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Mit dem vorläufigen Aus für die S 8, die Marchfeld Schnellstraße, rückt neben den recht erstaunlichen Verfahrens-Mängeln der Triel in den Mittelpunkt. Die arg selten gewordene Vogelart hat den Planern den Marsch gezwitschert. Das tun vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten gerne auch bei Kraftwerksprojekten, wo der Naturschutz knallhart mit dem Klimaschutz kämpft. Und gewinnt. Von Alexandra Keller
Es ist peinlich. Höchstpeinlich, um genau zu sein. Am 13. September 2021 veröffentlichte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) einen Beschluss, der das vorläufige Aus für die S 8, die Marchfeld Schnellstraße, bedeutet, und sogar ihr endgültiges Aus bedeuten könnte. Was auch immer nun passiert und wie das auch immer passiert, heißt das für rund 18.000 Anrainer der B 8, dass sie weiter Lärm, Feinstaub und nervenzehrende Stausituationen der durch ihr Wohngebiet mäandernden Bundesstraße ertragen müssen. Deutsch-Wagram, Strasshof und Gänserndorf, aber auch die südlicher gelegenen Gemeinden Obersiebenbrunn, Markgrafneusiedl und Raasdorf, sollten mit der 14,4 Kilometer langen S 8 entlastet werden und noch Anfang Oktober 2021 hieß es dazu hocherfreut auf der Homepage der für den (Nicht-) Bau verantwortlichen Asfinag (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft): „Die S 8 Marchfeld Schnellstraße ist eines der wichtigsten Straßenbauprojekte im Osten von Niederösterreich. Mit ihr wird die Region Marchfeld optimal erschlossen und die 18.000 Anrainerinnen und Anrainer wirksam vom Verkehr entlastet. Die
S 8 und die S 1 Außenring Schnellstraße bringen in Kombination ein wirkungsvolles Verkehrssystem für die gesamte Ostregion. Das bedeutet auch für tausende Autofahrerinnen und Autofahrer ein rascheres Vorankommen auf einer qualitativ hochwertigen Schnellstraßenanbindung.“
Tja. Nix da. Mit dem BVwG-Beschluss bleibt die Region weiterhin suboptimal erschlossen, vom Verkehr belastet, von einem wirkungslosen Verkehrssystem in die Zange genommen und vom stockenden Vorankommen tausender Autofahrerinnen und Autofahrer auf einer qualitativ minderwertigen Anbindung genervt. Und das ohne jegliche nennenswerte Öffi-Alternative.
Es wurden Fehler gemacht. Jugendliche der betroffenen Gemeinden, die im Jahr 2005 geboren wurden, wurden von den Debatten um die Schnellstraße ihr Leben lang begleitet. Fast 16 Jahre wurde geplant und letztlich an Abgründen gearbeitet, die mit dem BVwG-Beschluss zutage gebracht wurden. 18 Parteien hatten Beschwerde gegen den UVP-Bescheid eingelegt, mit dem das Verkehrsministerium die Umweltverträglichkeit des Projektes bestätigt und das Go für den Bau gegeben hatte.
Mit April 2019 ist das Okay des Umweltministeriums datiert, das wiederum den Startschuss für das Beschwerdeverfahren einläutete, in dem die Richter feststellten: „[…] dass die Trasse der S 8 durch den Lebensraum des Triels geführt werden soll. Diese Vogelart ist sowohl nach der Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union (Vsch-Rl.) als auch nach der NÖ Artenschutzverordnung geschützt und in Österreich vom Aussterben bedroht.“
Das ist der erste Knackpunkt. Der Triel und die Tatsache, dass die niederösterreichische Landesregierung das Schutzgebiet nicht den Vorgaben entsprechend ausgewiesen hatte. Ganz grundsätzlich aber auch deswegen hätte vonseiten der Verantwortlichen weniger auf das plötzliche Aussterben des Vogels gehofft, sondern auf die Prüfung alternativer Trassenvarianten bestanden werden müssen. Das war nicht der Fall, weswegen die BVwG-Richter feststellen mussten: „Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hat sich schließlich ergeben, dass weder in der Strategischen Prüfung Verkehr noch im Bewilligungsverfahren der Behörde eine ausreichende Alternativprüfung stattgefunden hat. Aus Sicht des Richtersenats war das Behördenverfahren deshalb bereits zum Zeitpunkt der Vorlage der Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht mit einem Mangel behaftet.“
Die Ausführungen der Richter sind so umfangreich wie komplex, doch zusammenfassend sind diese Mängel und die Missachtung der naturschutz- und artenschutzgesetzlichen Bestimmungen die Gründe dafür, dass das UVP-Verfahren zur S 8 an Umwelt- und Verkehrsministerium zurückverwiesen wurde.
