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Reifeprüfung für intelligente Straßen

Innovative Ideen mit Fokus auf sichere und klimafreundliche Mobilität spielen eine große Rolle bei der vom steirischen Unternehmen Fonatsch vor fünf Jahren initiierten Vereinigung „Smart Safe & Green Mobility (SSGM)“. Gemeinsam mit 14 weiteren Mitgliedern werden jetzt unsere Straßen durch neue digitale Technologien zukunftsfit gemacht.
Von Tony Bayer

Verkehr, Transport, Logistik, Umwelt- und Klimaschutz, Gesundheitswesen, Sicherheit, Wasser- und Stromversorgung, Bürgerservices oder Abfallmanagement: Smart Cities sind inzwischen zu einem globalen Wettbewerbsfaktor geworden, da sie neue Wachstumsfelder erschließen, die Lebensqualität ihrer Bewohner enorm steigern und hochqualifizierte Arbeitskräfte und Start-ups anziehen. Die Realität zeigt, dass viele städtische Entscheidungsträger die zahlreichen Herausforderungen bei der Finanzierung und der strategischen Umsetzung von Smart Cities am besten bewältigen, indem sie wichtige Akteure hinzuziehen. Ein starkes Ökosystem aus IKT-Unternehmen, Start-ups, Investoren und aktiv eingebundener Bürger scheint dabei eine wichtige Voraussetzung zu sein, um eine nachhaltig erfolgreiche Smart City zu gestalten. Gleichzeitig muss sich aber auch jede smarte Stadt mit dem zentralen Thema Daten und deren intelligente Verarbeitung auseinandersetzen: Welche städtische Daten stehen überhaupt zur Verfügung? Wie werden sie erhoben und gespeichert? Und wie kann die Stadt sie nutzen, um einen Mehrwert für die Bürger zu schaffen?

Von Februar 2016 bis Juli 2021 wurden im Rahmen des EU-Projektes „Smarter Together“ von der Stadt München gemeinsam mit den Städten Lyon und Wien ganz unterschiedliche Smart- City-Lösungen erprobt. „Experimentieren war bei der breiten Palette an Themenfeldern ausdrücklich erlaubt und sogar erwünscht“, berichtet Thomas Bönig, IT-Referent der Landeshauptstadt München.

„Zum einen ging es um die Erhebung von Daten und darum, wie innovative Ideen und Technologien eingesetzt werden können, um bestehende Daten zu ergänzen. Zum anderen sollte eine Plattform entstehen, die städtische Daten sammeln und verknüpfen kann, um sie im nächsten Schritt auszuwerten und so einen Mehrwert für die Stadtgesellschaft zu schaffen.“

Intelligente Lichtmasten und Smart-City-Sensorik. Zur Datenerhebung wurden in der Stadt München einzelne Straßenzüge zu sogenannten „Reallaboren“ ausgebaut. Dafür wurden 60 intelligente Lichtmasten im Projektgebiet installiert und mit verschiedenen Sensoren ausgestattet. Die von den Lichtmasten bereitgestellten Daten wurden zusammen mit den anderen Daten aus dem Projekt unter Beachtung des Datenschutzes in einer zentralen „Smart Data Plattform“ gesammelt.

Ein wichtiges Ziel war es, die Alltagstauglichkeit dieser Lichtmasten als städtische IoT-Datenquellen in Bezug auf den Betrieb von Sensoren und der dazu notwendigen Infrastruktur zu erproben und wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Die im Projekt neu konstruierten Lichtmasten verfügten alle über eine separate Spannungsversorgung für Sensorik und Aktorik und teilweise über direkte Internetzugänge. Hierdurch konnten problemlos M-WLAN-Hotspots und unterschiedliche Sensortypen installiert und durchgehend betrieben werden. Gemeinsam entschied sich das Smarter-Together-Team dazu, Sensoren zur Erfassung von Daten aus den Bereichen Luftqualität, Wetter, Parkplatzmanagement und Verkehrsfluss an den Lichtmasten zu testen. Dabei half die Smart Data Plattform entscheidend mit, exemplarisch Analysen und Visualisierungen der angefallenen Projektdaten zu erstellen.

