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Energie-Dramatik

Explodierende Energiepreise, unzumutbarer Druck auf die Zivilgesellschaft, bürokratische Bremsklötze, pandemiebedingte Engpässe, industrielle Stillstandsaussichten und ein energiewirtschaftlicher Tauschrausch, der das Handwerk an seine Grenzen bringt, machen die angeheizte Energiewende zu einer Mammut-Aufgabe für alle Beteiligten. Vor allem für „die Politik“, die so schwach und mit sich selbst beschäftigt ist. Ausgerechnet jetzt.
von Alexandra Keller

Eigentlich bleibt kein Atem für all die Unappetitlichkeiten – und doch bilden die zahlreichen Verneigungen österreichischer Politiker vor dem russischen Kriegstreiber eine Basis dafür, den Hintergrund des aktuellen Zustandes zu verstehen. Eines Zustandes, in dem mit gebührender Aufgeregtheit versucht wird, die 80-Prozent-Gas-Abhängigkeit Österreichs von Russland zu verkleinern und die schlimmsten Auswirkungen eines potenziellen Gasembargos der EU oder eines Lieferstopps zu minimieren.

Die Panik-Besuche der österreichischen Regierungsspitzen im März 2022 auf der arabischen Halbinsel dürfen vor diesem Hintergrund als multipel fehlgeleitet bezeichnet werden. Etwa, weil in Saudi-Arabien am 11. März 2022 erst wieder 81 Menschen hingerichtet wurden. Oder – ganz sachlich betrachtet – weil es auf die Schnelle keinen Weg gibt, arabisches Gas nach Österreich zu bringen. Gas aus Russland oder Gas aus Saudi-Arabien? Es wirkt wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera, doch abstoßendes, unwürdiges, Menschenrechte verletzendes und kriegstreiberisches Verhalten hat Österreichs Politiker offensichtlich nie davon abgehalten, dem die feuchte Hand zu reichen, der gerade mit der bis dato in relativer Sicherheit gewogener Vorstellungskraft auch die europäische Ordnung über den Haufen wirft.

Der Hofknicks Ex-Außenministerin Karin Kneissls (FPÖ) vor Russenpräsident Wladimir Putin ist dabei nur der äußerlich eindrucksvollste Akt. Das dunkle Innere der Abhängigkeit Österreichs von den russischen Energiequellen ist weit entlarvender – sei es durch Kneissls Aufsichtsratsposten im russischen Ölkonzern Rosneft, Ex-Kanzler Wolfgang Schüssels (ÖVP) Posten beim russischen Mineralölkonzern Lukoil, Ex-Kanzler Christian Kerns (SPÖ) Mandat bei der russischen Staatsbahn oder Ex-Finanzminister Hans Jörg Schellings (ÖVP) Job als Berater beim russischen – und weltweit größten – Erdgasförder-Unternehmen Gazprom. Der lukrativen Nähe zum Kreml opferten Österreichs Politiker jegliche Haltung, die Sowjet-Vergangenheit der OMV wurde mehr zelebriert als für die Versorgungssicherheit in Frage gestellt und nun steht das ganze Land tief gebückt da. Und der Blick in die Zukunft tut weh.

Worst Case. Der Thinktank-Agenda Austria hat diesen Blick jüngst gewagt und auf ziemlich ernüchternde Weise die verschiedenen Szenarien beziehungsweise die wirtschaftlichen Konsequenzen für Österreich durchdekliniert, die befürchtet werden müssten, wenn kein Gas mehr aus Russland käme. „Im schlechtesten Fall gehen wir in Anlehnung an eine Berechnung aus Deutschland davon aus, dass nur rund fünf Prozent des Gasausfalls ersetzt werden können.
Außerdem nehmen die privaten Haushalte keinerlei Einsparungen vor. Österreich muss auf rund 40 Prozent der gesamten Gasmenge verzichten. In diesem Szenario trifft das Embargo die Industrie mit voller Wucht. Insgesamt bricht die Wirtschaft um rund 4,5 Prozentpunkte ein, was 16,9 Milliarden Euro entspricht und fast 80.000 Menschen arbeitslos macht. „In Österreich herrscht Rezession“, stellten die Agenda-Austria-Experten dabei zum pessimistischsten Szenario fest. Das ist das Damoklesschwert, das über Österreichs Wirtschaft schwebt. Es gibt kaum Gründe, urpositiv zu denken. Und weil beispielsweise der Stopp der russischen Gaslieferungen nach Polen nur wenige Stunden im Voraus angekündigt worden ist, plädiert der Thinktank zusammen mit dem arg alarmierten Hausverstand dafür, die Notfallpläne zu überprüfen, um im Fall der Fälle genau zu wissen, wie das verbleibende Gas verteilt werden würde.

