – ohne Wenn und Aber“, betonte Leonhard Schitter, Präsident von Oesterreichs Energie, der Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft, die krisenfeste Schlagkraft derselben.
Vor diesem Hintergrund haben sich beispielsweise 53 Mitarbeiter von Wien Energie freiwillig in Isolierstationen der Kraftwerke zurückgezogen, um den Betrieb der Kraftwerke und Müllverbrennungsanlagen zu garantieren. Auch die heimische Gasinfrastruktur zeigt sich bestens gerüstet – für Krisen, die länger dauern. So wurde betont, dass 70 Prozent der Gasspeicher gefüllt sind und Peter Weinelt, Obmann des Fachverbandes Gas, Wärme und stellvertretender Generaldirektor der Wiener Stadtwerke, hielt zum fast vollen Speicher fest: „Damit kann die Energieversorgung mit Strom und Gas im Ernstfall für mehrere Monate aufrechterhalten bleiben.“
Die Daseinsvorsorge beziehungsweise Grundversorgung fällt nicht vom Himmel. Sie zählt zum überwiegenden Teil zum breiten Verantwortungsspektrum der Städte und Gemeinden, für die es selbstverständlich ist, die Krisenbewältigungs-Maßnahmen des Bundes mitzutragen. „Doch langfristig sollte daran gedacht werden, im Sinne eines europäischen Rettungsschirmes auch die kommunale Ebene abzusichern, die durch ihre Infrastruktur die wichtigste Basis für die lokale und regionale Wirtschaft ist“, betonte der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig in seiner Funktion als Präsident des Österreichischen Städtebundes mit Blick auf die sich rasch leerenden kommunalen Kassen.
Auch in diesem Bereich macht Covid-19 auf krankende Ebenen des System Österreich aufmerksam, das an vielen Ecken danach schreit, nach der Krise anders aufgestellt zu werden – besser und gerechter. Ludwig wies beispielsweise auf die Ergebnisse des aktuellen SORA-Städtebarometers hin, laut dem 80 Prozent der BürgerInnen angaben, es sei wichtig, dass diese Leistungen in städtischer Hand bleiben. Über 90 Prozent hatten angegeben, dass sie die Leistungen wie Wasserversorgung oder Müllentsorgung schätzen, und Ludwig stellte klar: „Die kommunale Grundversorgung ist mehr als eine Serviceleistung: Sie bildet das Rückgrat für einen Alltag, der plötzlich alle sozialen Kontakte unterbindet und damit für viele Menschen mit einem großen Unsicherheitsgefühl einhergeht. Eine funktionierende Grundversorgung ist daher auch vertrauensbildend für alle Bürgerinnen und Bürger.“
Das Rückgrat. War die Wertschätzung gegenüber dem, wofür die rund 70.000 Gemeindebediensteten und die Mitarbeiter der kommunalen Versorger schon vor Corona gar nicht schlecht, so ist sie „mit Corona“ geradezu in die Höhe geschnellt. Vor allem in Tirol, dem viel zitierten Hotspot der Ausnahmezeit, wo mit der Quarantäne aller Tiroler Gemeinden ab Mitte März 2020 verschärfte Verhältnisse herrschten – für Kommunen wie Kommunalbetriebe. Gemeindegrenzen durften seither nicht mehr ohne nachweislich triftigen Grund überschritten werden, die Menschen waren großteils zu Hause, oft schon unheimlich anmutende Ruhe herrschte auf den Straßen und kontrollierte Betriebsamkeit nur an vereinzelten Punkten des Lebens. Wie beispielsweise in jenen Geschäftsbereichen der Innsbrucker Kommunalbetriebe AG (IKB), die zu den „Kritis“ der Tiroler Landeshauptstadt und der von der IKB versorgten Umlandgemeinden zählen. „Zwar nicht auf Virus-Pandemien angelegt, aber auf diese Situation übertragbar, wurden seit vielen Jahren schon so umfassende wie vielfältige Maßnahmen zum Schutz der kritischen Infrastrukturen umgesetzt“, berichtet IKB-Vorstandsvorsitzender Helmuth Müller aus dem Herzen des Unternehmens und hält fest: „Unser Krisenmanagement haben wir bereits am 24. Februar 2020 aktiviert. Dadurch konnte auch sehr rasch und in größtmöglichem Ausmaß dafür Sorge getragen werden, dass Kontakte zwischen Mitarbeitern untereinander sowie persönliche Kontakte mit Kunden unterbunden wurden.“ Zu Beginn der Krise hielt der Einsatzstab tägliche, seit Anfang April 2020 jeden zweiten Tag telefonische Lagebesprechungen ab und das Management befindet sich dabei in ständigem Austausch mit den Behörden des Landes und der Stadtregierung.
