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Die Sicherheitslage ist nicht berauschend. So nah am Kriegsgebiet, im Energiechaos, in Erwartung zahlreicher Folgekrisen und immer noch mitten in der ermüdenden Pandemie ist sie das auch sonst nirgendwo. Doch in Österreich wird der Übergang zu einer neuen mitteleuropäischen Ordnung von einer schwer angeschlagenen und mit sich selbst beschäftigten politischen Elite dirigiert.
Von Alexandra Keller
Es ist zu logisch. Wenn das Fundament eines Opernhauses bröckelt und vom Direktor über den Dirigenten hin zu den Singenden und Musizierenden alle damit beschäftigt sind, die Löcher an der Basis zu kitten, provisorische Stützmauern zu zimmern, Morsches zu überpinseln und Faules zu verstecken, muss die Performance auf der Bühne leiden. Selbst in einer Operettenrepublik macht sich das nicht gut. Auch für ein Land, in dem die Regierten täglich tief durchatmen dürfen, weil ihre Republik so klein ist und auch in befremdlichsten Zuständen keine Bedrohung für die Welt, kann das unangenehm werden. Vor allem jetzt.
Am 4. April 2022, als die Greuelbilder des Massakers von Butscha die Welt erschütterten, gab der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer eine hochemotionale Pressekonferenz. Nicht, um seinem Entsetzen über das Kriegsverbrechen Ausdruck zu verleihen. Nein, zwei seiner Personenschützer hatten offenkundig betrunken einen Autounfall verursacht und der Kanzler war mit den Reaktionen seiner politischen Gegner so gar nicht einverstanden gewesen. Darum die Pressekonferenz. Es war Blech, das unter den angeheiterten Sicherheitskräften zu Schaden gekommen war und der Kanzler verwendete in seinem skurril-wehrhaften Auftritt Worte wie traurig, dramatisch, niederträchtig oder unehrenhaft und bekräftigte seine Erschütterung mit dem Hinweis, dass die Angriffe „noch dazu zum Thema Sicherheit“ passiert seien.
Sicherheit sollte das Hauptthema sein. Ein gutes Thema, ein großes und brandaktuelles. Würde die österreichische Bühne nicht von nahkampfgeschulten Trunkenbolden, von im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss zur unangenehmen Wahrheit verpflichteten oder gar aus der Untersuchungshaft winkenden Ex-Minister, von nicht allzu überraschenden, aber doch erstaunlichen Parteienfinanzierungs-Skandalen oder noch erstaunlicher hohen Rücktrittshürden beherrscht, könnte das Thema Sicherheit eine Hauptrolle spielen. Angesichts der so nahen kriegerischen Auseinandersetzungen, der Gas- und Ölkrise, der Cyberattacken, der in ihrer Wucht noch nicht einschätzbaren wirtschaftlichen Turbulenzen, der massiven Gesundheitsystem- und Pflegeprobleme oder all der Auswirkungen der ermüdenden Pandemie müsste das Thema Sicherheit längst diese Hauptrolle spielen. Tut es aber nicht.
Blackout-Vorsorge. „Ganz klar sagen muss man, dass es mit Blick auf die Pandemie wegen des Versagens der Regierung nichts mehr zu gewinnen gibt. Das dabei verlorene Vertrauen wiederzugewinnen, wird ausgesprochen schwierig und zugleich hat man dabei auch gesundheitspolitisch die falschen Entscheidungen getroffen“, stellt Reinhold Einwaller, Sicherheitssprecher der SPÖ, fest und macht auch gleich auf eine weitere „offene Flanke“ aufmerksam: „Betreffend Blackout braucht es Vorsorge: bei unseren Energiekonzernen und -lieferanten und natürlich auch vonseiten der Behörden.“ Einwaller spricht beispielsweise die Ausrüstung von Polizeistationen und Kasernen mit Photovoltaikanlagen und Stromspeichern an, die im Ernstfall eines flächendeckenden und länger andauernden Stromausfalls der Bevölkerung als Energieinseln dienen könnten. „Das wurde auf SPÖ-Initiative bereits beschlossen – die Regierung müsste das jetzt nur umsetzen“, fordert der Sicherheitssprecher mehr Dampf. Diese Energieinseln sind nämlich nicht nur symbolische Rettungsanker für ein hypothetisches Szenario. Nein, das Blackout-Szenario ist fast schon zu realistisch.