Eine Revolution. Die Dramatik ist so roh wie gemein. Von public danach gefragt, wie sich die Energie-Situation und die damit verbundenen Herausforderungen mit dem Ukraine-Krieg verändert haben, sagt beispielsweise Jürgen Roth, Vorsitzender der eFuel Alliance Austria und Fachverbandsobmann Energiehandel der WKO: „Dramatisch, die neue Agenda bedeutet eine Revolution. Bisher war Erdgas als Ersatz für Kohle und Erdöl eine Option bei der Erreichung der Klimaziele. Vor zwei Jahren wurde auf Betreiben der Umweltgruppen in Österreich das letzte Kohlekraftwerk geschlossen. Nun soll der Bezug von Gas aus Russland, das vier Fünftel unseres Verbrauchs ausmacht, eingestellt werden. Die Versäumnisse, zum Beispiel die Produktion von Grüngas und eFuels aggressiv zu entwickeln, rächen sich jetzt. Grüngasförderung wurde aus der Regierungsvorlage zum Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz gestrichen, obwohl die Gaswirtschaft trotz der damaligen Mehrkosten darum bat. Für die Verfahrensbeschleunigung, die die Energiewirtschaft einfordert, wurde seit Antritt der Regierung nichts getan.“

Zögerlich und langsam. Versäumnisse und „nichts getan“ sind Stichworte, die gerade keinen guten Auftritt ankündigen. „Der Ukraine-Krieg hat uns auf sehr schmerzliche Weise einige Fehlentwicklungen im Energiebereich aus der Vergangenheit aufgezeigt. Zum einen natürlich die massive Abhängigkeit von russischen Lieferungen bei Erdgas. Die andere Erkenntnis ist, dass wir bei der Umsetzung der Energiewende, beim Ausbau der erneuerbaren Energie in den Bereichen Strom und Wärme und bei der Energieeffizienz, viel zu zögerlich und langsam waren“, hält dazu Martina Prechtl-Grundnig, Geschäftsführerin des Dachverbands für Erneuerbare Energie Österreich, fest. Sie ergänzt: „Wir haben es verabsäumt, uns durch eine entschlossene Energiewende in den letzten Jahren einen höheren Grad an Unabhängigkeit zu schaffen. Wir stehen vor der paradoxen Situation, dass ein deutlich höherer Anteil erneuerbarer Energien die davongaloppierenden Kosten für Energie einbremsen könnte, dass aber die Energiewende genau mit dem Kostenargument in der Vergangenheit von vielen Seiten blockiert wurde – auch wenn die Vertreter der Energiewende stets aufgezeigt haben, dass ein erneuerbares Energiesystem eine kostendämpfende Wirkung hat und vor allem auch Energieversorgungssicherheit durch Unabhängigkeit schafft.“

Paradoxien vermögen Notlagen nicht zu besänftigen und die synthetischen Kraftstoffe sind ein recht gutes Beispiel dafür, wie die türkis-grüne Bundesregierung die zur Erreichung der Klimaziele notwendige Technologieoffenheit begräbt. Während die Grünen in Deutschland davon bereits abgerückt sind, halten die österreichischen Grünen einen Grundsatz strikt aufrecht, der in dem Wort Auspuff mündet und nachhaltig weiterspukt.

