Fotos: Michael de Werd
Der Boden Österreichs ist voller Reste der Vergangenheit. Die Funde aus Hallstatt gaben einer ganzen Epoche ihren Namen, die Venus von Willendorf ist die wohl berühmteste prähistorische Plastik der Welt, und zahlreiche Städte gehen zurück auf römische Gründungen. Was bedeutet es aber für die Gemeinden, wenn Archäologen aufkreuzen? Ruhm und Reichtum oder vor allem Ärger in Form von Bauverzögerungen? Vor ein paar Monaten bekam das Thema eine neue Aktualität, als der römische Limes zum UNESCO-Welterbe erklärt wurde.
Von Michael de Werd
Die drei wichtigsten Limesorte in Österreich sind die Legionsstädte Lauriacum, Vindobona und Carnuntum. Deren Lage hätte aber kaum unterschiedlicher sein können. „Das Besondere an Carnuntum ist, dass nur eine kleinen Fläche im Mittelalter und in der Neuzeit überbaut wurde“, erzählt Eduard Pollhammer, der wissenschaftliche Leiter der Ausgrabungen dort. An der Stelle, wo sich die Bernsteinstraße mit der Donau kreuzt, wurde es zur Hauptstadt der Provinz Oberpannonien. An die große Vergangenheit erinnern u.a. das Heidentor und die beiden Amphitheater. Am populärsten bei den Besuchern ist aber der archäologische Park, in dem Teile der Zivilstadt rekonstruiert wurden.
Rekonstruktionen als Schutz. Wie Pollhammer erzählt, hat man bewusst das Viertel in der Form nachgebaut, wie es im späten 3. Jahrhundert ausgeschaut haben muss. Allerdings gab es auch ganz praktische Motive. Seit sie freigelegt waren, hatten die Häuserreste stark zu leiden unter der Witterung: „Nach langen Überlegungen hat man sich entschlossen, Rekonstruktionen zu bauen, die aber gleichzeitig Schutzbauten für das originale Mauerwerk sind.“ Es wurde auch bewusst mit traditionellen Methoden gearbeitet: „Die Fußbodenheizungen, die nachgebaut sind, sind voll funktionstüchtig. Auch das war ein enormer Erkenntnisgewinn.“
Für die Gemeinde Petronell-Carnuntum ist der archäologische Park der größte Arbeitgeber und die wichtigste Steuerquelle. Für Bürgermeister Martin Almstädter ist es aber mehr als das: „Es ist unsere Identität. Wir sind wirklich Carnuntum.“ Wobei der archäologische Reichtum auch Nachteile hat: „Wir haben noch genau drei Hoffnungsgebiete, wo gebaut werden kann. Und damit muss ich als Bürgermeister mit viel Sorgfalt umgehen. Wir müssen darauf achten, dass auch noch für unsere Kinder und Kindeskinder Bauflächen vorhanden sind.“
Archäologie als Feuerwehr. Von solchen Umständen kann man in Wien nur träumen. „Archäologie findet hier auf Baustellen statt“, erzählt die Stadtarchäologin Karin Fischer Ausserer. „Nur dann wird der Boden geöffnet und dann kann man Archäologie betreiben. Wir sind deswegen oft wie die Feuerwehr unterwegs.“ Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde und den Grundbesitzern würde aber ausgezeichnet funktionieren: „Wir bringen uns schon in die Planungsphase ein. Aufgrund von unseren Datenbanken können wir genau sagen, was sich wo befand und wie viel Zeit wir brauchen würde, um Archäologie zu betreiben. Dadurch gibt es keine Baustopps oder Verzögerungen.“
Bei der Bevölkerung stoßen die Grabungen immer auf großes Interesse: „Wir haben einmal ein Brandgrab gefunden, das ausschaute, als wäre die Bestattung erst vor einer Woche passiert. Am Abend hatten wir Angst, das Grabungsfeld zu verlassen wegen Grabräubern, aber die Anrainer haben sich bereit erklärt, es zu bewachen.“ Für Fischer Ausserer sind Archäologen eine Art „Detektive der Vergangenheit“: „Wir können diesen Menschen – egal ob sie in der Jungsteinzeit als erste Siedler gekommen sind, in der Römerzeit als Legionäre hier gelebt haben oder im Mittelalter – wieder eine Stimme geben.“
Momentan findet eine Grabung am Bauernmarkt statt, wo man beim Bau einer Fernkälteleitung auf römische Mauern gestoßen ist. „Eine gehört zu einem riesigen Keller mit sechs Meter Tiefe“, erzählt der Grabungsleiter Martin Mosser. „Das Ganze ist 600 Meter groß, und wir wissen nicht, welche Funktion er gehabt hat.“ Obwohl von der Ruhe, die man an einer Grabungsstätte vielleicht erwarten würde, keine Spur ist, arbeiten Bauarbeiter und Archäologinnen brüderlich Seite an Seite.
Archäologische Naturparks. Wenige Orte haben eine so reiche Vergangenheit wie Enns, das als Lauriacum schon 30.000 Einwohner hatte. Dank der Heiligen Florian und Severin spielte es eine bedeutende Rolle beim frühen Christentum, und wegen einer Urkunde aus dem Jahr 1212 gilt es als die älteste Stadt Österreichs. Und nirgendwo ist die Geschichte so präsent wie in der Basilika St. Laurenz. Auf den Resten eines Hauses aus dem 2. Jahrhundert entstand im 4. Jahrhundert die erste Kirche, die später gotisch umgebaut wurde. Seit 1968 sind in der Absis die alten römischen Mauern sichtbar.
Das besondere an Enns ist aber, dass fast alle Funde vor Ort bleiben im Museum Lauriacum. „Die Bevölkerung schätzt die Tradition und hilft mit, dieses Erbe zu erhalten“, erzählt Reinhard Kneif, der Obmann des Museumsvereins. „Wir sind auch der größte Kulturverein mit 450 Mitgliedern.“ Reinhard Harreither, der wissenschaftliche Leiter, betrachtet vor allem die Wandmalereien als Höhepunkte der Sammlung: „Das Deckenfresko vermittelt einen sehr realitätsnahe Vorstellung, wie es in einem vornehmen Haushalt ausgesehen hat … Das ist etwas, was es in Österreich eher selten gibt, und für Vergleichsbeispiele müssen wir schon nach Pompeji und Herculaneum.“
Die größte Grabung der letzten Jahre war auf dem Gelände der Firma Böscher-Hoffmann, die auch die Kosten übernahm und die Funde dem Museum schenkte. Trotzdem bedauert Harreither die ständige Ausbreitung des Siedlungsraums: „Man sieht, dass archäologische Bauten freigelegt werden. Sie werden dokumentiert und wissenschaftlich erfasst, und wir haben schöne Funde für das Museum. Und danach wird es zerstört und es wird etwas darüber gebaut. Das ist etwas, was mir als Archäologe wehtut. Darunter sind römische Bauten, die vielleicht in 50 oder 100 Jahren untersucht werden können mit ganz anderen Methoden.“
Der beste Schutz wäre wenn man wirklich sagt, dass sind Bereiche, die wie ein Naturpark nicht verbaut werden dürfen.“