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Direkt proportional zu den Löchern in den kommunalen Haushalten ist in den Corona-Monaten die Kluft zwischen dem Bund und den Gemeinden gewachsen. 2020 und 2021 fehlen bis zu 2,5 Milliarden Euro zur Finanzierung der Daseinsvorsorge. Der gesunde, runde Alltag der Bürger ist in Gefahr.
von Alexandra Keller
Noch schneller als das Virus grassiert der Frust. „Wir werden finanziell im Regen stehen gelassen. Man ist als Kommune diesem unwürdigen Schauspiel ohnmächtig ausgeliefert“, sagt Gerald Hackl. Hackl ist Bürgermeister von Steyr, der nach Linz und Wels drittgrößten Stadt Oberösterreichs.
Die Worte Ohnmacht und unwürdig klingen für sich genommen fast harmlos. Und doch ballt sich in ihnen ein Zu- beziehungsweise Missstand, der wie ein roter Faden alle Kommunen Österreichs verbindet und Bürgermeisterinnen wie Bürgermeister fesselt. Derart bewegungsunfähig sind die Höchstleistungen, die der neuerliche Lockdown ihnen abverlangt, kaum zu schaffen.
Noch nie, so scheint es, war die Kluft zwischen dem Bund und jenen Gebietskörperschaften, in denen der Alltag der Bürgern stattfindet, in denen die Kinder betreut, die Alten gepflegt, die Schüler gelehrt, der Müll entsorgt, den Notlagen begegnet, die Straßen gekehrt und die Vereine geehrt werden, so groß wie jetzt. Die gnadenlos leerer werdenden kommunalen Kassen lassen die Verantwortlichen „vor Ort“ verzweifeln.
Entsprechend sind die Maßnahmen, die sie ergreifen müssen. In der Stadt Schwechat, wo schon rund 15,5 Millionen Euro fehlen, wurden die Rücklagen angezapft, um über die Runden zu kommen. Was, wenn sie alle aufgebraucht sind? Dann werden wohl Entscheidungen wie jene in der niederösterreichischen Marktgemeinde Gablitz gefällt, wo der geplante Neubau einer Veranstaltungshalle gecancelt wurde und die Gemeinde sich aus Kostengründen dazu entschied, doch lieber die alte Mehrzweckhalle zu sanieren.
Die Entscheidung mag vernünftig klingen, doch bedeutet sie eben auch, dass die Bürger um einen neuen Anziehungs- und Mittelpunkt in ihrer Gemeinde umfallen. Und all die Gewerke, die am Neubau beteiligt wären, durch die Finger schauen. Und weniger umsetzen. Und weniger Kommunalsteuer zahlen. Und weniger sonstige Abgaben. Und, und, und.
Leere Gemeindekassen sind wie eine Büchse der Pandora für das gesamte österreichische Lebens- und Wirtschaftssystem. Trotzdem werden die Kommunen – wie Bürgermeister Hackl weiß – im Regen stehen gelassen. Von der Bundesregierung, deren diesbezügliche finanzielle Rettungsmaßnahmen denen auf der Titanic gleichen.
Rücklagen werden aufgelöst. Den Untergang vor Augen gingen beispielsweise die burgenländischen Gemeinden jüngst her und lösten die Rücklagen des Burgenländischen Müllverbandes auf. Diese Auflösung war lange Zeit Grund für kleine politische Hickhacks, doch plötzlich wurde es dringlich. Weil für die Gemeinden des Burgenlandes bislang kein erwähnenswertes Hilfspaket geschnürt wurde, bezeichnete der Halbturner Bürgermeister und ÖVP-Klubobmann im Landtag, Markus Ulram, die Auflösung der Rücklagen gegenüber dem KURIER als einen „Akt der Selbsthilfe“. Fünf Millionen Euro sind es, um die es da geht. 171 Gemeinden sollen davon profitieren. Kümmerliche Summen, um Löcher zu stopfen.
Am anderen, dem Westende des Landes, hat das Land Anfang November 2020 ein Finanzpaket in Höhe von zehn Millionen Euro beschlossen, um dort den 96 strauchelnden Gemeinden unter die Arme zu greifen. Die Vorarlberger Gemeinden rechnen mit einem Minus in dreistelliger Millionenhöhe, allein die schwindenden Einnahmen aus den Vertragsanteilen schlagen heuer mit minus 45 Millionen zu Buche, für nächstes Jahr wird ein Minus in Höhe von 60 Millionen erwartet. Und die zehn Millionen sind, was sie sind. Ein Tropfen auf den heißen Stein.
Gemeinden sind Anlaufstelle. Egal ob im Osten, im Westen, im Süden oder im Norden – der finanzielle Corona-Stachel trifft die Kommunen ins Mark und ohne ein entsprechendes Hilfspaket wird es immer schwieriger, die vielen Rädchen, die das Alltagsleben in den Gemeinden möglich machen, weiter rundlaufen zu lassen.
