wirtschaft politik service

peterschreiber.media - stock.adobe.com

Virus des Hasses

Angst frisst nicht nur die Seele auf. Durch Hass-Postings, Beleidigungen, Beschimpfungen oder Drohungen ausgelöste Angst nagt auch schon gefährlich an der Demokratie. Digital wie analog sind Österreichs Kommunalpolitiker mit einer steigenden Zahl an Übergriffen konfrontiert. „Das Netz“ entfesselte die düstersten Seiten mancher Menschen in rasender Geschwindigkeit. Der Kampf gegen den Hass gestaltet sich vergleichsweise zäh.
Von Alexandra Keller

Wir sollten einander alle mit mehr Warmherzigkeit und Mitgefühl begegnen“, sagt Tytti Tuppurainen. Tuppurainen ist Europaministerin im finnischen Parlament. Dass die Politikerin des Nordlandes hier erwähnt wird, mag verwundern, doch das hat einen guten Grund. Denn auf der Suche nach Vorschlägen, wie der hasserfüllten und digital brutal entfesselten Wutwelle gegen Politiker begegnet werden könnte, herrscht zwar auch in Österreich angemessen erhitztes gesetzgebendes Treiben, doch aus schlicht menschlicher Sicht eben auch ein großes Schweigen. Die diesbezüglich verschärfte Gesetzeslage ist ein wichtiges Instrument, um den mit digitalen Drohgebärden beginnenden Gefahren zu begegnen. Es scheint auch so unerlässlich wie staatstragend, Zivilcourage oder Anstand einzumahnen und mit einem Lichtermeer die bösartige Finsternis zu erhellen. Doch hemmt die Wucht des offenen Hasses erst einmal alle Gegenwehr.
 
In der Anonymität ganz stark. Mit offenem Mund entsetzt zu staunen, ist ja auch eine nachvollziehbare Reaktion auf die hasserfüllten Inhalte, die seit einiger Zeit „im Netz“ verbreitet werden. Mit ein paar lockeren Klicks können dort, versteckt hinter einem warmen anonymen Kachelofen, in Sekundenschnelle Drohungen ausgestoßen werden, die die Betroffenen anhaltend lähmen.

Auch einen Bundeskanzler muss es zutiefst erschüttern, wenn ihm per E-Mail geraten wird, „gut auf seine Kinder aufzupassen“. Dass die Morddrohungen gegen ihn und ihm Nahestehende die Rücktrittsentscheidung befeuerten, ist von Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober bekannt. Rassistische und sexistische Beleidigungen und Drohungen zählen auch zum Alltag Justizministerin Alma Zadić’. Die Gefühle, die ein in rechtsextremen Kreisen wohlbekannter Mann ausgelöst haben muss, als er in einem Blog schrieb, dass die damals schwangere Ministerin die Geburt ihres Kindes „sicher nicht“ erleben würde, sind kaum auszumalen.

Bis zur Gemeindeebene. Quer durch die Reihen der Gewählten ziehen sich die beunruhigenden Spuren dieser Grenzüberschreitungen. Personenschutz in allen Spielarten muss für Mitglieder der Bundesregierung stets bereitgehalten werden. Und nachdem im Dezember 2021 der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter und sein Stellvertreter Josef Geisler Opfer ziemlich konkreter Morddrohungen geworden waren, wurde klar, wie sehr diese Vorsichts- und Schutzmaßnahmen auch bei Mitgliedern von Landesregierungen notwendig sein können.

Und die dritte Ebene? Die Kommunen? „Gerade die aktuellen Drohungen gegen Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter sind zutiefst besorgniserregend“, weiß der Präsident des Österreichischen Gemeindebundes, Alfred Riedl, dass die Gemeindeebene ganz und gar nicht verschont bleibt.

Riedl hält zudem fest: „Die Entwicklungen schrecken immer mehr Funktionsträgerinnen und Funktionsträger sowie Kandidatinnen und Kandidaten ab, sich für die Kommunalpolitik zu engagieren oder führen sogar zu ersten Rücktritten. Die Anfeindungen reichen von Spott in sozialen Netzwerken bis hin zu Todesdrohungen.“
Hohe Dunkelziffer. Zwischen September 2020 und August 2021 hat der gemeinnützige Verein ZARA, die Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich für eine rassismuskritische Gesellschaft, für Zivilcourage und gegen Hass im Netz einsetzt, 2.125 Hass-im-Netz-Meldungen registriert.

„Erfahrungsgemäß wird nur ein Bruchteil aller Vorfälle gemeldet“, stellt ZARA-Geschäftsführerin Caroline Kerschbaumer klar. Die Dunkelziffer rüttelt durchaus am kommunalen Fundament, das 2022 in Tirol und dem Burgenland neu gegossen respektive gewählt wird. Es werden die ersten Wahlen sein, die in einer Zeit der allgemeinen Verunsicherung – in der Bugwelle der Corona-Pandemie – stattfinden.

