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Laut Kanzler Sebastian Kurz soll Österreich zur „Wasserstoff-Nation Nummer eins“ werden. Das wohlklingende Standortziel bei der Rettung der Welt benötigt aber mehr als schöne Worte. Die Schubkraft angemessener Rahmenbedingungen etwa, oder eine tollkühne Öffnung der Fördertöpfe. Dann kann die H2-Technologie die Dekarbonisierung vorantreiben. Und das Land umkrempeln.
von Alexandra Keller
Es ist noch nicht absehbar, welche technischen Entwicklungen da noch kommen, die dezentrale Herstellung und Speicherung von Wasserstoff kann aber auch für ländliche Gemeinden eine Chance sein“, sagt Alfred Riedl. Als positiv zurückhaltend darf wohl bezeichnet werden, wie der Präsident des österreichischen Gemeindebundes eine Entwicklung verfolgt, die noch nicht jenen Platz in der Aufmerksamkeits-Skala einnimmt, der ihr gebührt. Weil noch nicht ganz klar ist, wie ernst die Wasserstoff-Technologie von der Bundesregierung in ihrem klimaneutralen Streben genommen wird. Und wichtige Entscheidungen noch nicht getroffen wurden.
Noch nicht. Noch nicht. Noch nicht. Der Takt, mit dem eine Rakete gezündet wird, klingt anders. Dabei war es Bundeskanzler Sebastian Kurz höchstselbst, der sich den Wasserstoff auf die Wahlkampffahnen heftete und im Sommer 2019 ankündigte, dass Österreich die Wasserstoff-Nation Nummer eins werde. Wasserstoff steht für mehr als das zweifache H im H2O. Wasserstoff ist ein richtig wichtiger Bestandteil der globalen Klimarettungspläne, die nur dann fruchten können, wenn etwa den zwei fleißigen CO2-Emittenten Verkehr und Industrie so kostengünstige wie klimafreundliche Alternativen für die fossilen Energiequellen geboten werden können.
Das war der türkis-blauen Regierung klar, die der Wasserstoff-Technologie recht viel Aufmerksamkeit schenkte. Und das ist auch der türkis-grünen Regierung klar, in deren Programm es im Kapitel „Klimaschutz & Energie“ knackig und getreu der Kurz'schen Wahlkampfstrategie heißt: „Technologieoffensive, Digitalisierung und Innovation: Österreich wird die Wasserstoff-Nation Nummer eins.“ Schön.
Noch einmal kommt Wasserstoff im Regierungsprogramm in der „Strategie zur Verwendung alternativer Energieträger in der Mobilität“ vor, doch schlau dürfte die künftig führende Nation erst aus der „Wasserstoffstrategie für Österreich“ werden, an der seit einiger Zeit gearbeitet wird – twittertauglich unter #mission2030. Ein interner Entwurf liegt bereits vor, der Aktionsplan klingt ambitioniert und sicher ist, dass der breite technologische Wandel so kompliziert wird wie teuer. Aber eben enkeltauglich – wenn es gelingt, genügend grünen Wasserstoff herzustellen und viele Antriebe umzustellen.
Den Anschluss nicht verlieren. Im Jänner 2020 hatte es beispielsweise geheißen, dass der Bund bis 2030 eine halbe Milliarde Fördereuro für jene Unternehmen bereitstellen werde, die an der Entwicklung oder Weiterentwicklung von Wasserstoffantrieben arbeiten. Diese Antriebe sind deswegen so erstrebenswert, weil Wasserdampf ihr Abgas ist, was zugleich die Wirkung auf die Umwelt und damit auch jene tragende Rolle beschreibt, welche die Wasserstoff-Technologie beim Erreichen der Klimaneutralität spielen kann. Diese Neutralität bis ins Jahr 2050 zu erreichen, ist Ziel der EU-Kommission. Zahlreiche Initiativen und Konsortien wurden unter diesem Deckmantel bereits in die Wege geleitet, Förderschienen wurden gelegt und CO2-reduzierende Vorgaben in Gesetze gegossen. Die Wasserstoff-Technologie gilt dabei als Schlüssel zur Klimaneutralität und der vergleichsweise kurze Zeitrahmen ist Grund genug für Hektik.