Feindbild Auspuff. Verbrenner-motoren sind per se ein übelbringender Gottseibeiuns in der CO2-freien Gedankenwelt grüner Politiker. Bizarr wirkt diese dann, wenn der Effekt grüner Treibstoffe bedacht wird.

Werden synthetische Kraftstoffe mit erneuerbaren Energien – wie Wasser- oder Windkraft – produziert, sind sie grün beziehungsweise CO2-neutral, weil beim Produktionsprozess schädliches und all die Klimaschutzschritte antreibendes CO2 aus der Umgebungsluft geschnappt und in den Kraftstoff eingebaut wird. Der recht clevere Kreislauf der eFuel-Produktion wird jedoch bis dato verteufelt, schlicht, weil mit dem Produkt Anlagen betrieben werden, die verbrennen. Und einen Auspuff haben. Wie eben Autos, die mit diesem Treibstoff CO2-neutral bis an ihr „natürliches“ Lebensende weiterfahren, oder Ölheizungen, die – damit betankt – weiter Wärme liefern könnten.

Die Energiewende ist in weiten Bereichen eine Wärmewende und die Kampfansage an Ölheizungen war, bevor das Aus für die Gasthermen die Agenda durcheinanderwirbelte, der große Pflock in den heimischen Heizräumen. In Österreich sind aktuell noch fast eine Million Gas- sowie mehr als 600.000 Ölheizungen in Betrieb und hinter dem Ziel, die rund 1,6 Millionen fossilen Heizsysteme durch Erneuerbare zu ersetzen, steckt nicht nur ein Kraftakt zur Rettung des Klimas. Dahinter steckt auch ein extremer Kraftakt für all jene Gewerbetreibenden und Handwerker, denen die Aufgabe zukommt, die Systeme auszutauschen. Daumen mal Pi und abhängig von der Alternative dauert der Umbau eines Heizungssystems bis zu vier Tage. Demnach stecken in der politischen Vorgabe knapp 6,4 Millionen Arbeitstage von Fachkräften mit entsprechendem Know-how. „Dafür wäre eine wahre Heerschar an Handwerkern notwendig und diese Heerschar haben wir nicht. Wir werden sie auch nicht in den nächsten drei bis sechs Jahren haben, denn um eine Heizung einzubauen, muss man sich auskennen und die entsprechende Erfahrung mitbringen“, sagte Franz Jirka, WK Tirol-Spartenobmann Gewerbe und Handwerk, jüngst gegenüber der Tiroler Wirtschaft, dem Magazin der WK Tirol.

Knappe Förderfristen. Bei der Planung des gigantischen Systemtauschs wurden die Professionisten von der Bundesregierung nicht eingebunden, doch sie sind es, die den Frust der Betroffenen zu spüren bekommen, die aufgrund der extrem knapp gestalteten Förderfristen Angst um diese Unterstützung haben. Nicht nur der Ansturm auf die Fördergelder für private Photovoltaik-Anlagen ist bezeichnend dafür. 240 Millionen liegen dafür im Fördertopf des laufenden Jahres 2022. Seit 21. April 2022 können die Anträge gestellt werden und binnen weniger Minuten registrierte die OeMAG, die Ökostrom-Abwicklungsstelle, schon 30.000 Anträge. Dem Installations- und Tauschrausch müssen die Professionisten jedoch aufgrund des Fachkräftemangels und der Materialengpässe einen Zeitdämpfer verpassen. Und erschwerend hinzu kommt, dass die gestiegenen Materialpreise die in den übervollen Auftragsbüchern festgehaltenen Gewinne fressen.

Die Situation jener Unternehmen, die den Energiewandel ganz praktisch und faktisch stemmen müssen, wirkt irrwitzig und die Zahlen tun das auch. Laut Umweltministerin Leonore Gewessler kostet beispielsweise der Umstieg vom Öl- auf ein anderes Heizungssystem durchschnittlich 22.000 Euro. Demnach würde der radikale österreichische Abschied von den Ölheizungen 13.200.000.000 Euro kosten. Aktuell gibt es nur das Gesetz, keine Ölkessel in Neubauten einzubauen. Der Bestand wurde in Strategien lediglich andiskutiert, doch die Verunsicherung in der Bevölkerung ist groß. Dass die Branche angesichts der potenziellen Tausch-kosten unbedingt die faktische Anerkennung von eFuels als 1:1-Alterative zu Öl fordert, hat jedenfalls gute Gründe. Sie sind 13.200.000.000 Euro schwer.