Auf die Frage, mit welchen Hoffnungen und Befürchtungen er diesen Wahlgängen entgegensieht, sagt Gemeindebund-Präsident Riedl: „Tatsache ist: Der Umgangston zwischen den Impffronten wird aggressiver. Ob sich diese Entwicklung im Rahmen der Gemeinderatswahlen verstärken wird, wird sich zeigen. Es bleibt aber zu hoffen, dass die unzufriedenen Bürgerinnen und Bürger das demokratische Prinzip der Wahlen nutzen, um ihren Unmut friedlich auszudrücken – ganz ohne Hass und Drohungen gegen die zu wählenden Personen.“
Dass Riedl das demokratische Prinzip friedlicher Wahlen derart betonen muss, macht ein wenig stutzig. Seine Hoffnung, dass die Wahlen ohne Hass und Drohungen über die Bühne gehen, tut das ebenso. Die Rolle, welche die FPÖ beim Schüren der Aggressionen in zwar berechnender in den Folgen aber unberechenbarer Art spielt, ist eine eigene Geschichte und erinnert erschreckend an den Beitrag der Partei bei der Entfesselung rechtsideologischer Strömungen, die seit Ende der 1980er Jahre nicht mehr einzufangen sind.

Die Lage spitzt sich zu. Ende Dezember 2021 erst haben der Gemeindebund und die Bundesministerien für Justiz sowie Verfassung in Kooperation mit ZARA einen Ratgeber zum Hass im Netz herausgegeben. „Die vorliegende Broschüre soll allen, die in der Kommunalpolitik tätig sind, Hilfemöglichkeiten und Handlungsoptionen aufzeigen, was sie tun können, wenn sie von Hass im Netz betroffen sind“, heißt es darin einleitend.

Der Ratgeber liefert nicht nur einen umfassenden Einblick in die Begrifflichkeiten oder die Gesetzeslage, es werden auch die Auswirkungen von Hass im Netz skizziert und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt und Beispiele an Anfeindungen und Übergriffen genannt.

Betroffene müssen unterstützt werden. Die tote Maus in der Post des Bürgermeisters von Eidenberg, die 25-mal zerstochenen Autoreifen eines niederösterreichischen Vizebürgermeisters, die Säureattentate auf Gemeindemandatare aus Weißkirchen, die vergiftete Packung „Mon Chéri“ für den Bürgermeister von Spitz an der Donau, die Morddrohungen gegen den Bürgermeister von Harmannsdorf oder die fünf Bombendrohungen gegen das Gemeindeamt von Arnoldstein sollen nicht zu anhaltender Gänsehaut, sondern vielmehr zu aktiver Gegenwehr animieren – zum Aufzeigen, zum Anzeigen. Und der Ratgeber wirkt. „Dass wir gemeinsam mit Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, Justizministerin Alma Zadić und dem Verein ZARA die Aufmerksamkeit auf diese Problematik gelenkt haben, hat den Betroffenen gezeigt: Ihr seid nicht alleine. Wir helfen euch. Das hat viele Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker zuversichtlich gestimmt“, sagt Alfred Riedl.

Massive Auswirkungen. Die betroffenen Bürgermeister sind echt nicht allein. Schon 2019 hatte eine Umfrage des Gemeindebundes ergeben, dass 75 Prozent der Amtsträger immer häufiger Hass im Netz ausgesetzt sind und 76 Prozent sich immer mehr online an den Pranger gestellt fühlen.

Die Auswirkungen von Hass im Netz sind nicht nur für die Demokratie fatal. „Für direkt Betroffene kann Hass im Netz extrem belastend, einschüchternd und verletzend sein. Das führt oft dazu, dass sich Betroffene aus dem Internet zurückziehen – dieses Phänomen bezeichnet man als Silencing. Hass im Netz kann auch schwere psychische und körperliche Auswirkungen haben: von Depressionen über posttraumatische Belastungsstörungen bis zu Suizidgedanken“, heißt es im Ratgeber, in dem auch der „breite Effekt“ beschrieben wird: „Hass im Netz hat massive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft: Menschen gewöhnen sich an Hass im Netz, verlieren an Empathie und wenden Hassreden in Folge vermehrt selbst an – sogar das Aggressionspotenzial steigt laut Studien an.“

Dass sich eine Gesellschaft an Unsagbares gewöhnen kann, zeigen nicht nur die vergangenen Jahre, in denen rechtspopulistische Wortwahlen allerorts salonfähig wurden und die westlichen Demokratien in ihren Wurzeln bedrohen. Die Rückschritte passieren in Siebenmeilenstiefeln, die Messer werden vermehrt online gewetzt. Gegenüber Frauen mit noch fieserer Kraft. „Die Umfrage zeigte auch, dass Bürgermeisterinnen dieses Problem (Hass im Netz ausgesetzt zu sein – Anm.) stärker empfanden als ihre männlichen Kollegen. Der gesamtgesellschaftliche Trend, dass Frauen stärker von Hass im Netz betroffen sind, gerade wenn sie sich politisch äußern, wird damit auch in der Kommunalpolitik bestätigt“, sagt ZARA-Geschäftsführerin Kerschbaumer mit Blick in die Umfrage des Gemeindebundes aus dem Jahr 2019. Von sexistischen Übergriffen wissen männliche Amtsträger so gut wie nie zu berichten. Weibliche so gut wie immer.