Naturschutz versus Klimaschutz. Dass die Freude der Beschwerdeführer so groß ist wie der Ärger der Betroffenen, ist klar. Und weil die hoheitlichen Planungsverantwortlichen so schwer zu personifizieren sind, ist es der Triel, dieses so selten gewordene Federvieh, auf den sich die Wut konzentriert. Der von der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie „abwärts“ auf alle Ebenen durchdeklinierte Schutzschirm zur Erhaltung natürlicher Lebensräume sowie wild lebender Tier- und Pflanzenarten, wird im Marchfeld stark beschossen. Aus Sicht der betroffenen Anrainer ist nachzuvollziehen, dass sie sich „veräppelt“ fühlen, weil ihre Lebensqualität dem Überleben einer höchst seltenen Vogelrasse „geopfert“ wird. Noch sind die Marchfelder zu wenig vom Aussterben bedroht, um eine Chance gegen die Richtlinie zu haben. Doch zunehmend spannungsreich wird die Kraft des Naturschutzes dort betrachtet, wo es um das Überleben des Planeten geht.
Der Schutz des Klimas stellt zunehmend die politischen und wirtschaftlichen Weichen. Entsprechend groß sind die Ziele, wenn es um die Dekarbonisierung beziehungsweise die Reduktion der CO2-Emissionen geht. Bis 2030 soll die österreichische Stromversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen gespeist werden und 2040 soll Österreich klimaneutral sein. Im März 2021 wurde vor diesem Hintergrund das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) im Ministerrat beschlossen, das den legistischen Rahmen für einen echt ambitionierten Plan liefert.
Um 27 Terawattstunden (TWh) soll die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und unter Beachtung strenger ökologischer Kriterien bis 2030 gesteigert werden. 11 TWh sollen dabei auf Photovoltaik, 10 TWh auf die Windkraft, 5 TWh auf die Wasserkraft und 1 TWh auf die Biomasse entfallen.
Im Plan stecken gigantische Ausbaumaßnahmen und vor allem bei der Wind- und der Wasserkraft kreuzen sich Naturschutz und Klimaschutz die Klingen – mit der Gretchenfrage, der sich Umweltschutzorganisationen oder Grüne noch nicht wirklich öffentlich wahrnehmbar beschäftigt haben: Was ist wichtiger – die Rettung seltener Tier- und Pflanzenarten oder die Rettung des Klimas? Der Ausbau der Wind- und Wasserkraftanlagen müsste zwingend im Sinn aller Klimaschützer sein, weil ohne sie ein Ausstieg aus dem fossilen Energiewahnsinn nicht möglich und diese Form der Energiegewinnung zur Erreichung der Klimaziele noch alternativlos ist.
Offen ist allerdings, ob der Klimaschutz als öffentliches Interesse angesehen werden und in logischer Konsequenz anerkannt werden muss, dass Windkraft und Wasserkraft zum Erreichen dieses öffentlichen Interesses beitragen.
So können die Klimaziele nicht erreicht werden. Prickelnd wird vor diesem Hintergrund etwa, wie es „auf“ der Koralm weitergeht. Nach einer Verfahrensdauer von neun Jahren wurde Mitte September 2021 dem Koralm-Pumpspeicherkraftwerk die Umweltverträglichkeit bescheinigt. Der Beitrag des größten Speicherkraftwerks Mitteleuropas für die Unabhängigkeit von den fossilen Energieträgern ist unbestreitbar hoch. Die Kapazität wiegt schwer und doch ist es federleicht denkbar, dass der Alpensalamander, der auf der Koralm heimisch ist, als schlagendes Argument gegen den Bau ins Spiel gebracht wird, ihn jedenfalls verzögert oder möglicherweise sogar zu Fall bringt. Das offenkundige Dilemma von Umweltschutzorganisationen, NGOs und Grünen wird damit zum Dilemma für die Klimaziele, die zu erreichen sie woanders auf die Straße gehen.
Es sind skurrile Pattsituationen. Selten war die urpolitische Herausforderung, abzuwägen, was wichtig ist und was wichtiger, so spannend. Von den B8-Betroffenen im Marchfeld wird wohl kaum jemand mit angespitztem intellektuellem Interesse diesen Diskurs verfolgen. Sie sind verzweifelt – wegen der seltenen Vögel und vor allem wegen der unfähigen. Was im Marchfeld passiert ist, ist peinlich. Höchstpeinlich, um genau zu sein.