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Der Beinahe-Blackout vom 8. Jänner 2021 hat Österreich in vielen Teilen wachgerüttelt. Dieses Bewusstsein weiter zu schärfen und alle Ebenen der Verwaltung und Gesellschaft auf einen länger andauernden, flächendeckenden Stromausfall vorzubereiten, ist auch und vor allem Aufgabe der Gemeinden. Wenn nichts mehr geht, sind sie der einzige Leuchtturm. Wieder. Von Alexandra Keller
Er wurde belächelt. Und mit ihm die ganze Stadt. „Da gab es ungute Aussagen von allen Seiten“, erinnert sich Josef Ober. Ober ist Bürgermeister der Stadt Feldbach in der Steiermark. Aus richtig gutem Grund ist der Stadt das Ortsgespräch dieser public-Ausgabe gewidmet. Denn Feldbach ist wohl die einzige Kommune Österreichs, in der die Gefahr eines Blackouts schon lange ernst und die Möglichkeiten, sich auf die Folgen dieser Katastrophe vorzubereiten, wahrgenommen werden. „In dem Augenblick versagt alles und es zählt nur das, was wirklich ist“, weiß Bürgermeister Ober und kitzelt mit seinem Selbstverständnis das Gewissen seiner Kollegen: „Alles können wir nicht verhindern, aber wir können alles tun, was möglich ist. Wenn das passiert, möchte ich als Bürgermeister in den Spiegel schauen können.“ Durch die Corona-Pandemie hat dieser Spiegel an Schärfe gewonnen. Die Gemeinden haben sich in zahlreichen Belangen als die „wahren Wichtigen“ des Staatsgefüges herausgestellt und die Bürgermeister als erste Ansprechpersonen. „Man hat kapiert, dass Extremsituationen eintreten können und man sich vorbereiten muss. Im Fall eines Blackouts funktioniert es nicht, die Verantwortung nach oben zu schieben. Da ist jede Gemeinde auf sich gestellt“, weiß Ober. Belächelt wird er nicht mehr.
Gemeinden sorgen vor. „Vor Kurzem sorgte ein Beinahe-Blackout für große Aufregung. Eine reale Bedrohung, gegen die es sich zu wappnen gilt.“ Mit diesen Worten leitete die WKO Steiermark Anfang März 2021 die Präsentation ihres Fünf-Punkte-Programmes für eine nachhaltige Energiewende ein, in deren Rahmen der Versorgungssicherheit eine Hauptrolle zukommt. Knapp zwei Wochen später machte die Marktgemeinde Pettenbach (OÖ) von sich reden, wurde dort doch verkündet, dass sich die Gemeinde gemeinsam mit den Feuerwehren auf ein Blackout-Szenario vorbereitet. Bürgermeister Leo Bimminger wurde in dem Zusammenhang wie folgt zitiert: „Der europaweite Beinahe-Blackout im Jänner dieses Jahres zeigte einmal mehr, dass man sich nicht die Frage stellen muss, ob ein solcher Stromausfall kommt – sondern wann.“ Bimmingers Feststellung wurde nur ein paar Tage später hochoffiziell bestätigt – in der druckfrischen „Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2021“ der Direktion für Sicherheitspolitik des österreichischen Verteidigungsministeriums, in der Experten die Gefahr von gravierenden Blackouts zu den prioritären Risiken für 2021 einstuften. Vor dem Hintergrund werden bis 2024 insgesamt zwölf autarke Kasernen eingerichtet, die im Ernstfall auch „Externe“ versorgen sollen. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner stellte im Rahmen der Präsentation der Jahresvorschau fest, dass es sich bei einem Blackout um ein Szenario handle, „das wir ohne Zweifel vermehrt üben müssen“.
