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Fast ein Jahr ist das Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPl-G) in Österreich in Kraft. Es gibt Opfern von Hass im Netz jene Waffen in die diesbezüglich bis dato gefesselten Hände, um sich gegen strafbare Kommentare, die Kommentatoren und die Plattformen als Überbringer der Botschaften zur Wehr zu setzen.
von Alexandra Keller
Anfang Februar 2022 durfte sich Ex-Grünen-Obfrau Eva Glawischnig über ein Grundsatzurteil freuen – und den ersten Lichtblick am Ende des unheimlichen Cyberhass-Tunnels.
Die Parallelität wirkt irgendwie bizarr. In Österreich und Deutschland war der 2. Februar 2022 ein großer Tag für den Kampf gegen Hass im Netz. In Österreich und Deutschland waren es ehemals an der Spitze der Grünen Parteien stehende Frauen, die diesen Tag ganz individuell zelebrieren durften. Und in Österreich wie in Deutschland waren es Grundsatzurteile im Zusammenhang mit Hass-Postings auf Facebook, die diesen Mittwoch über die persönliche Ebene der beiden Frauen hinaus als kleinen Meilenstein markierten – und Hoffnung auf ein Eindämmen der zunehmend ausufernden Kraft des Cyberhasses wecken.
Skandalöser Marathon. In Deutschland war es die Grünen-Politikerin Renate Künast, die Facebook im Jahr 2016 den Fehdehandschuh hingeworfen und Anfang Februar 2022 einen ersten Sieg errungen hatte. Er war hart erkämpft und ist auch ein Beispiel für die echt steinigen Wege, die zwischen einer so flott wie hinterhältig ins Netz gestellten massiven Beleidigung, ihrer blitzschnellen Verbreitung und der Chance auf Gerechtigkeit gegangen werden müssen.
Der Ausgangspunkt dieser Cyberhass-Causa liegt viele Jahre zurück und der Hintergrund zeigt, wie fies Fake News funktionieren. Für die zerstörerische Weltwucht falscher Nachrichten wird die Begründung des russischen Überfalls auf die Ukraine wohl das tödlichste Beispiel liefern. Auch für die Wucht, mit der Einzelpersonen durch Fake News „getroffen“ werden können, gibt es Beispiele. Wie eben das der Renate Künast.
Im Rahmen einer Pädophilie-Debatte, die 1986 im Berliner Abgeordnetenhaus stattgefunden hatte, war folgende Aussage Künasts protokolliert worden: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“ Dieser kurze Satz wurde knapp 30 Jahre später aus dem Zusammenhang gerissen und von einem Netzaktivisten auf der Facebook-Seite „Widerstand deutscher Patrioten“ mit folgenden Worten ergänzt: „Ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt“.
Der Shitstorm, der nach dem Posten dieser Falschmeldung, die Künast unterstellte, Pädophilie zu relativieren, über sie hereinbrach, war extrem. Bezeichnungen, wie „Pädophilen-Trulla“, „geisteskrank“ oder „altes grünes Dreckschwein“, flirrten durchs Netz. Facebook brauchte drei Tage, um den von Künast beanstandeten Beitrag zu löschen, und im Dezember 2016 erstattete sie als erste Betroffene Strafanzeige gegen die Betreiber der Facebook-Seite und gegen Unbekannt.
Dieser erste Gang durch die Gerichte wurde zu einem skandalösen Marathon, hatte das Berliner Landgericht die teils obszönen Beschimpfungen doch lediglich als „haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch Hinnehmbaren“ eingestuft. In der nächsten Instanz konnte Künast zwar einen Zwischenerfolg erringen, indem ein Teil der Posts als strafbare Beleidigungen bewertet wurde. Bei anderen Posts wurde ihr der Anspruch darauf, von Facebook die Daten der Post-Schreiber zu erhalten, jedoch verweigert.