Dieser technologische Trend wird nun auch in vielen öffentlichen Stadträumen rund um den Globus sichtbar: So beginnen immer mehr Städte mit der Implementierung intelligenter Straßenlaternen, die die Lichtstärke automatisch an die Tageszeit sowie an die aktuellen Verkehrs- und Straßenbedingungen anpassen und dadurch den Energieverbrauch um bis zu 60 %
senken können. Andere innovative Technologien wie „SmartPavement“ erkennen wiederum dank eingebetteter Sensoren Unfälle und Fahrbahnzustände, während Menschen in Echtzeit fahren.

Diese Informationen und das Feedback werden dann mit anderen Fahrern, zentralen Verarbeitungszentren und Rettungsdiensten zeitgleich geteilt. In Teilen von Chicago und Barcelona enthalten Laternenmasten und Parkbänke sogar spezielle Luftsensoren, mit denen die Luftqualität verfolgt und Schadstoffe automatisch identifiziert werden können. Aufgrund dieser Daten können Städte rasch einzelne Gebiete mit schlechter Luftqualität orten, den Zusammenhang zwischen Schadstoffen und Krankheiten beurteilen und möglicherweise die Behörden zum Handeln anregen.
Pilotstraßenabschnitt in Melk. Gerade die Mobilität auf kommunaler Ebene stellt einen immens wichtigen Hebel zur CO2-Reduktion und zur Erreichung der weltweiten Klimaschutzziele dar. Nicht zuletzt deshalb, weil große Verhaltensänderungen in Richtung nachhaltige Mobilität nicht von selbst erfolgen. Doch wie es aussieht, scheint auch hierzulande endlich Bewegung in das Thema zu kommen. So arbeiten aktuell immer mehr innovative Unternehmen mit österreichischen Städten und Gemeinden eng zusammen, um zu beweisen, wie die Zukunft der kommunalen Mobilität in der Praxis aussehen kann.

In der niederösterreichischen Stadtgemeinde Melk wurde beispielsweise ein Pilotstraßenabschnitt in der sogenannten Rollfährenstraße realisiert, die zwischen dem Schifffahrtshafen und dem Stadtzentrum liegt. Dort werden Straßenlaternen bedarfsgerecht gesteuert, Ladestationen für diverse Anwendungen zur Verfügung gestellt, WLAN angeboten und Infopanels eingesetzt. Im nächsten Schritt soll nun auch der Abschnitt zwischen Rathausplatz, Schulzentrum und dem Einkaufszentrum Löwenpark „smart“ werden, schildert Bürgermeister Patrick Strobl: „Im Fokus steht hier die bedarfsgerechte Beleuchtung, die Verringerung der Fahrgeschwindigkeit sowie die Erhöhung der Sicherheit bei Straßenüberquerungen für Fußgänger – unter anderem durch eine Signalanlage, Videoüberwachung und neue Ladestationen für E-Bikes und elektronische Geräte.“

Multifunktionales Tragwerk als Herzstück. Das Ziel einer „intelligenten“ Straße besteht vor allem darin, allen Verkehrsteilnehmern eine optimale und zeitgemäße Fortbewegung durch verschiedene Funktionalitäten zu ermöglichen. Neben einer verkehrsflussgerechten Schaltung von Ampeln und Signalanlagen, einer bedarfsgerechten Beleuchtung sowie Ladestationen für E-Bike, E-Cars und Handy gehören heute auch eine Videoüberwachung, SOS-Notrufanlagen und Notbeleuchtung zum Standardprogramm. Doch auch der Komfort darf nicht zu kurz kommen – WLAN und Infopanels als Informationspunkte wie auch Strom- und Wasseranschlüsse, Sprühnebelanlagen zum Kühlen, Sitzgelegenheiten bzw. modernes Stadtmobiliar (Mistkübel etc.) können formschön und unkompliziert integriert werden.

