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Mit der Weisung an die Asfinag, auch den Lobautunnel auf seine Klimaverträglichkeit zu prüfen, entzündete die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler gleich mehrere Feuer. Brenzlig ist das nicht nur für die Mobilität der neuen Seestadt-Wiener, sondern auch fürs Verfassungsrecht, die demokratischen Grundregeln, die Koalition und die Zukunft des Kfz-Verkehrs. Ein hochspannendes Spannungsfeld.
von Alexandra Keller
Noch bevor die e-Mobilität derart weich in Förderungstücher gehüllt war, hatte ein Tiroler Unternehmen begonnen, seinen Fuhrpark mit e-Autos auszustatten. Weil es die Verantwortung gegenüber der Umwelt auch im unternehmerischen Alltag leben wollte, der für Außendienstmitarbeiter eben oft auf der Straße stattfindet. Im Zuge der nicht unerheblichen Investitionen ließ die Geschäftsführung bei einem Grünen-Politiker des Bundeslandes anfragen, ob es irgendwelche Vergünstigungen für diese Klimafreundlichkeit gibt. Dabei hat sich ein kleines Streitgespräch entsponnen, an dessen Ende der Befragte klarstellte: „Sie verstehen das falsch. Wir Grüne wollen gar keine Autos, weder mit Benzin, Diesel noch mit Strom betriebene.“
Die Klarstellung hilft. In der knackigen Form steht sie zwar nicht im Parteiprogramm der Grünen, doch schwingt sie bei zahlreichen ihrer Schritte mit. Wie ein ultimatives Damoklesschwert für den individuellen Kfz-Verkehr. Die Klarstellung könnte jedenfalls hilfreich sein, um jüngste politische Entscheidungen zu verstehen.
Verbot von Verbrennungsmotoren. Dass herkömmliche Verbrennungsmotoren keine Zukunft haben, ist beschlossene Sache. Die EU hat das Aus für fossil betriebene Fahrzeuge mit 2035 anvisiert und für Österreich würde Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) das Verbot am liebsten schon 2030 umsetzen. In allen Klimaschutzfragen, die längst alle Politikfelder durchdringen, hat die Eindämmung des CO2-Ausstoßes Priorität. In diesem politisch und wirtschaftlich herausfordernden Spannungsfeld spielt die Autoindustrie eine wichtige Rolle, wenn auch keine entscheidende. Der WWF hat beispielsweise berechnet, dass für einen Urlaub in Mallorca ein Jahr lang mit dem Auto gefahren werden kann, weil der Flug einen derart starken Fußabdruck hinterlässt. Der weltweite Flugverkehr ist eine gigantische CO2-Schleuder und noch größer ist der CO2-Ausstoß, den Serverfarmen und Rechenzentren verursachen, doch den politischen Alltag beherrschen weder die Flugzeuge noch das Internet, sondern das Auto, das traditionell vor allem für Grünen-Politiker das große Übel ist.
In der Autofahrer- und Autobauer-Nation Deutschland hat sich diesbezüglich Erstaunliches getan. Nachdem der Dieselskandal 2015 die großen Autobauer-Konzerne in die moralische Schmuddelecke stellte, vollzog die Branche eine 180-Grad-Wendung. In Wolfsburg, Stuttgart und München wurde die Unabhängigkeit von Benzin und Diesel postuliert. Daimler, Volkswagen und BMW setzen alle Kräfte auf e-Mobilität und – durchaus mangelbedingt – zunehmend auf Kreislaufwirtschaft. Parallel zu diesem klimafreundlichen Wandel wandelten sich auch die Grünen.
„Die Grünen haben den volkswirtschaftlichen Wert des Autos erkannt, zumindest teilweise. Wer seit zehn Jahren Baden-Württemberg regiert, der weiß, dass man auf dem Land nicht nur mit Bussen und Bahnen vorankommt. Der hat auch gelernt, dass ohne Steuereinnahmen der wichtigsten Unternehmen kein Gemeinwesen zu finanzieren ist“, hielt Redakteur Markus Fasse jüngst zur überraschenden Umarmung der deutschen Grünen und der Autoindustrie in einem Kommentar im Handelsblatt fest.
Die beiden Bauvorhaben. Auf dem Land sind auch Österreicher ohne Auto aufgeschmissen. Auch in Österreich ist die Auto- beziehungsweise die Autozulieferer-Industrie ein satter Innovationstreiber und Steuerzahler. Auch Österreich steckt in der ökosozialen Transformation und es wird an einer ökologischen Steuerreform gearbeitet. In Deutschland würden die Grünen gerne regieren. In Österreich tun sie’s schon, doch die pragmatische Lernkurve, welche die deutschen Grünen genommen haben, wurde von den heimischen Grünen nur stockend eingeschlagen. Darauf deutet jedenfalls die Weisung hin, mit der Umweltministerin Leonore Gewessler die Asfinag aufforderte, alle Straßenbauprojekte und auch den Bau des Lobautunnels auf deren Klimaverträglichkeit zu prüfen. Große Infrastrukturprojekte des Bundes zu überprüfen ist selbstredend legitim. Weil immer teuer – und das nicht zu knapp. Die Art jedoch, wie die amtierende Verkehrsministerin auch den Lobautunnel in die Warteschleife schickte, ist neu. Damit öffnete sie eine Büchse der Pandora und lehrt – getreu ihrer NGO-Vergangenheit – einer ganz schön breiten Gegnerschaft das Fürchten.