„Wir haben in der Stadt seit Beginn der Pandemie an allen denkbaren Schrauben gedreht, um die unmittelbaren Folgen für die Betroffenen nach Möglichkeit abzufedern“, erzählt der Salzburger Bürgermeister Harald Preuner. Seine Aufzählung der „Schrauben“ zeigt recht gut, wie nahe die Kommunen dran sind – an allem: „Über die Öffnungszeiten in den Kinderbetreuungseinrichtungen, Mietzinsreduktionen für stadteigene Geschäftslokale, Stundungen und Aussetzungen der Gebühren sowie unbürokratische Erweiterungen von Schanigärten, Unterstützungen für Unternehmen, die im Lockdown auf Lieferservice umgestellt haben, zusätzliche Busfahrten zu den Stoßzeiten in der Früh etc.“
Das Krisenmanagement „vor Ort“ wird von anderen Vorzeichen angetrieben als jenes der beiden anderen Gebietskörperschaften. „Man kann ohne Übertreibung sagen, die Städte und Gemeinden sind die erste Anlaufstelle für alle Fragen und Anliegen, die das sogenannte Alltagsleben betreffen“, stellt die Klagenfurter Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz fest. Dass sich das Alltagsleben im Krisenmodus befindet, muss nicht weiter betont werden. Dass es ein Kraftakt wurde, dem zu begegnen aber schon und angesichts der stiefmütterlichen Behandlung der Kommunen von Seiten der Regierung sagt Mathiaschitz: „Um diese Dienstleistung auch weiterhin flächendeckend sicherzustellen, ist es absolut notwendig, auf Bundesebene ein Hilfspaket für Städte und Gemeinden zu schnüren.“
Auf dieses Paket warten die Gemeinden allerdings ähnlich gespannt, wie die ganze Welt auf einen Corona-Impfstoff. Keiner weiß, wann, und jeder hofft, dass. Zur Finanzierung der Daseinsvorsorge sind den österreichischen Gemeinden laut Berechnungen des KDZ (Zentrum für Verwaltungsforschung) im Jahr 2018 4,8 Milliarden Euro zur Verfügung gestanden. „Bereiche wie die Ver- und Entsorgung werden ausschließlich durch die Nutzer (Gebühren) sowie von Zuschüssen anderer öffentlicher Träger finanziert – was auch in der aktuellen Krise grundsätzlich gesichert ist“, heißt es im aktuellen, am 12. November 2020 veröffentlichten KDZ-Papier „Finanzierung der Daseinsvorsorge in der COVID-Krise“.
Um die Kommunen am Leben zu halten, die Bildungseinrichtungen, Kultureinrichtungen, Straßen- und Verkehrsinfrastruktur, Freizeit, Sport oder alles rund ums Wohnen zu finanzieren, sind sie auf allgemeine Steuermittel angewiesen. Für diese Bereiche der Daseinsvorsorge mussten die Gemeinden im Jahr 2018 drei Milliarden Euro ausgeben, was rund 59 Prozent der laufenden Ausgaben entspricht. „Dazu kamen noch rund zwei Milliarden Euro Investitionen, die zu fast einer Milliarde Euro aus Investitionszuschüssen (Bund, Länder und Bedarfszuweisungsmitteln) finanziert wurden. Offen blieb eine Milliarde Euro, die ebenfalls aus Steuererträgen (Ertragsanteile, Gemeindesteuern) und Darlehensaufnahmen finanziert wurden“, so die KDZ-Experten.
An der Realität orientieren. Im Jahr 2018 hat das funktioniert. 2019 auch. Die Corona-Gemengenlage des Jahres 2020 aber, in dem die Einnahmenrückgänge der Gemeinden – Wien inklusive – bis zu zwei Milliarden Euro betragen, weil vor allen relevanten „Mitteln“ (Ertragsanteilen, Kommunalsteuern oder Fremdenverkehrsabgaben), aber auch vor Leistungserlösen aus den Bereichen Kinderbetreuung, Musikschulen und Freizeiteinrichtungen ein dickes Minus steht, ist anders.
Und die Berechnungen der KDZ-Experten sind ernüchternd: „In den Jahren 2020 und 2021 fehlen insgesamt 2 bis 2,5 Milliarden Euro zur Finanzierung der Daseinsvorsorge. Das kommunale Investitionspaket des Bundes (KIP) kann dies mit einer Milliarde Euro Investitionszuschuss verteilt auf zwei Jahre nicht ausgleichen. Damit fehlen den zentralen Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge bis zu 1,2 Milliarden Euro.“
Die Berechnung gibt der Bundesregierung eine klare Richtung vor. Auch Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer, die sich gerade in der Corona-Krise für eine Stärkung der Kommunen als essenzielle Garanten in puncto Bildungsgerechtigkeit, wirksame Armutsbekämpfung oder die Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungsplätze einsetzt, sagt: „Es ist dringend notwendig, ein nachhaltiges Hilfspaket für Gemeinden zu schnüren, um jedenfalls die Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen aus der Daseinsvorsorge zu sichern. Aus Sicht der Arbeiterkammer wäre es daher vordringlich, eine finanzielle Unterstützung für die Gemeinden – inklusive Wien – in der Höhe von etwa zwei Milliarden Euro für die Jahre 2020 und 2021 zur Verfügung zu stellen. Das würde die Liquidität der Gemeinden sichern und es sollte auch allen Gemeinden ermöglicht sein, die Gemeinde-Investitionsmilliarde in Anspruch zu nehmen. Dies sichert wiederum Arbeitsplätze und trägt dazu bei, die Krise rascher zu überwinden.“
Laut Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes, sind derzeit 300 bis 400 Gemeinden von der Investitionsmilliarde ausgeschlossen, weil sie nicht mehr investieren können. Weil ihre Kassen leer sind. Spätestens da beißt sich das Modell in den Schwanz. Und verlangt wie alle anderen Ebenen auch nach Adaptierungen und Nachschärfungen, die sich an den Realitäten in den Kommunen orientieren. Wo der Frust wächst. Angesichts des unwürdigen Schauspiels.