Unterstützt von der Nichtregierungsorganisation HateAid legte Künast 2019 Beschwerde beim deutschen Bundesverfassungsgericht ein, das ihr Anfang Februar 2022 recht gab. Die Urteile der beiden Erstgerichte wurden aufgehoben. Sie müssen nun neu entscheiden und die Chancen, dass Künast weitere Nutzerdaten erhält, um dann direkt gegen jene vorgehen zu können, die sich durch ihre Kommentare potenziell strafbar gemacht haben, werden als hoch eingestuft.
Alle Instanzen. Im Vergleich zum Fall ihrer deutschen Grünen-Kollegin konnte Eva Glawischnig am 2. Februar 2022 einen größeren Schritt setzen beziehungsweise einen größeren Sieg feiern. Auch Glawischnig musste in ihrem Kampf gegen Facebook alle gerichtlichen Instanzen „nehmen“. Auch sie hatte 2016 den ersten Klags-Schritt gegen Facebook gesetzt und auch sie war mit unter- und übergriffigen Beleidigungen konfrontiert worden, die sich rasend schnell verbreitet hatten. Mit „Trampel“, „miese Volksverräterin“ und ähnlichen verbalen Untergriffen sah sich Glawischnig dabei auf der Online-Plattform konfrontiert.
In erster Instanz war Facebook verurteilt worden und ging in Berufung. Der Gerichtsreigen führte zum Obersten Gerichtshof und zum EuGH, der klarstellte, dass auch nationale Gerichte eine weltweite Löschung von Hasspostings verfügen können. So kam die Causa zurück zum Handelsgericht Wien, wo erneut bestätigt wurde, dass Facebook die inkriminierten Postings weltweit zu entfernen habe.
Zudem wurde angeordnet, das Urteil für sechs Monate auf der Facebook-Startseite so zu veröffentlichen, dass es für Nutzer ohne Scroll-Aufwand ersichtlich ist – in großer Schrift und fett geschrieben, „um das Umsichgreifen der Meinung, man könne sanktionslos Hasspostings veröffentlichen, zu verhindern“. Das Urteil verpflichtet das für die Europa-Plattform zuständige Facebook-Unternehmen Meta Ireland zudem dazu, den Namen und die Adresse hinter dem Account, von dem das Hassposting stammte, herauszugeben.
Abschreckende Wirkung. Anfangs hatte Meta Ireland neuerlich zu verstehen gegeben, mit dem Urteil „nicht einverstanden“ zu sein. Auch darum waren alle am Verfahren Beteiligten überrascht, dass Meta Ireland das Urteil akzeptierte und es am 2. Februar 2022, einen Tag bevor die Einspruchsfrist ablief, auch veröffentlichte. Glawischnigs Anwältin Maria Windhager bezeichnete das als „Sieg auf voller Linie“ und laut Standard ist für die Juristin auch wesentlich, dass Facebook Schadenersatz zahlen und die Nutzerdaten herausgeben muss. Die Prüfung, ob die Veröffentlichung des Urteils weltweit publiziert werden und somit für jeden User sichtbar sein müsste, wird ebenso spannend wie die mögliche strafrechtliche Verfolgung des Verfassers oder der Verfasserin des Postings. Die abschreckende Wirkung wäre jedenfalls groß. Und gewollt.
Für Zivilcourage und gegen Hass. Den kleinen Erfolgen wohnt eine starke Signalwirkung inne, die durch das Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPl-G) befeuert wird, das am 1. April 2021 in Kraft getreten ist.
„Die Möglichkeiten, sich gegen Hass im Netz rechtlich zur Wehr zu setzen, sind in Österreich durch das neue Gesetzespaket umfassender geworden. Trotzdem schrecken viele Betroffene noch immer vor rechtlichen Schritten zurück – zum Beispiel aus Angst, die Aufmerksamkeit der Täter noch mehr auf sich zu ziehen“, weiß Caroline Kerschbaumer, Geschäftsführerin des Vereins ZARA, der Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich für eine rassismuskritische Gesellschaft, für Zivilcourage und gegen Hass im Netz einsetzt.