Jene, die gegen den Lobautunnel protestieren, gehören selbstverständlich nicht dazu. Und jene, die gegen die Stadtstraße Aspern protestieren, ebenso wenig. Der Lobautunnel soll eine lästige Lücke in der Umfahrung Wien schließen, die Stadtstraße den nigelnagelneuen Stadtteil Seestadt Aspern erreichbar machen.
Beide Bauvorhaben stehen in der Kritik der Klimaschützer, die sich etwa bei Fridays for Future, Extinction Rebellion oder System Change, not Climate Change! organisiert haben, bei der Stadtstraße den Baustopp erzwingen und beim Lobautunnel den Baubeginn verhindern wollen. Sie bilden gleichsam das eine Ende des Spannungsbogens, unter dem diese beiden Straßenprojekte diskutiert werden. Am anderen Ende stehen die faktischen Zwänge der Mobilität, die nicht nur für die neuen Seestadt-Wiener entscheidend sind.
Mit der Seestadt Aspern hat die Bundeshauptstadt einen Stadtteil aus dem Boden gestampft, der – Kritik an Bodenversiegelung hin, Hitzepool her – bald fertiggestellt ist. Und das zwar mit einem schönen Anschluss an das U-Bahn-Netz, aber noch ohne entsprechende Straßenverbindung. Die Stadtstraße ist nicht nur eine infrastrukturelle Ader für den neuen Stadtteil, sondern auch eine Verbindungsstraße zur S 1, der Wiener Außenringschnellstraße, die wiederum durch den geplanten Lobautunnel zu einem echten Ring, einer Umfahrung der Bundeshauptstadt werden soll. Das war der Plan.
Wichtige Stadtentwicklung. „Die rasante Stadtentwicklung nördlich der Donau ist eine Tatsache. Das muss auch der Bund in der Planung hochrangiger Straßen- und Schienennetze, also in der Bundes-Verkehrsraumplanung berücksichtigen. Darauf haben die Unternehmen und die Menschen dort einen legitimen Anspruch. Ich bin kein Verkehrsplaner. Ich weiß nicht, ob der Lobautunnel die richtige Lösung ist oder gar die einzige. Wir von den NEOS wollen, dass die Evaluierung auf den Tisch kommt und von Fachleuten geprüft werden kann“, ist Johannes Margreiter, Verkehrssprecher der NEOS, überzeugt. Margreiter kommt aus Tirol, wo gerade ein anderes Großbauprojekt – der Neubau der Luegbrücke, der längsten Brücke der Brennerautobahn – die Gemüter erhitzt.
Vor Ort bei den transitgeplagten Wipptalern, die einen Tunnel wünschen, der ihnen viel Lebensqualität verschaffen würde. Und zwischen dem Bundesland und der Bundeshauptstadt, wo diesbezüglich die politischen Fetzen fliegen. Das tun sie eben auch in und rund um Wien, wobei die politischen Realitäten diese Auseinandersetzung besonders prickelnd machen.
Relativ einfach hat es da die Wiener SPÖ. Deren Chef, Bürgermeister Michael Ludwig, die Bundesministerin entsprechend scharf kritisiert – wegen des Moratoriums für den Lobautunnel und dessen potenzielles Aus. Die Zwangslage der Seestadt und der Hauptstadt an sich, die als einzige Millionenmetropole ohne entsprechende Umfahrung gilt, ist groß, die Rechtslage verzwickt und Ludwig ist entsprechend angespannt.
Wegen koalitionär-diplomatischer Eiertänze gestalten sich die kritischen Momente aufseiten der ÖVP-Politikern respektive der ÖVP-nahen Interessensvertretern ein wenig diffiziler. „Fakt ist, dass es einen Auftrag des Parlaments im Bundesstraßengesetz zur Errichtung höchstrangiger Straßeninfrastruktur gibt. Aus meiner innersten Überzeugung heraus ist es für mich klar, dass sich keine Ministerin und kein Minister über den Willen der gewählten Abgeordneten und die Beschlüsse des Parlaments stellen sollte“, sagt der niederösterreichische Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP) und lenkt die demokratiepolitische Fragwürdigkeit der Vorgangsweise Gewesslers in den Mittelpunkt. Eine schiere Ewigkeit wurde am Lobautunnel geplant und schier unzählige Beschlüsse dazu in den demokratisch legitimierten Gremien gefasst, nicht zuletzt im Nationalrat.
