wirtschaft politik service

evgenydrablenkov - stock.adobe.com

Unsere Geschichte erhalten

Chance und Verantwortung für die Gemeinden: Jede Gemeinde hat eine lange und interessante Geschichte, die allen ihren Bewohnern gehört. Das Wissen darüber ist aber oft in alten Fotos und Texten, die auf Dachböden und in Kellern lagern, versteckt. Die Gemeinden sind gefragt, dieses Wissen wieder an die Öffentlichkeit zu bringen und vor dem Vergessen zu schützen – Topotheken unterstützen sie dabei.
von Georg Schinko

Im Rathaus von Poysdorf sollte ein vermauertes Fenster geöffnet werden. Ist das aus Sicht des Denkmalschutzes möglich? Eine Nachschau in der örtlichen Topothek zeigte schnell, dass diese Zumauerung erst nach dem Krieg entstand und daher entfernt werden kann.

War nicht einmal der Winnetou-Darsteller Pierre Brice in Wiener Neustadt zu Gast? Die Anfrage einer Journalistin wurde schnell beantwortet, eine Suchanfrage in der örtlichen Topothek fand Ort und Datum der Veranstaltung sofort heraus, das entsprechende Foto wurde nach der Rechteklärung im Zeitungsartikel verwendet. Im Gemeindealltag ist es wichtig, etwas über die eigene Geschichte zu wissen. Aber wer sammelt und organisiert die Dokumente dazu? Natürlich findet man einzelne Fotos zur Gemeindegeschichte auch in Archiven und Museen, etwa von Besuchen hochrangiger Politiker oder von großen Veranstaltungen. Aber das ist nur ein kleiner Teil dessen, was die Geschichte einer Gemeinde ausmacht. Wie sah das Wohnhaus aus, das vor fünfzig Jahren an dieser Stelle stand? Gibt es Bilder vom eigenen Urgroßvater, der damals eine kleine Greißlerei in der Gemeinde hatte? Solche Fragen sind für viele Menschen und auch die Gemeindeverwaltung interessant, aber noch kein Bestandteil der „offiziellen“ Gemeindegeschichte. Dabei ist die Geschichte einer Gemeinde viel mehr als nur offizielle Anlässe! Die Gemeinden haben die Chance, ihre eigene Geschichte zu erhalten – sie ist es wert.

In den Händen der Gemeinden. Eine Topothek ist ein digitales Archiv für alte Fotos, Videos und Texte, die die Geschichte einer Gemeinde dokumentieren. In Topotheken werden alle historischen Quellen aus der Gemeinde gesammelt – egal, ob sie von „historischer Bedeutung“ sind oder nicht. Viele davon sind in Privatbesitz, liegen auf Dachböden oder in Kellern. Hier werden sie zusammengetragen und im Internet frei zugänglich gemacht – eine Form von Crowd Sourcing, mit der die Bevölkerung selbst wichtige Materialien bereitstellt. Mit der Suchfunktion sind sie dann leicht auffindbar.

Die Topothekare arbeiten ehrenamtlich und werden dazu von der Topotheken-Plattform eingeschult. Sie digitalisieren und beschlagworten neue Dokumente und vergrößern so als „Citizen Scientists“ den Bestand der Topothek. Die Gemeinde übernimmt die Schutzherrschaft, die Dokumente bleiben in der Hand ihrer Besitzer (bzw. gehen manchmal auch in das Archiv der Gemeinde über) und werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Kulturelle Verantwortung. Viele Gemeinden haben bereits Topotheken gegründet, um Verantwortung für ihre Geschichte zu übernehmen. Insgesamt gibt es schon über 300 Topotheken, über 180 in Niederösterreich! Oft ergeben sich dadurch auch andere Kooperationen.

In Niederösterreich werden Topotheken vom Landesarchiv unterstützt, in manchen Regionen wurde der Aufbau von Topotheken mit EU-Förderungen im Rahmen von LEADER-Projekten finanziert. Die Kombination aus ehrenamtlicher Arbeit der Topothekare und der rechtlichen Verankerung in der Gemeinde hat sich bewährt und so der Öffentlichkeit bis jetzt schon über 800.000 geschichtliche Dokumente wiedergegeben.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass viele Menschen in der Gemeinde daran mitarbeiten wollen, sei es durch die Bereitstellung von Dokumenten oder deren Digitalisierung und Beschlagwortung. In den meisten Fällen braucht es dazu nur einen kleinen Anstoß durch die Gemeinde!

Jede Gemeinde hat eine lange und interessante Geschichte, die öffentlich dokumentiert werden muss. Um sie zu erzählen, sind auch die Zeitdokumente aus der Bevölkerung notwendig, die noch auf ihre Entdeckung warten. Davon profitieren die Menschen im Ort, Lokalhistoriker, Volkskundler und nicht zuletzt die Gemeindeverwaltung selbst.

Wenn die Gemeinden nicht selbst dieses einzigartige kulturelle Erbe sammeln und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, tut es niemand – und ein großes Stück Gemeindegeschichte geht verloren.

Bringen Sie die Geschichte Ihrer Gemeinde an die Öffentlichkeit: Starten auch Sie eine Topothek!

 

 

Information und Kontakt:

Wer ist für eine Topothek zuständig?
Topotheken werden vom Verein ICARUS – International Centre for Archival Reserach –betreut. Ehrenamtliche Mitarbeiter in der Gemeinde übernehmen die Sammlung und Digitalisierung der Dokumente, die Gemeinde übernimmt die Schutzherrschaft.
Wie kommt die Gemeinde zu einer Topothek?
Unter » www.topothek.at findet man Links zu allen schon bestehenden Topotheken und aktuelle Veranstaltungen. Dort kann auch die Gründung einer neuen Topothek beantragt werden.

Mag. Alexander Schatek
Prof. Dr. Stefan Koren-Straße 10
2700 Wiener Neustadt
Tel.: 02622 – 28 150 bzw. 0664 2 66 55 10
E-Mail: as@topothek.at