Michael de Werd
Es gibt wenige Sektoren der Wirtschaft, die so stark von der Corona-Pandemie betroffen sind wie der Tourismus. Deswegen mag es überraschen, wenn in einem Fremdenverkehrsort Optimismus herrscht. Vieles deutet aber darauf hin, dass Semmering, der traditionsreiche Kurort an der Grenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark, auf der Schwelle einer richtigen Renaissance steht und vielleicht auch ein Beispiel für andere Ortschaften ist.
Von Michael de Werd
Ohne Eisenbahn hätte es die Gemeinde Semmering nicht gegeben. Als 1852 die erste Gebirgsbahn der Welt eröffnet wurde, entstand an der höchsten Stelle innerhalb weniger Jahre ein mondänes Bergresort mit Luxushotels und Villen. Beim Wintersport oder bei Modesportarten wie Autorennen oder Golf spielte Semmering eine Pionierrolle. Es war aber vor allem die kulturelle Elite von Wien, die dem Ort seinen Glanz verlieh. Das goldene Zeitalter dauerte aber nur wenige Jahrzehnte. Durch die Weltkriege und die Konkurrenz von moderneren Destinationen versank der Ort in eine Art Dornröschenschlaf.
Die drei großen alten Hotels sind momentan alle geschlossen. Aber gerade hier ist vieles in Bewegung gekommen. 2019 wurde das Kurhaus vom Grazer Hotelier Florian Weitzer übernommen, der es in wenigen Jahren als Grandhotel wiedereröffnen will. Vor ein paar Wochen bekam auch das Südbahnhotel einen neuen Besitzer. Das Panhans befindet sich in den Händen eines ukrainischen Konsortiums, das auch die Bergbahnen und eine ganze Reihe anderer Objekt in Semmering aufgekauft hat. Von vielen wurde dieser Ausverkauf mit Argusaugen betrachtet.
Junge Gäste in einer alten Umgebung. Bürgermeister Hermann Doppelreiter sieht dies eher gelassen: „Jetzt gibt es eine sehr gute Gesprächsbasis mit den beiden Geschäftsführern, die vor Ort sind. Wir sind optimistisch, dass das Panhans und die anderen Hotels der Gruppe revitalisiert und wieder in Betrieb genommen werden.“ Auch für die Gemeinde wäre dies von größter Wichtigkeit: „Wir haben 550 Hauptwohnsitze, aber über 1.000 Zweitwohnsitze. Auf der einen Seite müssen wir eine Infrastruktur für ca. 1.500 Personen erhalten, aber über den Finanzausgleich bekommen wir nur Geld für die Hauptwohnsitze. Ich bin aber überzeugt, dass sich dies mit der Entwicklung der Hotels ändern wird, weil jedes Hotel eine große Anzahl an Bediensteten braucht.“
Obwohl Semmering laut Doppelreiter zu einem großen Teil von seiner Vergangenheit lebt, hätten auch neue Gäste die Umgebung entdeckt: „Die Leute wollen Kurzurlaub machen – drei, vier Tage. Und wir bemerken, dass speziell junge Leute kommen. Vor zehn Jahren hatten wir noch ein vorwiegend älteres Publikum, aber das wandelt sich nun extrem. Vor allem am Wochenende sind viele Familien mit jungen Kindern hier.“ Auch die vielen Mountainbiker-Strecken würden hauptsächlich jugendliche Touristen anziehen.
Eine jüdisch dominierte Künstlerkolonie. Wenn es aber etwas gibt, was Semmering einmalig macht, dann ist es das Kulturangebot. Jedes Jahr, wenn das Festival Kultursommer stattfindet, gibt sich das Who is who des kulturellen Östereichs die Klinke in die Hand. Wie Festivalleiter Florian Krumpöck erzählt, hätten viele ihn für verrückt erklärt, als er gerade hier ein Festival in dieser Größe aufziehen wollte: „Ich habe mir aber gedacht, dass es nur einen Sinn hat, wenn man es ganz groß macht, weil man sonst einfach keine Aufmerksamkeit bekommt.“
Durch persönliche Kontakte war es möglich, immer mehr große Namen nach Semmering zu locken: „Es ist wie eine Familie, die sich erweitert hat. Es gab Empfehlungen unter den Künstlern und es war plötzlich ein Muss mit dabei zu sein. Und die Besucherzahlen haben Krumpöck recht gegeben: „Wir sind im kulturellen Bereich ein gallisches Dorf wie bei Asterix. Während es in Niederösterreich einen Rückgang von 50 % gab, hatten wir 2020 einen Publikumszuwachs von 25 % und 2021 nochmals um 25 %. Wir sind vom einen Rekord zum nächsten gegangen“
Mit dem Festival möchte Krumpöck bewusst anschließen an die große Vergangenheit: „Um die Jahrhundertwende war Semmering eigentlich eine jüdisch dominierte Künstlerkolonie, die sich zur Sommerfrische dort eingefunden hat und sich gegenseitig inspiriert hat. Meine Idee war es, eine Künstlerkolonie von heute dort zu versammeln.“ Dabei soll der intime Charakter erhalten bleiben: „Die Idee des Festivals ist es, die Barriere zwischen Auditorium und Bühne aufzuheben, damit die Besucher nachher mit den Künstlern ins Gespräch kommen. Man trinkt ein Glas Wein und erlebt gemeinsam die Sommerfrische.“
Die alte Sommerfrische als neuer Trend. Bisher kommen über 70 % der Besucher aus Wien, wobei die meisten noch am gleichen Tag zurückfahren. Für den Tourismus wäre es ein großer Vorteil, wenn die Festivalgäste gleich ein paar Tage bleiben. Und kein Ort wäre dazu besser geeignet als das Südbahnhotel. Wie der neue Besitzer Christian Zeller erzählt, hat es auch Vorteile, dass in der Vergangenheit so wenig modernisiert wurde: „Da der Voreigentümer das Haus 30 Jahre lang in einem relativ gutem substantiellen Zustand bewahrt hat, haben wir hier noch vieles in seinem historischen Zustand … Wir möchten die Geschichte spürbar machen für alle Besucher, die ein bisschen nostalgisch in die Vergangenheit eintauchen wollen, aber mit allen modernen Anforderungen.“
In mancher Hinsicht würde Semmering aber genau dem Zeitgeist entsprechen: „In den 70er und 80er Jahren war es schick ins Ausland zu fliegen, aber mittlerweile besinnt man sich auf Destinationen in der Nähe. Es gibt den Umweltschutzgedanken, wo man nicht mehr jedes Wochenende einen Städteflug machen muss, sondern eine Stunde mit der Bahn fährt in eine Gegend, die ganz anders ist.“ Und auch der Klimawandel und die heißen Sommer würden sich auswirken: „Da sind wir wieder bei der alten Idee der Sommerfrische, was Semmering immer gewesen ist. Eine Gegend, wo man keine Klimaanlage braucht. Wo es im Sommer möglicherweise auch 30° Grad haben kann, aber am Abend die Temperaturen wieder abfallen.“