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Erstaunlich wirtschaftslebensfremde Trägheit kennzeichnet das Agieren der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und den davon in existenzieller Weise betroffenen Tourismusunternehmen. Die Branche balanciert zwischen Zusammenbruch und Umbruch. Und sie braucht einen Plan. Ohne strikte und schnelle Vorgaben ist für den Wintertourismus kein Wirtschaften möglich.
Von Alexandra Keller
Er ist hartnäckig. Doch wird er nicht gerne gehört. Vielleicht, weil er bei der „falschen“ Partei ist. Vielleicht, weil er zu gnadenlos auf das Versagen hinweist. Vielleicht aber auch, weil er ein bisschen zu sehr weiß, wovon er spricht. Sepp Schellhorn ist Hotelier und Gastronom und Wirtschafts- sowie Tourismussprecher der NEOS.
Er ist ganz unmittelbar von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen, rechnet für sein Restaurant in Salzburg mit einem Umsatzminus von 70 Prozent und der Wintertourismus macht ihm Sorgen. „Der Wintertourismus lebt vom Wohlfühlfaktor, aber beim Skifahren fährt die Angst mit. Statt auf eine Schule der Achtsamkeit zu setzen, setzte der Kanzler auf Angst- und Panikmache“, sagt Schellhorn mit Blick auf die im Handumdrehen startende und vieles entscheidende Wintersaison. Die jüngste Debatte um die zweite Corona-Welle, in der Kurz festhielt, dass sie uns bereits erfasst habe, bestätigt seine Analyse und hält jene Ängste wach, die in der Tourismus-Branche nie wirklich abgeklungen sind.
Schellhorn ist persönlich betroffen und betroffen macht ihn zudem, wie die Bundesregierung mit der Mutter aller Krisen umgeht. Mit der Krise und mit den Unternehmen. Von deren Alltag scheinen die relevanten Hauptakteure der Bundesregierung wenig Ahnung zu haben. Kanzler Sebastian Kurz und Tourismusministerin Elisabeth Köstlinger haben ihre Studien abgebrochen, um hauptberuflich Politiker zu werden. Gesundheitsminister Rudolf Anschober war Volksschullehrer, bevor er diese Laufbahn eingeschlagen hat. Derartige Biografien sind nicht ungewöhnlich für politische Ämter, doch können sich der Mangel echter Nachvollziehbarkeit oder einer konkreten Vorstellung davon, wie Regularien des Bundes in den heimischen Betrieben wirken, in allumfassenden Krisenzeiten bitter rächen.
„Die Regierung hat zu viel Zeit damit verbracht, ihre missglückten Hilfen schönzureden. Die beste Hilfe ist jene, die auch ankommt – und genau das ist das Problem“, hatte Sepp Schellhorn Ende Juni 2020 festgehalten, nachdem WIFO und IHS auf Grundlage aktueller Zahlen davon sprachen, dass Österreich die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg drohe.
Drei Monate nach dem Lockdown waren die Hilfspakete nur tröpfchenweise bei den strauchelnden Unternehmen angekommen und Schellhorn sagte: „Laut Agenda Austria sind bei der Kurzarbeit erst knapp über zwei Milliarden der versprochenen 12 Milliarden ausgezahlt worden. Bei der Corona-Soforthilfe noch fast gar nichts. Die Unternehmerinnen und Unternehmer werden weiterhin im Regen stehen gelassen, während sich die Regierung abfeiert.“
Die Hilfen dauern zu lange. Knapp einen Monat später waren die Zahlen des Budgetvollzugs veröffentlicht worden, laut denen bis dato weniger als ein Drittel der Kurzarbeit, weniger als ein Fünftel des Härtefallfonds und nicht einmal ein Prozent der Corona-Soforthilfe für Unternehmen ausbezahlt worden war. Fast fünf Monate nach dem Lockdown stand zahlreichen Unternehmen das Wasser bis zum Hals und Schellhorn sprach davon, dass das „kein Hilfspaket, sondern ein Schlag ins Gesicht aller Unternehmerinnen und Unternehmer“ sei. „Selbst acht Monate nach dem Lockdown kommen die von der Regierung angekündigten Corona-Milliarden nicht bei den Unternehmen an“, hielt Schellhorn schließlich Anfang September gegenüber public fest. Und führte seine Diagnose weiter aus: „Der Fixkostenzuschuss ist eine Beschäftigungstherapie für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, es wurden acht Milliarden Euro versprochen, geflossen sind bis jetzt nicht einmal 100 Millionen Euro – ein Bruchteil von dem, was etwa Dänemark ausgezahlt hat. Weniger als ein Viertel des Härtefallfonds ist bisher ausbezahlt worden.“
Schnell, treffsicher und transparent geht anders. Allein bei der Corona-Ampel kennt sich kein Außenstehender wirklich aus. Bei den Triggern für ein Umschalten von Grün auf Gelb, Orange oder Rot, macht die Tatsache, dass die Mehrheit der dies entscheidenden Kommission politisch und nicht wissenschaftlich besetzt ist, Willkür denkmöglich. Parallel zu den schwer zu beeinflussenden globalen Ungewissheiten wachsen auch die hausgemachten und strapazieren derzeit vor allem die Nerven der heimischen Tourismusunternehmen aufs Äußerste.