Am 24. Februar 2020 war im übrigen Land noch keine Rede von Krise, der Leitartikel der Tiroler Tageszeitung widmete sich an diesem Tag dem ewig leidigen Landesthema des Transitkampfes und nur in homöopathischen Dosen war das Coronavirus Thema. Die Alarmglocken beim kommunalen Dienstleister schrillten schneller. Als die Alpenwelt diesbezüglich noch in Ordnung schien, haben die IKB schon damit angefangen, beispielsweise einen Großteil der Büroarbeitsplätze Homeoffice-tauglich zu machen. Das digitale Grundgerüst des Unternehmens – mit ausgeklügelter IT und eigenem Glasfaser-Internet – bewährte sich auch in anderen Bereichen. Vor allem in der rund um die Uhr pulsierenden Netzleitstelle, in der alle relevanten Informationen des IKB-Stromnetzes zusammenlaufen und in Windeseile auf Störungen reagiert werden muss. Innerhalb von zwei Tagen wurde dort beispielsweise ein zusätzlicher Wartenstandort eingerichtet. Damit wurden nicht nur die Mitarbeiter separiert und geschützt, sondern auch gewährleistet, dass eine Warte immer besetzt sein kann, sollte die andere wegen eines Covid-19-Falles geschlossen werden müssen. Wie in der Leitstelle, so gibt es auch im Bereich der Stromerzeugungs-Anlagen zwei komplett getrennte Mitarbeiterstandorte, wo dafür Sorge getragen wird, dass der laufende Kraftwerksbetrieb aufrechterhalten wird.
Am Kraftwerk Untere Sill war die Situation besonders knifflig, wurde der Standort doch vom Krisenmodus mitten in den finalen Revisionsarbeiten überrascht. Der Maschinensatz des Kraftwerkes, der für eine Jahreserzeugung von fast 50 Millionen Kilowattstunden verantwortlich ist, war dafür bereits im November 2019 vollkommen zerlegt worden und die Mitarbeiter vor Ort waren nun beim Zusammen- bzw. Wiederaufbau auf sich alleine gestellt, konnten bzw. durften ursprünglich dafür vorgesehene Obermonteure doch nicht mehr anreisen. Aus der Belastungs- wurde rasch eine erfolgreiche Bewährungsprobe für das betriebsinterne Know-how.
Alles fließt. Ununterbrochen und in gewohnter Qualität fließen muss nicht nur der Strom, sondern auch das Trinkwasser für die rund 127.000 Einwohner der unter Quarantäne stehenden Landeshauptstadt. Damit dieser Fluss nicht unterbrochen wird, werden die 12 Quellen, zwei Brunnen, 14 Speicherbehälter und das rund 450 Kilometer lange Rohrnetz laufend kontrolliert. Krise hin oder her, das Wasser muss erst zu den Kunden hin, um am Ende des IKB-Kreislaufes in der Kläranlage Rossau gereinigt zu werden. Neben Innsbruck verlassen sich weitere 14 Gemeinden darauf, dass der „Gewässerschutz“, der die Grundaufgabe der Kläranlage ist, gewährleistet wird. Auch dort arbeiten die Mitarbeiter in zwei Gruppen, um im Fall der Ansteckungs-Fälle den Betrieb aufrechterhalten zu können. Mit der Abfallentsorgung wird der situative Corona-Blick in die „Kritis“ des größten kommunalen Dienstleistungsunternehmens Tirols abgerundet. Neben einem umfassenden Maßnahmenpaket für den Schutz der Mitarbeiter werden alle Partien zeitversetzt in die Stadt geschickt, um die dort täglich anfallenden rund 88 Tonnen Restmüll, 41 Tonnen Biomüll und 33 Tonnen Altpapier abzuholen. Die Menge ist enorm und es braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, was wäre, wenn die Entsorgung nicht funktionieren würde.
Es ist wohl eine der positivsten Seite dieser Krise, dass die Selbstverständlichkeit, mit welcher Strom fließt oder Wasser und Abwasser genauso entsorgt wird, wie Abfall, nicht mehr so selbstverständlich gesehen wird. „Die Mitarbeiter verspüren vermehrt den Dank der Bevölkerung. Diese steigende Wertschätzung motiviert sie. Sie tragen schließlich in dieser außerordentlichen Situation eine große Verantwortung, damit das Alltagsleben weiterhin funktioniert“, ist IKB-Chef Müller stolz darauf, wie seine Mitarbeiter den Stresstest bestehen. Zu Recht.