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Dieser Artikel sollte sich um den „Green Deal“ drehen, den mächtigen Plan der Brüsseler EU-Kommission, den Kontinent bis 2050 sozusagen von CO2 zu befreien.
Von Katharina von Tschurtschenthaler
Die Antwort auf die Interviewanfrage kam umgehend, aber kurz und knapp: „Der Green Deal ist derzeit unser geringstes Problem. Bitte sprechen wir darüber nach der Corona-Krise, hoffentlich bald.“ Die Zeilen stammen aus der Feder von Erich Frommwald, Geschäftsführer der „Kirchdorfer Industries“, internationaler Baustoffhersteller mit Sitz in Kirchdorf, Oberösterreich, und rund 1800 Mitarbeitern. Ich wollte von ihm wissen, welche Herausforderungen ihn umtreiben, etwa die Angst vor Wettbewerbsverlust und Abwanderung seiner Produktion ins Ausland. Doch Frommwald hat verständlicherweise gerade andere Sorgen, als über die nachhaltige Entwicklung seines Unternehmens zu plaudern.
Meine Recherche begann Anfang März, ich habe mit der österreichischen Wirtschaftskammer gesprochen, mit Klimaforschern und Umweltaktivisten. Seite um Seite schrieb ich voll in meinem Notizbuch. Und dann kam Corona, und es wurde still um den Grünen Deal. Im Dezember schauten viele Unternehmen europaweit noch sorgenvoll gen Brüssel. Kurz vor Weihnachten kam nämlich die erste Rohfassung für das Mammutprojekt „Green Deal“ ans Licht – „ein beeindruckender Entwurf, in dem allerdings wichtige Bestandteile fehlen“, kommentiert Stephan Schwarzer, Energie-Experte der WKÖ den Text.
Dann schlich sich das Virus auf unseren Kontinent und mittlerweile steht bei vielen Unternehmen vor allem eines im Vordergrund: das blanke Überleben. Es geht darum, Arbeitsplätze zu erhalten, Lieferketten aufrechtzuerhalten, Anträge für Corona-Soforthilfen auszufüllen. Da bleibt wenig Zeit, um sich mit der Abschaffung von fossilen Energien und der Investition in wasserstoffbetriebene Busse auseinanderzusetzen.
Rezession in Europa. Zyniker sagen zwar, dass schon die Corona-Krise selbst ein super Klimaschutz-Programm sei, weil etwa Flugzeuge am Boden bleiben, Angestellte im Homeoffice arbeiten und Fabriken wochenlang komplett dichtgemacht haben – die CO2-Emissionen sind im Vergleich zum Vorjahr bis Anfang April Schätzungen zufolge um 17 Prozent zurückgegangen. Doch kriegt man den Klimawandel so in den Griff? „Nein“, sagt Fatih Birol, der Chef der Internationalen Energieagentur.
Denn der Emissionsrückgang in diesem Jahr hat einen hohen Preis: Europa leidet unter der schlimmsten Rezession seit vielen Jahrzehnten.
In Österreich sind derzeit 523.300 Menschen arbeitslos, das sind rund 123.000 mehr als vor Corona. Wie sehr der Handel unter der Pandemie leidet, hat eine gerade veröffentlichte Studie des österreichischen Handelsverbandes herausgefunden. Zugegeben, es gibt auch eine gute Nachricht: Neun Prozent der 161 befragten Handelsunternehmen erwarten eine leichte Steigerung des Umsatzes. Das wars dann aber auch schon mit den „Good News.“ 85 Prozent der inländischen Händler rechnen mit Corona-bedingten Einbußen. Ein Drittel der Befragten bewertet die staatlichen Unterstützungen als „ungenügend“. Am meisten mache dem Handelsverband die Planungsunsicherheit zu schaffen. „Mit Blick auf die Kaufkraft, aber auch mit Blick auf die Bürokratie rund um die Auszahlung der Staatshilfen. Das darf weder andauern noch sich jemals wiederholen“, beklagt Handelsverbands-Geschäftsführer Rainer Will.
Auch jetzt schaut ganz Europa wieder nach Brüssel – die EU muss es richten. Dort wird nämlich gerade der so genannte „recovery fund“, der Wiederaufbau-Fonds, ausgehandelt. Und da fliegen die Fetzen. Wie so oft gibt Brüssel bei der Corona-Bekämpfung nicht gerade die beste Figur ab. „Wir können diese Pandemie-Krise in eine Chance verwandeln,“ verspricht etwa Ursula von der Leyen, als Präsidentin der EU-Kommission fungiert sie sozusagen als oberste Krisenmanagerin. Dabei hat es einige Zeit gebraucht, bis die Behörde aus der Schockstarre erwachte. Zwar wurden bereits Ende Januar erste Mittel freigegeben, um das neuartige Virus zu erforschen – doch erst Mitte März hat die Kommission ein Expertengremium eingesetzt: einen Beraterstab, bestehend aus Epidemiologen und Virologen aus verschiedenen Mitgliedstaaten. Diese Krisen-Truppe beruht auf drei Säulen: Der medizinische Bereich kümmert sich etwa um eine koordinierte Verteilung von Schutzausrüstung. Bei den Sicherheitsmaßnahmen der einzelnen Länder, um die Infektionen einzudämmen, darf sich Brüssel nicht einmischen. Denn Gesundheitspolitik bleibt in der Hand der Mitgliedstaaten. Bei der zweiten Säule geht es um Mobilität, angefangen von Reisewarnungen bis hin zu Schengen-Fragen. Der dritte Teil setzt den Fokus auf die Wirtschaft, etwa Tourismus, Handel und Verkehr. Zu wenig gehandelt, zu spät: Ende April nahm EU-Kommissionschefin von der Leyen Stellung zur Kritik: Vor verwaisten Rängen schritt sie im EU-Parlament ans Rednerpult. Dass keine Abgeordneten anwesend waren, störte kaum – schließlich war die Botschaft, die sie im Gepäck hatte, nicht für die Politiker gedacht, sondern für die rund 500 Millionen EU-Bürger, vor allem für die Menschen in Italien. Denn gerade den Italienern hätte mehr geholfen werden müssen, und deshalb sei es richtig, „dass sich Europa von ganzem Herzen entschuldigt“.