Aber auch im Wiener Gemeinderat, wo – und das ist wirklich pikant – die ehemalige grüne Verkehrsstadträtin und absolute Tunnelgegnerin Maria Vassilakou den Bau des Lobautunnels von unabhängigen Experten der ETH Zürich evaluieren ließ. Die untermauerten 2017 nicht nur die Sinnhaftigkeit des Vorhabens, sondern stellten auch fest, dass ein Bau der S1 als sechste Donauquerung die Wiener Südost-Tangente im Jahr 2030 um 77.000 Fahrzeuge pro Tag entlasten würde. Alle Begleitmaßnahmen eingerechnet würde der CO2-Ausstoß von Wien damit um zehn Prozent sinken.
Das Stadt-Land-Dilemma. Mit Expertisen ist das immer so eine Sache. Die der ETH-Fachleute ist eine. Andere kreischen regelrecht wegen der Zerstörung von Umwelt und Lebenswelten. Doch am Ende ist alles Politik. „Die im Bundesstraßengesetz aufgelisteten Straßenbauten finden sich dort aufgrund politischer Willensbildung und Entscheidung des Nationalrates der Republik Österreich und nicht aufgrund der Entscheidung von Fachleuten. Auf dem gleichen politischen Weg kann auch die Entscheidung getroffen werden, gewisse Straßenbauten nicht oder anders zu errichten“, sagt Willi Nowak, Geschäftsführer des VCÖ (Verkehrsclub Österreich), der sich für „ökologisch verträgliche, sozial gerechte und ökonomisch effiziente Mobilität“ einsetzt.
Die Schlagworte des Vereins sind nicht exklusiv, sie begleiten längst die politischen Entscheidungsfindungen, bei denen die Grünen den öffentlichen Verkehr bevorzugen, der ökologisch verträglich ist, aber bislang nur in urbanen Räumen auch sozial gerecht und ökonomisch effizient sein kann. „Am Land“, und davon gibt es viel in Österreich, steht und fällt Mobilität, Flexibilität und Teilhabe mit „dem Auto“. Es zu verbannen und seine Nutzung ohne echte Alternativen zu erschweren, kommt einem Angriff auf die „Landbevölkerung“ und deren Lebensqualität und Arbeitsrealität gleich.
Das Stadt-Land-Dilemma bleibt. Es bleibt vorerst auch ungelöst und es bleibt nachvollziehbar, dass die Weisung Ministerin Gewesslers an die Asfinag, alle Straßenbauprojekte zu evaluieren, fern vom taktreinen Wiener U- und S-Bahnnetz Verunsicherung auslöst. Gewessler vergrößert damit die Kluft, verstärkt die Gegenwehr und erweist der klimafreundlichen Zukunft, die nur durch gemeinsame Kraftakte ermöglicht werden kann, möglicherweise einen Bärendienst. Mag der Aktionismus der Ministerin auch von Aktivisten beklatscht werden und ihren Ruf als einzig standfestes und geradliniges Regierungsmitglied stärken, so steht sie damit doch auf extrem dünnem Eis.
Die rechtliche Komponente. Die Asfinag ist zu 100 Prozent im Besitz des Staates und wurde als Aktiengesellschaft organisiert, damit sie eigenständig und effizient agieren kann. Als Eigentümervertreterin ist Gewessler die personifizierte Hauptversammlung, doch so verlockend das auch klingt, nach Lust und Laune agieren und bereits beschlossene Projekte verzögern oder gar vernichten darf sie nicht. „Der Vorstand der Asfinag ist laut Aktienrecht an Weisungen – insbesondere rechtswidrige – nicht gebunden. Er muss im Interesse der Gesellschaft agieren. Bei Schäden für die Gesellschaft drohen ihm Schadenersatzansprüche“, zitiert Walter Ruck, Präsident der Wirtschaftskammer Wien, aus einem Rechtsgutachten, das die WK in Auftrag gegeben hat. Ruck hält weiter fest: „Diese Rechtsmeinung ist auch durch weitere, führende Rechtsexperten bestätigt worden. Sollte sich der Bau des Lobautunnels verzögern, schädigt das die Volkswirtschaft. Über zehn Jahre gerechnet entgeht Österreich eine Wertschöpfung von 12,6 Milliarden Euro.“
Bis zuletzt zeigte sich Ministerin Gewessler ziemlich unbeeindruckt von allen Reaktionen, Drohungen oder Rechnungen und bereits kurz nach ihrer Weisung hatte sie im Pressefoyer festgehalten: „Das Verkehrssystem, so wie wir es heute bauen, bestimmt, wie unser Verkehr, unsere Mobilität morgen funktioniert.“ Das stimmt wirklich. So oder so.