Foto: Michael de Werd
Es gibt wohl keine Stadt in Österreich, die solche intensiven Kontakte zu einer ausländischen Gemeinde unterhält wie Gmünd mit České Velenice. Von Michael de Werd
Und dabei handelt es sich nicht einmal um eine offizielle Partnerschaft. Früher waren beide aber eine Stadt, bis nach dem Ersten Weltkrieg die Grenze mitten durch den Ort gezogen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hieraus der Eiserne Vorhang. Seit dieser 1989 gefallen ist, gibt es jedoch eine neue innige Freundschaft über die Grenzen hinweg und eine Geschichte von Trennung und Freundschaft.
Die Eisenbahn als treibende Kraft. Es ist ein Katzensprung zwischen beiden Orten. Auf der Fußgängerbrücke über den Braunaubach gibt es nicht einmal eine Grenztafel und nur die Aufschriften verraten, dass man Österreich verlassen hat. So friedsam die Umgebung heute wirkt, ist es schwer vorzustellen, wie grausam die Geschichte hier oft gespielt hat. 1179 wurde Gmünd erstmals urkundlich erwähnt. Im 19. Jahrhundert erlebte das verschlafene Städtchen einen enormen Aufschwung, als die Eisenbahn gebaut wurde. Strategisch gelegen zwischen Wien und Prag wurde Gmünd zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt. Da der Bahnhof sich weit vom Zentrum befand, bekam es 1907 die erste O-Buslinie Österreichs.
Im ersten Weltkrieg war die Eisenbahn der Motor für neue dramatische Entwicklungen. 1914 wurde wegen der guten Verbindungen in Gmünd ein Lager für bis zu 50.000 Flüchtlinge aus Galizien eingerichtet. Als nach dem Krieg Österreich-Ungarn auseinanderfiel, hatte dies eingreifende Folgen. Da die Tschechoslowakei für seine Infrastruktur den Bahnhof haben wollte, verlegt man die Grenze und so wurde aus den westlichen Stadtvierteln České Velenice. Während Hitler 1938 das Sudentenland annektierte, wurden nach dem Krieg die deutschsprachigen Bewohner aus der Tschechoslowakei vertrieben und es fing die Ära des Kommunismus an.
„Die Zeit von 1948 bis 1989 war rückblickend wirtschaftlich problematisch, aber auch für das Image, das Gmünd und die Region hatten“, meint Stadtarchivar Harald Winkler. Winkler ist auch der Kurator des Hauses der Gmünder Zeitgeschichte, ein kleines, aber feines Museum, das sich direkt neben dem früheren Eingang des Lagers befindet. Neben Objekten aus dem Lager wird u.a. erinnert an die literarisch wichtige Bewegung zwischen Franz Kafka und Milena. Für etwas ältere Gmünder ist die jüngere Vergangenheit auch persönliche Geschichte. „Es ist immer eine gewisse Gefahr von der Grenze ausgegangen“, erinnert sich Bürgermeisterin Helga Rosenmayer. „Man sagte uns, dass wir aufpassen sollten.“
Mountainbiken und Gulaschkochen. Während ihres Studiums wurde Rosenmayer auch konfrontiert mit den Stereotypen, die über das Waldviertel existieren: „Bei euch ist es kalt, grau, nebelig und mystisch. Diesen Ruf haben wir Gott sei Dank komplett abgelegt. Durch die Grenzöffnung sind wir ins Zentrum Europas gerückt.“ Gleich nachdem 1989 sich die Grenzen öffneten, fingen die Kontakte zwischen den beiden Städten an, die auch heute noch weiter vertieft werden. „Es hat sich eine Intensität herauskristallisiert, die inzwischen schon eine Normalität geworden ist“, erzählt Rosenmayer. „Unsere Feuerwehr kann ohne Hindernis in Tschechien löschen gehen und die tschechische Feuerwehr zu uns. Genauso ist es bei der Rettung.“
Während viele Tschechen in Gmünd in die Schule gehen, wurde Tschechisch vor ein paar Jahren zur zweiten Fremdsprache an der Handelsakademie. Seit 1992 gibt es einen grenzüberschreitenden Wirtschaftspark und auf tschechischer Seite gibt es eine Pumptrack, der von österreichischen Mountainbikern gerne benutzt wird. Und daneben gibt es so unterschiedliche Veranstaltungen wie Musikfestivals und Wettgulaschkochen. „Ich sehe, dass das Waldviertel und Südböhmen sehr verwandt sind“, meint Rosenmayer. „Außer dass wir nicht dieselbe Sprache sprechen, ist vieles ähnlich – von der Küche bis zur Blasmusik.“
Massagen und Trinkwasser. Auch wenn die wirtschaftlichen Unterschiede gering geworden sind, macht České Velenice noch immer ein wenig den Eindruck eines Außenviertels. Der riesige Bahnhof wirkt deplatziert. Es gibt Outlets, ein Spezialgeschäft für Gartenzwerge, aber auch einige Nachtclubs und Massagesalons. „Österreicher nutzen die Dienstleistungen, die unsere Stadt bietet, sehr intensiv, seien es verschiedene kosmetische Dienstleistungen, Gastronomie oder auch der Einkauf von Konsumgütern“, meint Bürgermeister Jaromír Slíva. „Man kann sagen, dass zwischen unseren beiden Städten eine natürliche Verbindung zwischen Angebot und Nachfrage besteht. Und es liegt auf der Hand, dass diese Verbindung auch im Bereich der sexuellen Dienstleistungen funktioniert.“
Auch für Slíva ist die jüngere Geschichte mit sehr persönlichen Erinnerungen verbunden: „Ich sehnte mich danach, frei zu reisen, nach allem Modischen und Modernen, das es damals in unserem Land nicht oder nur sehr begrenzt gab. Damals habe ich das wahre Wesen und die Ursache etwas weniger wahrgenommen – das totalitäre Regime, das die Menschen gebunden hat.“ Wie die meisten war er überrascht über die rasche und friedsame Wende: „Es war keine blutige Revolution, sondern eine samtene Revolution.“
Über die Zusammenarbeit ist er ebenso begeistert wie seine Amtskollegin in Gmünd: „Ein sehr interessantes und nützliches Projekt ist HealthAcross. Im Rahmen dessen können Patienten aus České Velenice und Umgebung von einer Behandlung im Krankenhaus Gmünd profitieren.“ Ein anderer wichtiger Schritt war, dass die Wasserleitungen zusammengeschlossen wurden. Auch wenn sie im Gegensatz zu Berlin – die andere Stadt, durch die der Eiserne Vorhang lief – noch immer zwei separate Städte sind, ist die Zusammenarbeit eine Selbstverständlichkeit geworden. Für Slíva ist der beste Beweis dafür die Tatsache, dass es kein Partnerschaftsabkommen gibt: „Wenn wir kooperieren wollen, brauchen wir kein offizielles Dokument mit Unterschriften.“