Gut möglich, dass weiter „prominente Prozesse“ nötig sind, um die Hemmungen Betroffener zu minimieren und sie zur Wehrhaftigkeit zu animieren. Kanzlergattin Katharina Nehammer hat sich ebenso gewehrt. Sie hatte vergangenen Sommer einen Facebook-User geklagt, der in einem Posting behauptet hatte, sie arbeite bei Hy-giene Austria, dem Unternehmen des Ehemanns der Büroleiterin von (Ex-)Bundeskanzler Sebastian Kurz. Zudem hatte der Mann in den Netzraum gestellt, dass Katharina Nehammer an der Maskenproduktion des Unternehmens verdiene: „Uiii da wird Kohle geschefflt und das brave Volk glaubt es war für d'Gsundheit“ (sic!), hieß es in dem Posting. Dies wurde von Katharina Nehammer nicht nur als üble Nachrede empfunden. Ende Dezember 2021 bestätigte auch das Höchstgericht, dass es eine war, beendete damit dieses Hass-im-Netz-Verfahren und sah beim „Bedeutungsinhalt für einen durchschnittlichen Medienkonsumenten den Vorwurf ehrenbeleidigender Behauptungen wie Profitgier und Täuschung der Bevölkerung“ als erwiesen an.
Der Verein ZARA unterstützt. Allein zwischen September 2020 und August 2021 hat der Verein ZARA, dessen Mitarbeiter Betroffene kostenlos beraten und unterstützen, 2.125 Hass-im-Netz-Meldungen registriert. „Erfahrungsgemäß wird nur ein Bruchteil aller Vorfälle gemeldet“, sagt Kerschbaumer, die überzeugt ist, dass der erfolgreiche Kampf gegen Hass im Netz nicht nur auf rechtlicher bzw. strafrechtlicher Ebene geführt werden kann: „Es braucht viel mehr Präventions-, Informations- und Bildungsarbeit und gleichzeitig müssen die Plattformen endlich Verantwortung übernehmen. Dafür sind Regelungen auf EU-Ebene, wie der geplante Digital Services Act (DSA), entscheidend. Gemeinsam mit 36 weiteren, internationalen NGOs fordern wir deswegen unter anderem, dass im DSA festgehalten wird, dass illegale Inhalte EU-weit schneller entfernt werden müssen, und dass die Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden, Plattformen und Zivilgesellschaft erleichtert wird.“
Es scheint schwer zu bleiben, die rechtlichen und zivilgesellschaftlichen Grundsätze in die Netzwelt zu übertragen. Mit dem Hass-im-Netz-Gesetzespaket wurde beispielsweise auch die Möglichkeit erleichtert, ein Hass-Posting rasch löschen zu lassen. Dieses Eilverfahren beim Bezirksgericht kann durch das einfache Ausfüllen eines Onlineformulars in die Wege geleitet werden. „Das ist ein sehr einfaches Instrument, mit dem man gegen die Verletzung der eigenen Persönlichkeitsrechte vorgehen kann. Die Hassposter, die meist unter Klarnamen aktiv sind, müssen außerdem auch Gebühren für das Verfahren zahlen, sodass sie es sich beim nächsten Mal genau überlegen, was sie posten“, hielt Justizministerin Alma Zadić Mitte Dezember 2021 in einem Interview fest und appellierte an die Betroffenen, sich über dieses unkomplizierte Format zu melden. Die befürchtete Antragsflut bei den Bezirksgerichten war ausgeblieben, was angesichts der von ZARA registrierten Hass-im-Netz-Meldungen und angesichts der Dunkelziffer verwundert.
Verpflichtungen der Plattformen. Eine der wichtigsten Regelungen des Kommunikationsplattformen-Gesetzes ist schließlich, dass Betreiber von Online-Plattformen ihnen gemeldete strafrechtlich relevante Hass-Postings innerhalb von 24 Stunden löschen müssen. Ist die strafrechtliche Relevanz weniger klar, muss die Löschung innerhalb von sieben Tagen passieren. Um diesen Reigen in Bewegung setzen zu können, sind die Plattformen auch verpflichtet, den Nutzern ein Meldeformular zur Verfügung zu stellen.