Keiner weiß, wie es weitergeht. Ein Großteil der Tourismusbranche hängt in der Luft und geht mit angemessener Anspannung dem corona-bedingten Zitter-Winter entgegen. Viele Gründe dafür haben einen Ohnmachts-Charakter, weil niemand weiß, wie sich die Pandemie weiter-entwickelt und mit ihr die Reiselust- oder Möglichkeit der potenziellen Gäste. Dass die Bundesregierung aber mit erstaunlich wirtschaftslebensfremder Trägheit auf die bittere Notwendigkeit klarer Vorgaben und Richtlinien reagierte, verschärft die Situation. Und das nicht nur für Hotels oder Gaststätten.
Die direkte und indirekte Wertschöpfung der österreichischen Tourismus- und Freizeitwirtschaft lag im Jahr 2018 bei rund 59,2 Milliarden Euro (15,3 Prozent des BIP), die Einnahmen durch Urlaubsgäste, Geschäftsreisende und Tagesbesucher hatten sich in diesem Jahr auf 42,5 Milliarden Euro summiert. Laut Daten der Sozialversicherung waren 2018 503.449 Menschen zumindest an einem Tag des Jahres im Beherbergungs- und Gaststättenwesen beschäftigt, direkt und indirekt wurde der „touristische“ Beschäftigungseffekt im Jahr 2016 mit 719.300 Vollzeitäquivalenten festgemacht und laut WIFO ist die Tourismus- und Freizeitwirtschaft für fast ein Fünftel der Gesamtbeschäftigung verantwortlich. Durchschnittlich werden nur 11 Prozent der tourismusrelevanten Vorleistungen, wie beispielsweise Tischlerarbeiten oder Zulieferungen, wie etwa Lanwirtschaftsprodukte, importiert, was die ökonomische Strahlkraft auf die Regionen und in die Gemeinden unterstreicht. 2019 wurden 152,7 Millionen Nächtigungen registriert und in den vergangenen Jahren hat „der Tourismus“ jährlich rund 900 Millionen Euro investiert.
Mit der Pandemie wurden diese Zahlen dramatisch gekappt. Laut Österreich Werbung beläuft sich der Rückgang in der bisherigen Sommersaison bei minus 44 Prozent. Die Viren-Keule traf den Kongress- und Städtetourismus besonders hart. So spricht Norbert Kettner, Geschäftsführer von WienTourismus, davon, dass von Jänner bis Juli 2020 die Nächtigungen in Wien um 66 Prozent auf 3,2 Millionen eingebrochen sind und sagt: „2020 ist für Wiens Tourismus eine Frage des Durchhaltens und Überlebens, nicht des ertragreichen Wirtschaftens.“ Es geht ums Überleben. Schlimmer geht’s nicht.