Wir müssen vorbereitet sein. Schon in der „Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2020“ war zu lesen gewesen, dass „binnen der nächsten fünf Jahre“ mit dem „sehr realistischen Szenario“ eines Blackouts gerechnet werden müsse. Das nächste Kapitel in der Jahresvorschau 2020 war übrigens dem „Sicherheitsrisiko Pandemie“ gewidmet und gleich eingangs heißt es dort: „Pandemien haben extreme Auswirkungen auf Bevölkerungen, Staaten und die Wirtschaft. Gleichzeitig muss die Sicherheitsvorsorge im Bereich der Pandemierisiken als unzureichend beurteilt werden.“
Tja. Selbst wenn sich rege Blackout-Betriebsamkeit zeigt, gilt für die Sicherheitsvorsorge im Bereich der Blackout-Risiken weitgehend das Gleiche. „Auf so etwas sind wir nicht vorbereitet! Nicht, dass es passieren könnte, ist daher gefährlich, sondern weil wir es ausschließen und über keine ausreichenden Vorkehrungen verfügen. Das macht uns extrem verwundbar“, weiß Herbert Saurugg.
Saurugg ist Blackout-Experte und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge. In seinem umfangreichen Leitfaden zur Blackout-Vorsorge von Gemeinden (www.saurugg.net) weist er beispielsweise darauf hin, dass der deutsche Bundesinnenminister im Sommer 2016 oder der Schweizer Verteidigungsminister im Jänner 2017 im Zusammenhang mit einem Blackout von der „wahrscheinlichsten Großkatastrophe“ gesprochen haben. Saurugg kann in einem Gänsehaut verursachenden Stakkato aufzeigen, welche gigantischen Herausforderungen eine Gemeinde im Fall der Fälle zu meistern hat. Dann, wenn plötzlich der Strom ausgeht und ein Blackout die gewohnten Abläufe so radikal wie brutal stoppt.
In entsprechender Radikalität und dramatischer Brutalität hatte Bestseller-Autor Marc Elsberg die Folgen der plötzlichen Stromlosigkeit in den Roman „Blackout – Morgen ist es zu spät“ gegossen und dazu festgehalten: „Unsere moderne Gesellschaft ist komplett abhängig davon, dass all diese Systeme, die im Hintergrund längst völlig automatisiert ablaufen, reibungslos funktionieren. Tun sie das nicht, stürzen wir binnen kürzester Zeit zurück ins Mittelalter. Das finde ich eine beängstigende Vorstellung.“ Stimmt.
Wenn nichts mehr geht. Schon ein paar Stunden nach einem sogenannten Power-Blackout funktioniert so gut wie gar nichts mehr. Mobilnetz, Internet, Schienenverkehr und Industrie kommen zum Erliegen – wie auch die Wasserversorgung, wenn sie mit Pumpen funktioniert. Geschäfte schließen, Bankomaten fallen aus und Tankstellen funktionieren nicht mehr. Ohne Treibstoff werden die Notstromaggregate in Krankenhäusern nicht mehr versorgt, und Polizei, Feuerwehr oder im Katastropheneinsatz arbeitende Hilfsorganisationen können nicht mehr fahren, sofern sie nicht auf ein breites Backup aus notstromversorgten Tankstellen zurückgreifen können. Kühe, die in industriellen Ställen gehalten werden, sterben qualvoll, weil sie nicht mehr gemolken werden können.
Ganz unmittelbar nach einem Stromausfall wären die Feuerwehren des Landes mit der eingeschränkten Verfügbarkeit von Personal, Treibstoff, Kommunikation und anderer Ressourcen konfrontiert. „Gerade in der Erstphase werden Menschenrettungen aus Liftanlagen und Verkehrsunfälle aufgrund fehlender Ampelsignale gehäuft auftreten, später kommen Auslösungen von automatischen Brandmeldeanlagen dazu“, skizziert Raphael Koller, Generalsekretär des Österreichischen Bundesfeuerwehrverbandes, einen ersten Teil des Blackout-Szenarios. Dramatisch geht es weiter, da Chaos und Anarchie drohen, weil innerhalb weniger Tage nach dem Zusammenbruch der Überlebenskampf zu beginnen droht, wenn hungrige Menschen verzweifelt auf Nahrungsmittelsuche gehen und die Seuchengefahr ansteigt. Rasch wird die unterste Stufe der Maslow’schen Bedürfnispyramide erreicht. Es geht nur noch darum, die Grundbedürfnisse befriedigen zu können: Essen, Trinken, Schlafen. „Das Thema Blackout wird völlig unterschätzt und nicht verstanden. Das Chaos wird derart schlimm, dass man es sich nicht vorstellen kann“, sagt Herbert Saurugg.
