Österreich ist ein Musikland und Wien ist die Welthauptstadt der Musik. Seit jeher sind diese Vorstellungen ein wichtiger Bestandteil vom Selbstbild der Österreicher. Aber stimmen sie überhaupt? Wien hat seine Staatsoper, Salzburg seine Festspiele, aber wie schaut es abseits vom Wallhall der hohen Kultur aus? Stimmen die viel gehörten Unkenrufe, dass immer weniger Österreicher selber Musik machen? Von Michael de Werd
Laut Harald Huber, dem Vorsitzenden des Österreichischen Musikrats, ist die Ausgangslage eigentlich gar nicht so schlecht: „Wir haben hervorragende Musikschulen mit insgesamt 200.000 Schülern – das ist so viel wie in den AHS. Trotzdem kommt diese Bildungsleistung in den Statistiken gar nicht vor. Es ist nur ein Freizeitvergnügen, das man nicht ernst nimmt.“ Das würde sich an den Schulen widerspiegeln: „In den Volksschulen haben wir oft die Situation, dass die Lehrer und Lehrerinnen nicht entsprechend ausgebildet sind und auch in den Mittelschulen kommen oft fachfremde Lehrkräfte zum Einsatz.“
Vorzeigeland Österreich. Obwohl er nicht glaubt, dass die Situation schlechter ist als in anderen Ländern, würde Huber sich wünschen, dass Österreich mit seiner reichen Tradition öfter als Vorzeigeland auftreten würde: „Wir sollten unsere Qualitäten auch anderen Ländern und Regionen zur Verfügung stellen und beim Kulturexport viel aktiver sein als bisher.“
Integration durch Musik. Ein Musterbeispiel für das, was Musik bewirken kann, sind die. Musikvolksschulen, die es seit über 30 Jahren als Schulversuch gibt. Eine befindet sich in Strass im Zillertal. Mit insgesamt 29 Schülern ist die Schule eher übersichtlich. Dafür wird umso fleißiger musiziert. „Wir fangen in der Früh schon an mit Singen“, erzählt Direktorin Irmgard Senn. „Nicht immer, aber oft sind es religiöse Stücke, weil wir auch bei den Messen singen.“ Zwei Drittel der Schüler spielen ein Musikinstrument.
Laut Senn hat der Musikunterricht aber auch wichtige Nebeneffekte: „Durch das gemeinsame Musizieren sind die Kinder teamfähiger. Sie konzentrieren sich besser und weil wir alles auswendig machen, wird ihre Gedächtnisleistung gestärkt.“ Ob eine Musikvolksschule funktionieren kann, würde allerdings stark von den involvierten Personen abhängen: „Im Vorjahr haben wir das Musical die Kleine Hexe aufgeführt, wofür ich zehn Musikstücke geschrieben habe. Da wir nur ein kleines Dorf sind, musste alles bis zu den Dekors und Kostümen von Freiwilligen gemacht werden.“
Wie es weitergehen wird mit den Musikvolksschulen, ist ungewiss. Vor zwei Jahren wurde die Verantwortung den Ländern überlassen. „Hier in Tirol werden sie weiterhin unterstützt, aber anderswo schaut es nicht so gut aus“, meint Martin Waldauf, der Fachinspektor für Musikerziehung in Tirol. Gerade in Schulen mit einem hohen Migrantenanteil würde es sich laut Waldauf sehr positiv auf die Integration und den Spracherwerb auswirken: „An solchen Schulen achten wir darauf, dass in den Musikklassen 50 % der Kinder einen Migrationshintergrund haben. Sonst hätten wir ja wieder eine Zweiklassengesellschaft.“
Ein Orchester für erwachsene Schüler. Wie wichtig Musik für Kinder auch sein mag, manchmal haben es aber gerade die Älteren am schwersten. Da in Wien an den normalen Musikschulen nur Kinder und Jugendliche aufgenommen werden, sind Erwachsene, die ein Instrument lernen wollen, auf Privatschulen angewiesen. „Auch wir müssen die Kinder vorreihen“, erzählt Gundi Dokalik, die an der Johann-Sebastian-Bach-Musikschule Oboe unterrichtet.
Vor ein paar Jahren gründete Dodalik den Musikclub, wo ältere Schüler gemeinsam musizieren können: „Wir hatten Orchester für Kinder und Jugendliche, aber nicht für Erwachsene. Es gibt zwar Amateurorchester, aber das Problem ist, dass man dafür schon ziemlich gut sein muss.
Die Kulturbegabung der Wiener. In wenigen Jahren ist der Musikclub zu einem richtigen Orchester ausgewachsen, er wird geleitet von Anja Lichtenberger. „Ich habe jahrelang mit Jugendorchestern gearbeitet“, erzählt Lichtenberger. „Das Problem ist, dass Jugendliche nicht immer wollen, während Erwachsene freiwillig zur Probe kommen und absolut gewillt sind, das Beste rauszuholen.“ Früher unterrichte sie an einer Waldorfschule: „Da wurde auch im normalen Unterricht jeden Tag gesungen, geflötet und musikalisch gearbeitet. In den öffentlichen Schulen ist es eigentlich viel zu wenig.“
Trotzdem sieht die gebürtige Holländerin auch positive Seiten: „Ich habe bei den Wiener Kindern immer eine Art Kulturbegabung festgestellt, weil sie damit aufwachsen. In Deutschland oder Holland ist es weitaus mühevoller, ihnen Grundaspekte oder Grundkenntnisse beizubringen.“
Popmusik: aus der Garage in die Akademie. Wenn es aber einen Bereich gibt, worin der Musikunterricht einen richtigen Aufschwung erlebt hat, dann ist es die Popmusik. Vorbei sind die Zeiten, wo nur autodidaktisch in der väterlichen Garage gejamt wurde. Die erste Adresse für den angehenden Popmusiker ist die Popakademie im Wiener Gasometer, die u.a. eine neunjährige Ausbildung anbietet. „Wir bemerken jedes Jahr, dass Kinder die ein Instrument lernen, immer schneller ein bestimmtes Niveau erreichten“, erzählt Moritz Pedarnig, der Leiter der Akademie. Bisher wurde die Ausbildung auch positiv wahrgenommen: „Ein Freund von mir unterrichtet am Gymnasium, und hat er mich schon ein paarmal gefragt, ob ich nicht einen Schlagzeuger für eine Band habe.“
Ohne finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde würde die Popakademie laut Pedarnig nicht überleben können. Auch wenn er zufrieden ist mit den Entwicklungen, ist es für ihn aber nur ein Anfang: „In Österreich haben wir noch immer einen historisch gewachsenen Schwerpunkt auf die klassische Musik. Es muss noch viel passieren, damit auch die ernsthafte Wahrnehmung der Popmusik gesteigert wird. Man muss immer wieder aufzeigen: ‚Wir sind hier und hier passiert etwas.‘“