„Es braucht jetzt das entschlossene Handeln der politischen Entscheidungsträger und den nationalen Schulterschluss mit Industrie und Forschung. Nur so stellen wir sicher, dass Österreich – anders als bei der Batterietechnologie – den Anschluss an die globale Entwicklung dieser grünen Schlüsseltechnologie nicht verliert“, hielt Harald Kainz, Rektor der Technischen Universität (TU) Graz Ende August 2020 in seiner Funktion als Präsident der TU Austria Universitäten fest. In diesem Verbund der technischen Universitäten des Landes (TU Wien, TU Graz und Montanuniversität Leoben) ballt sich nicht nur das wissenschaftliche Know-how, das notwendig ist, um die Wasserstoffambitionen zu füttern. In diesem Verbund wird auch recht gut gerechnet, weswegen dem verbalen Tritt in den Hintern der politischen Wasserstoff-Ambitionierten auch eine glasklare Ansage folgte. Während Länder wie Deutschland ihre Wasserstoffprogramme mit den dafür notwendigen finanziellen Mitteln unterlegt haben, hinkt Österreich hinterher. Und knausert noch. Dabei wären bis 2030 zwei Milliarden Euro nötig – erst einmal nicht, um die Nummer eins zu werden, sondern um den Anschluss nicht zu verlieren. „500 Millionen Euro benötigt die Industrie für zeitnahe Prozessumstellungen sowie für den Aufbau von Produktionstechnologien, mit denen die notwendige Infrastruktur sichergestellt werden kann. 400 Millionen Euro braucht die industrienahe kooperative Forschung zur Weiterentwicklung und Überführung der Ergebnisse in den Markt. 100 Millionen Euro sollen der Grundlagenforschung in diesem Gebiet zukommen, um die theoretischen Möglichkeiten dieser Technologie voll ausschöpfen zu können und die Co-Finanzierung der europäischen Förderungen auch sicherzustellen“, skizziert Rektor Kainz den Kostenrahmen bis 2024, also den Rahmen allein der laufenden türkis-grünen Legislaturperiode.
Die Nummer eins zu werden, ist kein Spaziergang im Prater, sondern gleicht vielmehr dem trickreichen Hindernisparcours bei Ninja Warriors, müssen doch mit Geschick und Kraft viele große Systeme verändert werden. In vielen kleinen Schritten.
Die Projekte. Die Montanuni Leoben hat im September 2020 erst einen dieser kleinen Schritte angekündigt. Unter Federführung der Energie Steiermark entsteht in Gabersdorf im Bezirk Leibnitz eine Pilotanlage, in der grüner Wasserstoff und grünes Erdgas (Methan) erzeugt werden sollen. Mit einem Investitionsvolumen von 7,5 Millionen Euro wird damit ein potenziell wegweisendes Projekt umgesetzt, das 2021 in Betrieb gehen und jährlich rund 168.000 Kilo Wasserstoff erzeugen soll. „Power-to-Gas“ beschreibt diese Erzeugung von grünem Wasserstoff aus erneuerbarem Strom. Der Wasserstoff kann direkt genutzt werden oder in einem zweiten Prozessschritt zu synthetischem, grünem Methan weiterverarbeitet werden.
Ein weiteres Pilotprojekt wird in Zusammenarbeit von Kelag, KNG-Kärnten Netz GmbH und der Treibacher Industrie GmbH (TIAG) in Kärnten umgesetzt. Die TIAG ist weltweit führend bei Hochleistungskeramik, Hartmetallen, Seltenen Erden, Stahl- und Gießereiindustrie und Umweltkatalysatoren. Um den Wasserstoffbedarf für die Produktion abdecken zu können, setzt die TIAG bislang rund vier Millionen Kubikmeter Erdgas ein. Wird Wasserstoff mit Erdgas erzeugt, ist er das Gegenteil von grün. Grün wird er nur, wenn der große Stromhunger der Elektrolyse mit erneuerbarer Energie gesättigt wird und genau das ist Ziel des Pilotprojektes.