Mitte Jänner 2022 erst traf sich eine hochkarätig besetzte Expertenrunde, um Blackout-Strategien und -Konzepte zu diskutieren. Knapp ein Jahr, nachdem die europäischen Stromnetze an die Grenze ihrer Belastbarkeit gekommen waren, und ein Blackout gerade noch verhindert werden konnte, hatten die Industriellenvereinigung und das Bundesministeriums für Landesverteidigung zu diesem Blackout-Gipfel geladen, um über alle Branchengrenzen hinweg darüber zu sprechen, „wie Österreich sich auf das drohende Szenario besonnen und ohne Panikmache vorbereiten könnte“.
Gleich eingangs hielt IV-Präsident Georg Knill dabei fest: „Ein Blackout ist ein ähnlich großes Risiko wie Cyberangriffe oder die Pandemie.“
Im Rahmen dieses Gipfels wurden die Herausforderungen thematisiert, denen sich Industriekapitäne genauso stellen müssen wie die Verantwortlichen für kritische Infrastrukturen, Versorgungswege, Kommunikation, Mobilität oder öffentliche Sicherheit. In dem Zusammenhang sprach beispielsweise Gerhard Christiner, Technischer Vorstand der Austrian Power Grid (APG), von einem „schmalen Grat zwischen Versorgungssicherheit und Blackout“. Er vergleicht das Zusammenspiel der europäischen Stromversorger und ihre Notfallmechanismen mit einer Alpin-Seilschaft, fordert eine langfristige Gesamtstrategie unter Einbeziehung aller Akteure, raschere Genehmigungsverfahren sowie die Nutzung aller Potentiale der Digitalisierung, um die Energieversorgung zukunftsfit zu machen.
Hochpolitische Agenden sind das, die von den dafür zuständigen Politikern größtmögliche Konzentration und größtmögliches Geschick erfordern. Derart Systemrelevantes kann nicht nebenher erledigt werden und Christiner hielt fest: „Die APG investiert in den kommenden 10 Jahren rund 3,5 Milliarden Euro in die Strominfrastruktur bis hin zu Speichern und Reserven – sowie einen komplett neuen gesamtsystemischen Ansatz.“
Cyberattacken-Gefahr. Der Schutz der Strominfrastruktur durch Modernisierungen und Investitionen ist eine Sache. Der Schutz vor Angriffen eine andere. Mitte Jänner 2022 wurde auch in dieser Blackout-Runde schon geahnt, was am 24. Februar 2022 mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine Wirklichkeit werden sollte. So verwies der nicht zuletzt durch seinen militärischen Tarnanzug bekannt gewordene GECKO-Generalmajor Rudolf Striedinger auf den in diplomatischen und militärischen Konflikten steckenden Nährboden für Cyberattacken. „Angriffe auf die Stromversorgung sind eine Waffe der hybriden Kriegsführung“, hob Striedinger verbal den mahnenden Zeigefinger. Mit der Corona-Pandemie hatte die Cyberkriminalität bereits ungeahnte Höhen erreicht. Aus der Wirtschaftskammer mussten in dem Zusammenhang ziemlich beunruhigende Botschaften vernommen werden. „Aufgrund des militärischen Vorgehens Russlands in der Ukraine besteht nach wie vor ein hohes Risiko im Cyberraum durch Cyberattacken und Versuche der Einflussnahme. […] Es kann weiterhin nicht ausgeschlossen werden, dass es durch digitale Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine zu Kollateralschaden auch in Österreich kommt“, wurden die WK-Mitglieder Ende März 2022 darauf aufmerksam gemacht, sich mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zu schützen und die WK-Experten hielten fest: „Die beste Verteidigung gegen Cyber-Angriffe ist eine gute Verteidigung.“
Nicht in falscher Sicherheit wiegen. Auf so gut wie allen, den „runden“ Alltag bestimmenden Ebenen hat eine Kriegsrhetorik Einzug gehalten, die mehr als ungemütlich ist. Anfang März 2022 wurde die friedenslaunige Gemütlichkeit vor allem bei jenen durchbrochen, die auf news.at das Interview mit dem TV-Kriegserklärer Generalmajor Bruno Günter Hofbauer gelesen haben. „Österreich ist zwar kein Frontstaat, und daran hat sich Gott sei Dank auch jetzt nichts geändert. Somit müssen wir eher damit rechnen, dass gegen uns in der Tiefe gewirkt wird: Da geht es dann auch um Cyber Defense und sämtliche Aspekte des Informationskrieges. Aber vorrangig natürlich um das, was wir als Schutzoperation sehen: nämlich, dass wir in der Lage sein müssen, unter Umständen auch im eigenen Land militärische Landesverteidigung durchführen zu können, weil hier bedrohliche Dinge passieren; etwa, dass unsere kritische Infrastruktur angegriffen wird. […] Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist, dass die Bedrohungen nicht weniger geworden sind“, sagte Hofbauer da beispielsweise. Er machte auch darauf aufmerksam, dass nicht absehbar sei, „ob gegen Ende der 20er-Jahre die mitteleuropäische Ordnung noch so aussehen wird wie jetzt“. Und der Generalmajor hielt fest: „Am hinderlichsten ist, dass man sich in Sicherheit wiegt, und zwar in einer falschen Sicherheit.“
Der Umstand, dass der Zustand des österreichischen Bundesheers vielfach als marode beschrieben wird, verleiht diesen Aussagen eine zusätzliche Würze.