Er kann es sich vorstellen. In gewisser Weise ist das Teil seines Jobprofils, beschäftigt sich der ehemalige Berufsoffizier des Österreichischen Bundesheeres doch seit 2012 intensiv mit den Folgen der steigenden Vernetzung und der zunehmenden Komplexität der europäischen Stromnetze, deren Wankelmut mehr als eine Laune ist.
Die Gefahr ergibt sich unter anderem daraus, dass mit der Konzentration auf erneuerbare Energiequellen die Stromerzeugung zunehmend dezentralisiert wurde und weiter wird. Konventionelle, in ihren Kapazitäten leicht steuerbare Kraftwerke – egal ob mit Kohle, Gas oder Atom betrieben – werden mit den Klimazielen vor Augen durch kaum bis gar nicht steuerbare Quellen, wie Wind oder Sonne, ersetzt. Die in den vergangenen Jahren massiv ausgebauten deutschen Windkraft- und Photovoltaikanlagen etwa haben eine enorme Energie-Power, wenn beide Elemente in ihrem Element sind. Sind sie das in extremer Form, wird die dabei produzierte Überschussenergie beispielsweise dafür genutzt, Wasser in die Speicher der Tiroler Wasserkraftwerke zu pumpen, die dann wie gigantische Batterien funktionieren. Sind sie das nicht und kommt es im schlimmsten Fall zu einer sogenannten Dunkelflaute (kein Wind, keine Sonne), hat das europäische Netz ein gigantisches Problem.
Frequenzabfall jederzeit möglich. Im Stromnetz selbst, das einem fragilen Spinnennetz gleich ganz Europa überzieht und mit den bahnbrechenden Veränderungen der Quellen rein technisch noch nicht mithalten, muss jedoch auf Teufel komm raus die Frequenz gehalten werden. Diese 50 Hertz verbinden alle durch das Netz verbundene Länder und ist die Stabilität der Frequenz bedroht, müssen alle Stromerzeuger zusammenhalten und zusammenarbeiten, um einen Frequenzeinbruch, der zum Zusammenbruch und damit zum Blackout führen kann, zu verhindern.
Im Ernstfall werden Kraftwerke hochgefahren und auch die Wasserkraftwerke geben Vollgas. Immer öfter müssen sie das tun. Waren im Jahr 2011 beispielsweise nur zwei Eingriffe bei Kraftwerken nötig, um einen Frequenzabfall zu verhindern, so sind derartige Eingriffe im Jahr 2018 an 301 Tagen unumgänglich geworden, wobei die Kosten dafür innerhalb von sieben Jahren allein in Österreich von zwei Millionen auf 346 Millionen Euro explodierten. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass das Stromnetz im Jahr 2018 nur an 63 Tagen per se und ohne Eingriff funktionierte. Mittlerweile sind derartige Eingriffe fast täglich nötig. Die Balance zu halten ist zu einem sprichwörtlichen Balanceakt geworden.
Am 8. Jänner 2021 wäre er fast nicht gelungen. „Europa ist an diesem Tag nur sehr knapp einem großflächigen Blackout entgangen“, erinnert sich Erich Entstrasser, Vorstandsvorsitzender der Tiroler Wasserkraft AG – Tiwag – an diesen zweiten Freitag im Jänner, an dem der Puls der europäischen Energie- und Netzverantwortlichen in höchst ungesunde Höhen schnellte. Ein Frequenzabfall in Südosteuropa führte zu einer Störung, die als bisher größte seit 2006 bezeichnet wurde.