Niemals daran gewöhnen. Ein Blick nach Finnland zeigt, dass auch das diesbezüglich fortschrittlichste Land Europas von dem autoritären, frauenfeindlichen Hassvirus nicht verschont bleibt. Im Gegenteil. Für den „Standard“ hatte die Buchautorin und Journalistin Susanne Kaiser im Jänner 2022 die Situation in Finnland analysiert, das in puncto Gleichberechtigung die Weltspitze anführt. Doch auch in puncto Misogynie und frauenfeindliche Online-Hetze gegen Politikerinnen ist das Nordland spitze. „Was wir da sehen, ist der Versuch, uns einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Das muss unbedingt ernst genommen werden. Drohungen und Hassreden sind nicht akzeptabel, da dürfen wir uns gar nicht daran gewöhnen“, zitiert Kaiser die eingangs erwähnte finnische Europaministerin Tytti Tuppurainen.Auch sie wird regelmäßig mit Vergewaltigung bedroht und empfindet Angst, Scham und Wut, wenn sie mit digitaler sexueller Gewalt konfrontiert ist. Natürlich tut sie das. „Ich werde aber nicht passiv dadurch, sondern ich tue etwas dagegen“, sagt sie, kämpft und liefert eben jenen so schwer zu findenden menschlichen Lösungsansatz für eine bessere Diskussionskultur und gegenseitigen Respekt. Wohl wegen der Brutalität des Cyberhasses klingt er im ersten Moment blauäugig. Rasch tut er das nicht mehr: „Wir sollten einander alle mit mehr Warmherzigkeit und Mitgefühl begegnen.“ 


Straftatbestände

Cyber-Mobbing. Der Straftatbestand Cyber-Mobbing (§ 107c StGB3) beinhaltet das bewusste Beleidigen, Bloßstellen oder Belästigen im Internet, wodurch die Lebensführung des:der Betroffenen unzumutbar beeinträchtigt wird. Cyber-Mobbing ist strafbar und kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden, wenn es „öffentlich” begangen wird. „Öffentlichkeit“ bedeutet rechtlich, dass es für ca. zehn Personen wahrnehmbar ist. Bei Cyber-Mobbing sind Betroffene oft rund um die Uhr einer hohen emotionalen und psychischen Belastung ausgesetzt, da online hochgeladene Inhalte für viele Menschen über einen langen Zeitraum sichtbar sind.

Verhetzung. Der Straftatbestand der Verhetzung (§ 283 StGB) verbietet, gegen bestimmte geschützte Gruppen oder deren Mitglieder zu Gewalt aufzufordern, zu Hass aufzustacheln oder diese verhetzend zu beschimpfen. Geschützte Gruppen werden z. B. nach Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit, nationaler oder ethnischer Herkunft definiert. Auch Hetze gegen geflüchtete Personen und Asylwerber:innen ist vom Anwendungsbereich erfasst. Im Rahmen des Gesetzespakets gegen Hass im Netz wurde der Anwendungsbereich der Verhetzung erweitert: Es sind nun auch bestimmte Beschimpfungen von Einzelpersonen vom Tatbestand erfasst, wenn diese aufgrund der (zugeschriebenen) Gruppenzugehörigkeit getätigt wurden (gemäß § 283 Abs 1 Z 1 StGB).

Beleidigung. Beleidigungen sind gemäß § 115 Abs 1 StGB strafbar. Als Beleidigung zählt es dann, wenn eine Person öffentlich oder vor mehreren Leuten beschimpft, verspottet, körperlich misshandelt oder damit bedroht wird. Eine Beleidigung ist ein sogenanntes Privatanklagedelikt (das heißt, dass die Strafverfolgung ausschließlich auf Betreiben der Betroffenen erfolgt, die das Prozessrisiko zu tragen haben).

Verbotsgesetz (VerbotsG). Das Verbotsgesetz verbietet verschiedene Handlungen im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. U. a. ist nationalsozialistische Wieder-betätigung strafbar. Darüber hinaus verbietet es, den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu leugnen, gröblich zu verharmlosen, gutzuheißen oder zu rechtfertigen.