Die Warnungen, was noch kommt. Wohlfühlbotschaften klingen jedenfalls anders. Diese Art Botschaften waren es noch nie, mit denen der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (www.gfkv.at), Herbert Saurugg, Aufmerksamkeit erregte und den Finger auf Wunden legte. Wenn Saurugg die Folgekrisen durchdekliniert, mit denen Österreich in den kommenden Jahren rechnen darf beziehungsweise muss, ist Gänsehaut nicht zu vermeiden. „Die erste unmittelbare Herausforderung stellt die Flüchtlingsaufnahme- und Versorgung da. Auch die Gasversorgung steht aktuell auf sehr tönernen Beinen. Sollte es hoffentlich kurzfristig zu keinen größeren Versorgungsengpässen kommen, ist spätestens im Herbst damit zu rechnen“, skizziert er nicht nur potenzielle Schwierigkeiten oder Unmöglichkeiten, in den davon abhängigen Haushalten, kochen und heizen zu können: „Ein Großteil der Industrie und Lebensmittelproduktion ist von einer funktionierenden Gasversorgung abhängig. 20 Prozent des Gases wird zudem für die Stromversorgung benötigt. Eine ausgefallene Ernte in der Ukraine oder die Sanktionen auf russische Ressourcen werden in vielen Bereichen zu schwerwiegenden Versorgungsproblemen und Lieferkettenunterbrechnungen führen. Vor allem im arabischen Raum und in Afrika, wo 100 Millionen Menschen nicht genug zum Essen bekommen könnten.“
Zu möglichen Hungerkatastrophen, sozialen Unruhen und Migrationgsströmen gesellen sich in dieser Dramaturgie Lieferausfälle bei Rohstoffen wie Stahl, Aluminium oder anderen wichtigen Metallen. Die Aussichten eignen sich nicht dazu, in aller Ruhe eine Wurstsemmel zu essen, wohl aber, an Vorsorgemaßnahmen zu denken. Saurugg: „Wenn man sich rechtzeitig mit möglichen Entwicklungen und Szenarien beschäftigen würde, könnten verschiedene Szenarien durchdacht und auch mögliche Nebenwirkungen analysiert werden.“ Der beharrliche Einsatz des Konjunktivs sticht schmerzhaft ins Auge. Die Corona-Krisenpolitik der letzten Jahren ist ja auch nicht dazu angetan, Vertrauen zu wecken und in dem Zusammenhang stellt Saurugg fest: „Ganz entscheidend ist, dass viele Akteure nun auch am Limit sind, weil immer mehr Aufgaben wahrzunehmen sind. Das funktioniert durchaus eine Zeit lang. Aber nach zwei Jahren Pandemie und nun weiteren Krisenszenarien sollten wir uns möglichst rasch anpassen und wieder Freiräume schaffen.“
Gemeinden halten alles am Laufen. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass die Akteure vor Ort – die Gemeinden und Städte – flexible Krisenmanager sind und die Kraft haben, Fehler und Unzulänglichkeiten der ihnen übergeordneten Verwaltungseinheiten auszumerzen. „Die Pandemie ist nach wie vor ermüdend, aber wir können sagen: In der Not helfen die Menschen einander“, sagt dazu Alfred Riedl, Präsident des Österreichischen Gemeindebundes, und lenkt den Blick auf die aktuelle Situation: „Das sieht man auch jetzt im Umgang mit den kriegsvertriebenen Menschen aus der Ukraine. Menschlich kann man also ein sehr positives Fazit ziehen.“ Stimmt. Kommunen oder verantwortungsvoll agierende Verwalter und Gestalter der kritischen Infra- und Versorgungsstrukturen schaffen es, auch in unheimlichen Krisenzeiten ein gewisses Maß an Vertrauen aufrechtzuerhalten. Auf anderen Ebenen ist dieser essenzielle Kitt der Gesellschaft kaum noch vorhanden. Dass der jüngste APA/OGM-Vertrauensindex (Vertrauen in Österreichs Bundespolitiker) mit „All time low im öffentlichen Vertrauen“ betitelt wurde, spricht Bände für diese, die höchste politische Ebene. Es ist zu logisch.