Corona-Konjunkturprogramm. Was diejenigen, die ihre Angestellten in Kurzarbeit schicken mussten, ihren Job verloren haben und womöglich vor den Scherben ihrer Existenz stehen, mehr interessieren dürfte als warme Worte, ist die Frage: Wie viel Geld pumpt Europa in die angeschlagene Wirtschaft? Denn dass das passieren muss, da sind sich alle EU-Mitglieder einig – damit hört es mit der Einigkeit aber auch schon auf. Die Hausnummer wurde soeben bekannt gegeben: 750 Milliarden Euro. Zweit Drittel davon „geschenkt“, also Zuschüsse, die nicht zurückbezahlt werden müssen. Die restlichen 250 Milliarden in Form von Krediten – als zinsloses Darlehen. Die „knausrigen Vier“, darunter auch die Regierung Kurz, hatten dafür gekämpft, nur Kredite zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist es jetzt nicht so, dass etwa ein Unternehmen direkt bei der EU anklopfen und Unterstützungsmittel beantragen kann.
Denn bei den vielen Milliarden handelt es sich um eine Finanzspritze für die öffentlichen Haushalte der Mitgliedsländer. Und die wiederum leiten das Geld dann weiter in konkrete Projekte. Woher die vielen Milliarden kommen? Von den Mitgliedsländern, von denen eh schon viele ächzen (darunter auch Österreich), dass die Abgaben für den nächsten EU-Haushalt praktisch nicht zu stemmen seien. „Next Generation EU“ heißt das Förderprogramm, und da wird es interessant: Wenn man so will, kommt mit dem neuesten Streich aus Brüssel nämlich indirekt wieder der „Green Deal“ ins Spiel, um den es während der Corona-Krise so ruhig geworden war. Denn mit den Geldern sollen nicht einfach nur marode Staatskassen saniert werden. Das Corona-Konjunkturprogramm soll vielmehr den grünen Umbau der Wirtschaft mitfinanzieren.
„Die Mitgliedsländer werden nationale Aufbaupläne mit einem grünen Kern einreichen müssen“, merkte der für Klimaschutz zuständige Kommissar Frans Timmermans an. Alleine 25 Milliarden Euro sollen mit einer neuen Klimasteuer erbracht werden. „Mit dem Vorschlag sind viele Segel gesetzt“, freut sich der österreichische EU-Abgeordnete Othmar Karas. Das mag stimmen, nur: In welche Richtung das Boot steuert, ist noch unklar. Denn bereits beim Grünen Deal kritisierten viele die Vorschläge als zu schwammig. „Die Branche kann noch nicht investieren, weil sie nicht genau weiß, in welche Technologien genau“, erklärt Stephan Schwarzer von der WKÖ. Und auch von deutscher Seite kommt Kritik: „Meine Befürchtung ist, das Europa noch viel mehr Geld in ineffiziente Klimaschutz-Anstrengungen gepumpt wird“, sagt etwa der Magdeburger Umweltökonom Joachim Weidmann. Außerdem können in der derzeitigen Fassung auch Unternehmen von den Fördergeldern profitieren, die derzeit noch eine schlechte Umweltbilanz haben. „Unternehmen, die einen hohen CO2-Fußabdruck haben, werden aufgefordert, einen grünen Reformplan zu schreiben, damit wir wissen, dass das in die richtige Richtung geht“, so EU-Kommissar Frans Timmermans. Hart durchgreifen sieht anders aus.
Die grüne Zukunft. Das politische Signal aus Brüssel in puncto grüne Zukunft sei – wenn auch noch nicht ausgereift – dennoch wichtig, ist sich Gottfried Kirchengast, Klimawissenschaftler und Professor an der Uni Graz, sicher. Denn ohne den Push aus Brüssel fühlte sich die österreichische Regierung nicht gezwungen, ihr Klimaschutzprogramm in die Tat umzusetzen. „Letztendlich aber hängt die Aufbruchstimmung von der nationalen CO2-Bepreisung ab“, so Kirchengast. Lange Zeit sei verschwenderisch mit Ressourcen umgegangen worden, weil es einfach keine Anreize gab, es anders zu machen – und deshalb wurde es auch nicht gemacht. Und jetzt mit den schweren Einbußen durch die Corona-Pandemie hat Klimaschutz auch nicht unbedingt die beste Lobby. Gehandelt werden aber muss jetzt. „Die Kosten der Konsequenzen des Nichtstuns sind in zehn Jahren höher, als sie es heute sind“, mahnt der Klimawissenschaftler.