Das alles klingt besser, als es in der Netz-Realität bislang ist. Die Plattformen zieren sich mit juristischen Kniffen, ihrer Verantwortung nachzukommen. Das sogenannte Herkunftsland-Prinzip ist dabei ein Instrument, mit dem sie sich aus der Affäre ziehen wollen und bis zu einem gewissen Grad auch können. Vereinfacht besagt dieses Prinzip, das die E-Commerce-Richtlinie vorsieht, dass sich die Plattformen nur an die Gesetze ihres Firmenhauptsitz-Landes halten müssen. Twitter also beispielsweise an die Gesetze Irlands, wo sich der europäische Sitz dieser und auch anderer Plattformen befindet. So richtig kompliziert wird das alles, wenn Strafen gegen eine Plattform ausgesprochen oder eingetrieben werden wollen. Dann müsste oder muss die zuständige Behörde – die KommAustria – nicht nur die EU-Kommission, sondern auch die zuständige Regulierungsbehörde im „Herkunftsland“ der Plattform informieren.
Erste Lichtblicke. Wie es scheint, werden noch zahlreiche weitere Kämpfe ausgefochten werden müssen, bevor die User sich rechtlich sicher und vor Übergriffen geschützt im Netz bewegen können. Obwohl auch Facebook das österreichische Hass-im-Netz-Paket in Abwehrhaltung empfangen hat, hatte der Konzern sich daran gehalten, den Nutzern eine Meldemöglichkeit zur Verfügung gestellt und Ende Oktober 2021 auch einen Transparenzbericht veröffentlicht. Demnach hatten Nutzer zwischen 1. April und 30. September 2021 über 18.000 Inhalte beanstandet, wobei Verhetzungen und Beleidigungen die Rangliste der Hässlichkeiten anführten. In diesem Zeitraum gab es rund 2.700 Löschungen. Auch sie zählen zu den ersten Lichtblicken am Ende des unheimlichen Cyberhass-Tunnels.
Infokasten Mission ZARA
ZARA bietet allen Betroffenen und Zeugen von Rassismus oder Hass im Netz juristische und psychosoziale Beratung an. Außerdem werden alle Meldungen systematisch dokumentiert.
Mittels aktiver Öffentlichkeits-, Bildungs- und Projektarbeit leistet ZARA einen Beitrag zur Prävention von Rassismus und/oder Hass im Netz ebenso wie zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Wir treten für die Gleichberechtigung aller Menschen ein – unabhängig von ethnischer und sozialer Zugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, sexueller Orientierung, Alter oder Behinderung.
ZARA sieht sich selbst als Verbündete und unterstützt mit den beiden Beratungsstellen all jene Menschen kostenlos, die diese Unterstützung in Anspruch nehmen möchten.
E-Mail: office@zara.or.at
Tel: 01/9291399
Infokasten: Was ist das Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPl-G)?
Das Kommunikationsplattformen-Gesetz ist ein österreichisches Gesetz, dass die rasche Löschung rechtswidriger Inhalte von Plattformen zum Ziel hat. Erfasst werden aber nur wenige große Plattformen, wie Facebook, Twitter oder TikTok.
Das Kommunikationsplattformen-Gesetz hat ähnlich dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) den Zweck, dem Phänomen „Hass im Netz“ entgegenzuwirken. Das Gesetz sieht vor, dass rechtswidrige Inhalte sehr einfach an Plattformen gemeldet und möglichst schnell gelöscht werden. Das Kommunikationsplattformen-Gesetz gilt aber nur für bestimmte große Plattformen mit über 100.000 registrierten Nutzern in Österreich (z.B. Facebook, Instagram, TikTok usw.). Nicht dem Kommunikationsplattformen-Gesetz unterliegen Onlineforen von Zeitungen, Wikipedia oder Plattformen wie Willhaben. Auch Youtube unterliegt im Hinblick auf die dort bereitgestellten Sendungen und nutzergenerierten Videos nicht dem Kommunikationsplattformen-Gesetz, weil sich dazu eigene Regelungen im Audiovisuelle-Mediendienste-Gesetz (AMD-G) finden.