Schwierige Elektrifizierung. Für den Ersatz der Gasthermen gibt es weniger griffige Alternativen. „Durch den Ukraine-Krieg sind die Energiepreise in Europa exorbitant gestiegen. Der Großhandelsstrompreis hat sich innerhalb eines Jahres mehr als verdreifacht, der Gaspreis ist mehr als fünfmal so hoch wie vor einem Jahr. Damit müssen wir die Frage der Versorgungssicherheit bei Erdgas völlig neu bewerten“, weiß Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes. Die bestehenden 998.476 Gasheizungen sind zum Großteil in den urbanen Räumen zu finden, wo die Köpfe entsprechend rauchen und sich an Vorbildern zu orientieren versuchen. „Gerade im Bereich Erneuerbare gibt es schon viele Best-Practice-Beispiele auf lokaler Ebene. Neben den großen Fernwärmesystemen in den größten Städten in Österreich existiert auch eine Vielzahl kleiner und mittelgroßer Fernwärmesysteme, die häufig mit fester Biomasse betrieben werden. Eine weitere Option ist eine teilweise Elektrifizierung des Fernwärmebedarfs, zum Beispiel in Form von Großwärmepumpen und anderen Power-to-Heat-Technologien“, sagt Weninger.

In der Elektrifizierung der industriellen Prozesse wie der heimeligen Wärme steckt eine weitere Alternative zur Reduzierung der Gasabhängikeiten. 27 Terawattstunden zusätzliche erneuerbare Energie sind ganz grundsätzlich vonnöten, um den österreichischen Strombedarf mit 100 Prozent erneuerbaren Energien zu decken. Das entspricht in etwa 55 neuen Wasserkraftwerken, 1200 neuen Windrädern und rund zwei Millionen Quadratmeter neuer Photovoltaik. Sollen nun auch Raumwärme, Industrie und Handel mit Strom betrieben werden, dürfte sich der zusätzliche Bedarf an erneuerbaren Energien vervielfachen.

Diese potenziell erhöhten Bedarfe sind noch nicht in die Planungen eingerechnet, auf deren Basis die Austrian Power Grid AG, die Betreiberin und Herrin der Übertragungsnetze Österreichs, am Ausbau der Infrastruktur arbeitet. 3,5 Milliarden Euro an Investitionen sieht das taffe Programm der APG bis 2032 vor. „Aktuell haben wir bei Genehmigungsverfahren Zeiträume bis zu zehn Jahren. Die Salzburgleitung kommt etwa jetzt schon zehn Jahre zu spät – das führt zu monatlichen Zusatzkosten von rund zehn Millionen Euro. In unserem aktuellen Netzentwicklungsplan haben wir 46 Umspannwerks- und Netzprojekte, die bis 2032 umgesetzt werden müssen. Es liegt auf der Hand, dass die Genehmigungsverfahren radikal verkürzt werden müssen, um die Zielsetzungen zu erreichen. Aktuell ist ein neues UVP-Gesetz in Planung – das wäre die Chance, eine Vereinfachung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren zu erzielen. „Vom Planen ins Tun zu kommen, ist das Gebot der Stunde“, zeigt APG-Sprecher Christoph Schuh ein weiteres, richtig dringliches Handlungsfeld für die verantwortlichen Politiker auf. Die Beschleunigung der Behördenverfahren, ohne die gar nichts weitergeht – und schon gar nicht in der geforderten Eile. Der Hinweis des APG-Sprechers ist jedenfalls ein animierender Tritt in den Hintern der Entscheidungsträger, die diese Mammut-Aufgabe dirigieren müssen: vom Handeln ins Tun kommen. Ja, das wär’s.