Herzstück der Teststraße in Melk sind das multifunktionale und mittlerweile erfolgreich patentierte Tragwerk, ein Must-have, und ein integriertes Steuergerät, welches die unterschiedlichen Dateninputs und -outputs verarbeitet und an die jeweiligen Nutzer weitergibt. Ein Datentransfer ist in beiden Richtungen möglich. Das Gerät bündelt die Daten und transferiert die Informationen dann an die betreffende Stelle – das können z.B. Kommunen, Leuchtenhersteller, Energieversorger, Polizei oder auch Bürger sein.
Themenführerschaft im Smart- Street-Segment. Laut SSGM-Präsident Alexander Meissner entwickelt sich der globale Markt für Smart- Street-Technologien weiterhin sehr dynamisch und konzentriert sich dabei vor allem auf Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz und der künstlichen Intelligenz, der Vernetzung sowie zur Ausrichtung am Prinzip der Individualität des Menschen.

„Wir haben in Österreich schon fünf kleinere Musterstraßen installiert und bekommen mittlerweile Anfragen aus ganz Europa und Asien. Denn die größte Herausforderung liegt noch immer an den Versorgungsleitungen, welche über den bisherigen Stromanschluss hinausgeht.“

Allein im ersten Halbjahr 2022 haben sich zu den bereits langjährigen und bewährten SSGM-Mitgliedern Congaia, Elotech, Fonatsch, LUX, Magnolux, Microtronics, Next Urban, Taurus, Unwired und Zumtobel gleich fünf neue Hightech-Firmen wie etwa Bike Energy, Cellnex, Joanneum Research, Nedal und Swarco dazugesellt.

„Mit den von uns entwickelten innovativen Lösungsansätzen im Bereich der Sensorik und Photonik freuen wir uns darauf, die Smart-Street-Technologie gemeinsam mit den anderen SSGM-Mitgliedern weiterzuentwickeln.
Wir forschen und arbeiten gezielt an neuen Funktionen im Bereich des Monitorings, der Sicherheit oder der Kommunikation zwischen der Smart Street und den BenutzerInnen. Weil wir das Licht selbst zur Erfüllung von Sensorik- und Kommunikationsaufgaben verwenden, ist eine ressourcenschonende Integration in die bestehende Infrastruktur kein Problem“, meint dazu Andreas Peter Weiss, Forschungsgruppenleiter „Smart Connected Lighting“ der Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH. 

 

Infokasten: Die Vorteile von Smart Streets auf einen Blick

Für die Bevölkerung
•    Leichter, schneller und sicherer von A nach B kommen
•    Beitrag zur zukünftigen infrastrukturellen Grundversorgung
•    Baustein für lebenswerte, umweltfreundliche und sichere Stadt
•    Verbesserte moderne Mobilität & Kommunikation
•    Intensivierte Projekt-Einbeziehung & Inklusion der Bevölkerung möglich
•    Impuls für Open Innovation & Kreativitätsförderung
•    Beitrag in Richtung Wohlfahrt und sozialem Zusammenhalt

Für Städte und Infrastruktur
•    Energieeinsparung durch Dimmen
•    Energieeinsparung durch erneuerbare Energiegewinnung am Mast
•    CO²-Reduktion durch Fließverkehr
•    Leitungsunterbau mit Leerverrohrung
•    Automatische Störungsmeldung
•    Wichtige Daten durch Aufzeichnung, Datenverarbeitung & Kameras
•    Verbesserte Energieverteilung/ Smart Meter
•    Kommunale Einnahmen durch Ladestationen, 5G-Antennen, Werbung, Wetterstationen, Drohnenlade-Punkte etc.
•    Finanzierungsschonende Betreibermodelle möglich
•    Impuls für verstärkte Nutzung des öffentlichen Verkehrs
•    Erleichterte Verkehrsentwicklungs- und Sozialraum-Analysen
 
Für die SSGM-Mitglieder
•    Offener Austausch in einem permanent voneinander lernenden Prozess
•    Zusammenlegen und Kumulieren der unterschiedlichen technischen Kompetenzen
•    Stark wachsendes Netzwerk, welches Zugänge zu Partnern, Markt und wichtigen Entscheidungsträgern schafft
•    Gut sichtbarer Auftritt mit Dachmarke und Themenführerschafft bezüglich Smart-Street-Technologie –  zum Beispiel mit dem neuen Buch „Erfolgsfaktor Smart Street“ und den fünf bereits bestehenden Musterstraßen
•    Gemeinsames Marketing wie Website, Messen, Leitfaden, PR, Social Media
•    Höhere Chancen auf Geschäftsanbahnung
•    Riesiger, stark wachsender Bedarf und Markt