Der Winter wird eine Herausforderung. „Für Unternehmer ist Planbarkeit entscheidend. Es ist das Schlimmste, wenn sie nicht planen können“, machte Mario Gerber im August 2020 darauf aufmerksam, wie hart und ungeduldig die Tourismusbetriebe auf die Corona-Regeln für den per se schon planungsunsicheren Winter warteten. Gerber ist Abgeordneter im Tiroler Landtag, Obmann der WK Tirol-Fachgruppe Hotellerie und selbst Hotelier im Kühtai. In Tirol wird jeder dritte Euro mit dem Tourismus verdient. Das ist durchaus steuerrelevant für den Bundeshaushalt, doch ist das Verständnis der Bundesregierung für die Bedürfnisse der Gastgeber und ihre Realitäten nicht erst seit Corona enden wollend. Mit Corona wiegt diese Ignoranz jedoch bleischwer. „Uns ist klar, dass das kein Winter mit Rekordzahlen wird, es wird eine harte Zeit. Doch es nützt nichts, wir müssen alles tun, um diese Zeit zu überleben. Der Tourismus ist eine Kämpferbranche. Eingeschränkt wirtschaften ist immer noch besser als der Lockdown“, so Gerber.
Inmitten dieser chaotischen Ausgangslage und der heterogenen Anforderungen bemühen sich die Tourismus-Werber für einen Tourismus zu werben, der für die kommenden Monate nur schwer zu fassen ist. Für die kommenden Monate und darüber hinaus. „Corona bedeutet einen Lernprozess, Online-Konferenzen wurden noch stärker akzeptierter Teil des Arbeitslebens und darauf müssen wir uns auch in Zukunft einstellen. Doch werden sie physische Meetings nicht ablösen, sondern komplementär dazu existieren“, stellt etwa Norbert Kettner (WienTourismus) fest. Petra Stolba, Geschäftsführerin der Österreich Werbung, sagt: „Wir alle im Tourismus tun unser Bestmögliches, um uns für den Winter vorzubereiten, der sicher eine Herausforderung darstellt. Und das steht auch im Zentrum meiner Bemühungen. Einen Beitrag zu leisten, dass wir diesen Winter schaffen. Gleichzeitig gilt es aber auch, schon an ein Morgen zu denken. Mit welchem Tourismus wollen wir aus dieser Krise kommen? Und was brauchen wir dafür?“ Auch Florian Phleps, Geschäftsführer der Tirol Werbung, meint: „Die Corona-Pandemie bedeutet eine weltweite Zäsur. Für uns hat sich damit die Gelegenheit für eine Standortbestimmung geboten. Es geht allerdings nicht darum, Tirols Tourismus als Ganzes zu hinterfragen. Vielmehr wollen wir, wo notwendig, Entwicklungen auf den Prüfstand stellen und verbessern. Die gesammelten Erkenntnisse fließen in die Weiterentwicklung der Tiroler Tourismusstrategie ein, an der gerade gearbeitet wird.“
Nachhaltigkeit. Im allzu greifbar gewordenen Zusammenbruch der Tourismusbranche bahnt sich ein Umbruch an. Am 4. August 2020 veröffentlichte die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV) die Ergebnisse einer breit angelegten Online-Befragung von Managern deutscher und österreichischer Tourismusunternehmen. Die Nachhaltigkeitsziele wurden dabei abgeklopft. „Die Ergebnisse der Befragung geben insgesamt keine Hinweise, dass sich die Branche von bereits akzeptierten Nachhaltigkeitsmaßnahmen coronabedingt verabschiedet. […] So erachten 90 % der Befragten ein solides Wirtschaften auf lange Sicht und mit Substanz als notwendig, um für künftige Krisen widerstandsfähiger zu sein, auch wenn dies zu einem geringeren Wachstum führt. Ebenfalls 90 % der Befragten sprechen sich dafür aus, dass Anpassung an den Klimawandel sowie Klimaschutz im Tourismus höchste Priorität haben sollte“, so die Analysten der ÖHV.
Mario Gerber hat wohl recht. Der Tourismus ist selbst unter miesesten Vorzeichen eine Kämpferbranche. Und doch braucht der Kampf auch einen politischen Plan. „Wir müssen endlich damit beginnen, den ländlichen Raum in dem Dreieck Landwirtschaft, Tourismus und Raumordnung zu denken und weiterzuentwickeln. Nachhaltigkeit beginnt genau dort, und dieser Herausforderung stellen sich die politisch Verantwortlichen aus Gründen der Bequemlichkeit nicht, aber wir müssen endlich an diese föderalen Strukturen ran“, sagt Sepp Schellhorn. Er wird nicht gerne gehört. Und doch bleibt er hartnäckig.