„Um ein solches Projekt umzusetzen, muss es selbstverständlich auch wirtschaftlich sinnvoll sein. In unserem Fall der eigenen Wasserstofferzeugung mittels Elektrolyse sind hier einige Rahmenbedingungen rund um den verwendeten Strom für eine Umsetzung essenziell: einerseits eine Investitionsförderung für den Bau dieser neuen Anlage und andererseits angepasste Netztarife und die Befreiung von den Ökostromabgaben und der Elektrizitätsabgabe“, erklärt Rainer Schmidtmayer, Vorstand der TIAG auf public-Anfrage, was die Bundesregierung tun muss, um ihr Nummer-eins-Ziel zu erreichen. Schmidtmayer weiter: „Das sind die Hausaufgaben, die die Regierung nun abarbeiten muss. Nur so ist es möglich, die Elektrolyse mit dem bisherigen Verfahren kostenmäßig annähernd vergleichbar zu machen. Gleichzeitig zeigen wir aber den Weg vor für eine klimaverträgliche und enkeltaugliche Industrieproduktion in Österreich.“
Übergangsphasen schaffen. Der TIAG-Vorstand spricht damit einen entscheidenden Punkt an, den Judith Obermayer-Schreiber, Expertin in all diesen Fragen bei der österreichischen Industriellenvereinigung (IV) weiter ausführt: „Während andere vorliegende Strategien, etwa aus Deutschland oder auch im Entwurf der Europäischen Kommission, zumindest in einer Übergangsphase auch auf andere CO2-freie bzw. -arme Arten von Wasserstoff setzen, fokussiert das Klimaministerium ausschließlich auf grünen Wasserstoff: Das heißt, der für die Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyse notwendige Strom stammt ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen.
Der erneuerbare Erzeugungspfad ist jedoch mit deutlich höheren Produktionskosten verbunden: So kostet die Erzeugung von konventionellem Wasserstoff rund 1,50 Euro pro Kilo, während grüner Wasserstoff bis zu 5,50 Euro je Kilo kostet.“ Ohne entsprechende Rahmen- oder Förderbedingungen ist diese Kluft kaum zu überwinden. Um die angestrebte Transformation auch wirtschaftlich darstellen zu können, benötigt es, so die IV-Expertin, finanzielle Incentives für Breakthrough-Technologien sowie nationale und europäische Förderungen für die Umstellung auf Wasserstoff in der energieintensiven Industrie. „Grundvoraussetzung ist jedenfalls die permanente Verfügbarkeit von ausreichendem erneuerbaren Strom zu kompetitiven Kosten. Dafür braucht es auch entsprechende europäische Übertragungskapazitäten – die es derzeit aufgrund schleppender Genehmigungsverfahren nicht gibt –, um etwa den Zugang zu Offshore-Winderzeugung im Norden Europas sicherzustellen und den Aufbau einer Europäischen Wasserstoffwirtschaft sowie internationaler Wasserstoffpartnerschaften“, führt Obermayer-Schreiber weiter aus.
Der Katalog der Hausaufgaben wird immer länger, die Forderungen immer konkreter. Wasserstoff war auch Thema im Rahmen der Technologiegespräche beim diesjährigen Forum Alpbach, wo Klimaschutzministerin Leonore Gewessler der heimischen Industrie die Teilnahme an zwei geplanten EU-Konsortien zu den Themen Wasserstoff und CO2-Reduktion nahelegte. Seit Mitte September 2020 können die Unternehmen ihr Interesse und ihre Investitionsvorhaben kundtun, die dann Grundlage dafür sind, welchem der sogenannten IPCEIs (Important Projects of Common European Interest) Österreich beitreten wird.
Derweil geben auch die Bundesländer Gas. So wurde Ende September 2020 im Rahmen der Konferenz der Landesenergiereferenten in Linz auf Antrag von Tirol und dem Gastgeberland Oberösterreich ein Wasserstoffmanifest verabschiedet und die Bundesregierung aufgefordert, Stolpersteine für die Energiewende zu beseitigen. Viele scharren in den Startlöchern, um das Potenzial der Schlüsseltechnologie zu nutzen. Sie wissen, dass „noch nicht, noch nicht, noch nicht“ kein Takt ist, um eine Rakete zu zünden.