Wer trägt die Verantwortung? Dieser Beinahe-Blackout zeigte den akuten Nachholbedarf auf. Schon 2010, als das europäische Stromnetz noch relativ stabil war, hatte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag eine umfangreiche Studie zur „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften am Beispiel eines großräumigen Ausfalls der Stromversorgung“ veröffentlicht, in dem es heißt: „Aufgrund der nahezu vollständigen Durchdringung der Lebens- und Arbeitswelt mit elektrisch betriebenen Geräten würden sich die Folgen eines langandauernden und großflächigen Stromausfalls zu einer Schadenslage von besonderer Qualität summieren. Betroffen wären alle kritischen Infrastrukturen und ein Kollaps der gesamten Gesellschaft wäre kaum zu verhindern. Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein diesbezügliches gesellschaftliches Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden.“
Der Inhalt der Studie ist schon fast zu real für ein einfaches, Strom als Selbstverständlichkeit aus der Steckdose beziehendes Gut. „Ein länger andauernder, großflächiger Stromausfall ist ein sehr komplexes Ereignis und betrifft eigentlich alle Verwaltungsebenen – Gemeinden, Land, Bund – sowie fast alle Lebens- und Geschäftsbereiche. Entsprechend vielfältig und teilweise komplex sind auch die Maßnahmen, Präventionskonzepte und die Vielzahl an Akteuren zur Verhinderung bzw. Bewältigung eines solchen Ereignisses“, sagt der unter anderem für Sicherheit und Katastrophen zuständige Vorarlberger Landesrat Christian Gantner, der die Verantwortung der Gemeinden ausdrücklich betont (siehe Kasten „Wesentliche Rolle“).
Auch Gantner weist darauf hin, dass es zur Gesamterfassung der Thematik Blackout einer „guten bundesstaatlichen Gesamt-Koordination“ bedarf. Die Folgen eines Stromausfalles sind ja sprichwörtlich grenzüberschreitend, legen den Staat schlimmstenfalls lahm und können mit der Schätzung, dass ein großflächiger Stromausfall in Österreich Kosten in Höhe von 1,18 Milliarden Euro pro Tag verursachen würde, nur rudimentär beschrieben werden.
Trotzdem nimmt sich auf Bundesebene kein Politiker des Themas an. Auch Kanzler Sebastian Kurz nicht, der auf eine diesbezügliche Anfrage der SPÖ Ende September 2020 schlicht festhielt, dass er nicht zuständig sei. Punkt. Formal stimmt das. Katastrophen sind in Österreich Ländersache, „doch eigentlich stellt das ein Komplettversagen der Verwaltung dar“, sagt Herbert Saurugg.
Schon die Corona-Pandemie zeigte und zeigt eindrücklich, welche Verwaltungsebene den Menschen am Nächsten ist. Im Fall eines Blackouts ist sie das auch. „Die Gemeinde ist die erste Anlaufstelle für die Bevölkerung und die Bürgermeisterin bzw. der Bürgermeister ist zugleich der erste behördliche Einsatzleiter einer Katastrophe. Ein Großteil der Bewältigung wird auch auf dieser Ebene erfolgen müssen, da mit einer Hilfe von ‚außen‘ nicht oder nur sehr eingeschränkt zu rechnen ist“, weiß Saurugg. Daraus ergibt sich fast schon gezwungenermaßen eine Verantwortung, die sich durch die Worte des Feldbacher Bürgermeister Josef Ober aufdrängt: „Alles können wir nicht verhindern, aber wir können alles tun, was möglich ist. Wenn das passiert, möchte ich als Bürgermeister in den Spiegel schauen können.“
Hinweis – Online-Info:
Herbert Saurugg ist Blackout-Experte und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge. Einen umfangreichen Leitfaden zur Blackout-Vorsorge von Gemeinden finden Sie unter: