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Foto: Michael de Werd

Die Bank der Zweiten Chance

Wir erleben wirtschaftlich schwere Zeiten. Zuerst kam die Coronapandemie und dann der Krieg in der Ukraine. Die Inflation hat den höchsten Stand seit der Ölkrise der siebziger Jahre erreicht und die Energiepreise sind in die Höhe geschossen. Während viele Geschäfte mit einem Umsatzrückgang zu kämpfen haben, gibt es eine Branche, die eine Hochblüte erlebt: die Sozialmärkte und Tafeln. Von Michael de Werd

In den Tafeln ist bereits in den ersten Monaten des heurigen Jahres der Bedarf an Lebensmitteln um über 30% gestiegen“, erzählt Alexandra Gruber, die Obfrau der österreichischen Tafeln. Gleichzeitig würden aber die Spenden abnehmen. Seit 1999 verteilen die Tafeln Lebensmittel, die ansonsten weggeworfen werden, an bedürftige Leute. Auf ähnlicher Grundlage funktionieren die Sozialmärkte, wo Leute mit geringem Einkommen billig einkaufen können. Der erste wurde 2001 in Linz gegründet und inzwischen gibt es in ganz Österreich um die 100 Sozialmärkte.
Von der Börse in den Sozialmarkt. Es mag überraschen, dass der erste Sozialmarkt in Wien erst 2008 eröffnet wurde. Die Gründung war eine Privatinitiative von Alexander Schiel, dessen Lebenslauf eher unüblich klingt. Mit 23 kam der ausgebildete EDV-Techniker in den Aufsichtsrat der Wiener Börse. Anschließend war er für den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider tätig. Inzwischen hat er aber mit der Politik gebrochen und konzentriert seine ganze Energie auf seine drei Märkte. Während er das Projekt vor allem aus seiner Abfertigung von der Börse finanziert hat, ist daneben der Pistolenfabrikant Glock ein wichtiger Sponsor.

Laut Schiel gibt es einen wichtigen Unterschied zu den anderen Sozialmärkten: „Meine sind die einzigen, die auch Waren zukaufen. Wir kaufen von großen Konzernen Überproduktionen auf und darum haben wir eine viel größere Auswahl. Vor Weihnachten bieten wir z.B. auch Weihnachtswaren an.“ Schiel verschweigt nicht, dass es eine gewisse Konkurrenz gibt: „Jeder will für seine Kunden die besten Waren haben. Ich würde keine Sachen in Wien weitergeben, wenn andere sie dann günstiger hergeben.“ Überflüssige Waren schickt er deswegen lieber an Sozialmärkte in Traun und Mödling.

Sozialstunden an der Kasse. Auch in Bezug auf das Personal erfüllen die Sozialmärkte eine wichtige Funktion: „Manche waren früher selbst Kunden und sind arbeitslos. Wir haben aber auch Pensionisten, denen es einfach Spaß macht, eine Betätigung zu haben und unter Leute zu kommen.“ Daneben leisten manche hier ihre Sozialstunden, zu denen sie wegen kleinerer Delikte verurteilt sind.

Die Filiale im 22. Bezirk wirkt wie ein Discountsupermarkt mit beschränktem Angebot, aber niedrigen Preisen. Ein Liter Milch kostet einen Euro. Schiel ist stolz, dass die Preise zu 99 % die gleichen sind wie vor der Coronakrise. Während die Kundschaft früher hauptsächlich aus Arbeitslosen und Mindestrentnern bestand, gibt es immer mehr Leute, die einen Job haben, aber zu wenig verdienen.

Die Bank für Menschen ohne Bank. Für Menschen in finanzieller Not ist der tägliche Einkauf aber nicht das einzige Problem. Das Leben ist schwer, wenn man kein Bankkonto hat. Speziell für solche Fälle wurde 2006 von der Ersten Bankstiftung die Zweite Sparkasse gegründet. Einer der Vorstände ist Günther Benischek, der vorher 48 Jahre für die Erste Bank gearbeitet hat. Wie alle Mitarbeiter arbeitet er ehrenamtlich. Benischek betont, dass die Zweite Sparkasse nicht gewinnorientiert ist: „Wir schauen aber, dass wir zumindest ausgeglichen bilanzieren. Wir freuen uns auch, wenn Kunden uns wieder verlassen, denn das heißt dass sie finanziell wieder gesundet sind.“
Die Filiale neben dem Quartier Belvedere schaut aus wie eine normale Bank. Eines ist aber anders: „Bei uns kommt kein Kunde von der Straße und sagt ‚Ich möchte ein günstiges Konto‘, sondern er wird vermittelt von NGOs, mit denen wir Kooperationsvereinbarungen haben wie die Schuldnerberatung, die Caritas oder das Rote Kreuz.“ Die Kundschaft ist sehr gemischt: „Wir haben Unternehmer, die in Privatkonkurs gegangen sind. Aber auch Leute, die wegen einer Scheidung Schiffbruch erlitten haben oder aufgrund einer Krankheit in finanzielle Schwierigkeiten gekommen sind.“

„Wir hatten eher gedacht, dass die wirtschaftliche Erholung im Vordergrund steht, aber laut einer Umfrage ist der soziale Aspekt noch wichtiger“, erzählt Benischek. „Wieder mit Freunden Kontakt zu haben und das Gefühl zu haben: Jetzt kann ich zum Bankomat gehen, wenn es notwendig ist … Am Anfang war unsere Regel, dass jemand drei Jahre braucht, bis er von uns in eine andere Bank empfohlen werden kann, aber das das hat sich im Alltag als zu kurz herausgestellt.“

Eine richtig geile Aktion. Einer, der bald sein Konto kündigen wird, ist Helmut. Da er in der Veranstaltungsbranche tätig war, hatte er immer ein unregelmäßiges Einkommen. Als er arbeitslos wurde, war es ein horrende Handyrechnung, die ihn sein normales Bankkonto kostete. Der Wiedereinstieg wurde dadurch schwer: „Wenn man sich für einen Job bewirbt und kein Konto hat, ist das Vorstellungsgespräch schon gelaufen.“ Ein Sozialarbeiter verwies ihn an die Zweite Sparkasse. „Die waren superlieb. Und ich muss sagen: Das ist eine richtig geile Aktion. Die machen alles nebenbei und kriegen kein Salär dafür.“ Vor ein paar Monaten hat er schließlich einen fixen Job bei einer Werbeagentur gefunden.

Insgesamt haben bisher mehr als 22.000 Menschen ein Konto bei der Zweiten gehabt. Nachdem die Nachfrage kontinuierlich gestiegen war, gab es 2016 einen gewissen Einbruch. „Mit der Einführung des gesetzlichen Basiskontos haben wir kurz gedacht, dass es uns vielleicht gar nicht mehr braucht“, erzählt Benischek. „Der Unterschied ist aber, dass wir Zeit haben, die wir den Kunden widmen können.“ Interessanterweise hat es wegen der Coronakrise keine erhöhte Nachfrage gegeben. „Da haben die Hilfsmaßnahmen der Regierung schon geholfen, aber meiner Meinung nach ist es noch nicht zu Ende. Der Ukrainekrieg wird schon noch bewirken, dass die Kunden unsere Hilfen mehr brauchen als wir es wünschen.“