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Mit der Novelle des UVP-Gesetzes sollen die Verfahren beschleunigt und die Energiewende befeuert werden. In Kritik steht nicht nur der Beschleunigungsfaktor an sich, sondern auch so manch Kleingedrucktes. Der § 4 etwa, der von den Kommunen als Frontalangriff auf die Gemeindeautonomie gewertet wird, kommt sie damit doch unter die Wind-Räder.
Von Alexandra Keller
Diese Aussage dürfte in Österreichs Rathäusern und Gemeindeämtern zu geballten kommunalen Fäusten geführt haben – Fäusten, die dann mit einem kräftigen Rumms auf den Tischen landeten. „Die Gemeinden werden mit der Novelle gestärkt und nicht entmachtet. Sie können nun auch ohne überörtliche Zonenplanung Windkraftanlagen auf ihrem Gemeindegebiet errichten“, sagte Adi Gross, Bundesratsmitglied der Vorarlberger Grünen, als die Länderkammer am 16. März 2023 die Novelle des Umweltverträglichkeits-Prüfungs-Gesetzes (UVP-G) durchkaute und passieren ließ. Nachdem der Nationalrat das Gesetz am 2. März 2023 beschlossen hatte, war damit der zweite legistische Schritt genommen. Dass das Inkrafttreten dieses Gesetzes, das im Vorfeld zu intensiven Diskussionen über Kompetenzen und deren potenzielle Überschreitungen geführt hatte, zeitlich schwer festzumachen war, liegt an einem eigentümlich fahrlässig anmutenden Fallstrick, den Der Standard am 28. März 2023 angemessen genüsslich präsentierte: „Unter § 46 findet sich ein Schmankerl, das nicht nur Juristen erheitert: Die neu gefassten oder eingefügten Bestimmungen treten mit XX. Monat 20XX in Kraft, heißt es wörtlich, ehe angeführt wird, dass die Novelle auf Windkraft- und andere Anlagen, deren UVP-Verfahren bereits vor Inkrafttreten dieser Novelle eingeleitet wurde, nicht anzuwenden ist.“ Vom Standard danach gefragt, klärte Österreichs „Mister Verfassung“ Heinz Mayer die X-Frage und teilte mit, dass das Gesetz mit Ablauf der Kundmachung gültig wurde. Demnach ist das neue UVP-Gesetz seit 23. März 2023 die ultimative Richtschnur, wenn es um die Umweltverträglichkeit von Vorhaben geht, die unter die UVP-Pflicht fallen.
Gemeindebund kampfbereit. Der 23. März 2023 war damit auch der Stichtag für eine veritable Beschneidung der Gemeindekompetenzen. „Der neue § 4a greift schwerwiegend in die Raumordnungskompetenz der Länder sowie die Widmungskompetenz der Gemeinden ein“, hatte Matthias Pichler, Jurist des Österreichischen Gemeindebundes, schon im Oktober 2022 festgestellt – knapp zwei Monate, nachdem Umweltministerin Leonore Gewessler die Novelle präsentiert hatte und die Begutachtungsfrist abgelaufen war. Rund 40 Stellungnahmen waren eingegangen, darunter auch jene, mit welchen der Österreichische Gemeindebund „den Angriff der Windräder auf die Gemeindeautonomie“ und die großen Bedenken bezüglich der verfassungsrechtlichen Legitimation thematisierte. Ohne Erfolg. Diesbezüglich wurde die Novelle nicht abgeändert und das Präsidium des Österreichischen Gemeindebundes war am 1. März 2023 dazu gezwungen, nicht nur den kommunalen Unmut, sondern auch die Kampfbereitschaft kundzutun.
Der Gemeindebund selbst hat keine Möglichkeit, Gesetze zu bekämpfen. Landesregierungen können das auf dem Wege des generellen Prüfrechts aber sehr wohl und betroffene Gemeinden können sich an den Verfassungsgerichtshof wenden, wenn der Instanzenzug „erledigt“ ist. „Wir glauben, dass es dafür gute Gründe gibt, da die verfassungsrechtliche Grundlage für das UVP-Gesetz nicht ermöglicht, materielles Landesrecht zu ändern“, stellt Alfred Riedl, Präsident des Österreichischen Gemeindebundes, fest und verweist – für den zweiten, den Länderweg – darauf, dass der Gemeindebund bereits in Kontakt mit den Landesregierungen von Niederösterreich, Steiermark und Kärnten ist.
Keine Spur jedenfalls davon, dass die Gemeinden, wie Bundesratsmitglied Gross feststellte, mit der Novelle gestärkt und nicht entmachtet werden. Im Gegenteil.
Was nun die Ankündigung des Gemeindebundes für die konkrete Umsetzung des Gesetzes heißt, wann die Höchstgerichte all die verfassungsrechtlichen Bedenken unter die Lupe nehmen können und was das für die Grundintention des Gesetzes bedeutet – die UVP-Verfahren zu beschleunigen und im Pas de deux mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) der Energiewende einen entscheidenden Pusch zu verleihen – ist noch nicht klar. Klar ist aber, dass das neue UVP-Gesetz schon jetzt einen unangenehmen Keil in die entscheidende Front der institutionellen Klimaschützer treibt. Bis zu einem gewissen Grad wird dabei der zentralistische „grüne“ – vom Koalitionspartner ÖVP dennoch unterstützte – Zug sichtbar, der wenig Verständnis für kommunale Feinheiten und regionale Kompetenzen zeigt, und Gemeindebundpräsident Riedl klarstellen lässt: „Für die Gemeinden kommt mit dem neu geschaffenen § 4a ein noch nie da gewesener Angriff auf deren Autonomie. Im Präsidium des Gemeindebundes haben wir deswegen über alle Parteien hinweg klargestellt, dass wir diesen Punkt der Novelle ablehnen und auch mit allen juristischen Mitteln bekämpfen werden.“ In dem in so vielen Politikbereichen und -ebenen herausfordernden Klimakampf ist das nicht die beste Ausgangsposition.
Verfahren dauern zu lange. Bis 2030 soll der Gesamtstromverbrauch in Österreich zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt werden, wofür Anlagen gebaut beziehungsweise installiert werden müssen, die gigantische 27 Terawattstunden „liefern“ können. Alle erneuerbaren Möglichkeiten müssen ausgereizt werden und viele davon sind UVP-pflichtig. Diese Verfahren können richtig lange dauern. Als Paradebeispiel für die lange Dauer wird gerne das Pumpspeicherkraftwerk „Kühtai 2“ in Tirol genannt, das der Landesenergieversorger Tiwag im Jahr 2009 zur Umweltverträglichkeitsprüfung einreichte, um 2020, also knapp elf Jahre und zahlreiche Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof später, mit dem Bau zu beginnen. Das knapp fünf Kilometer lange Längental in einen Speichersee mit einem Fassungsvermögen von 31 Millionen Kubikmeter Wasser zu verwandeln, ist Teil dieses Projektes. Die Dokumentationen der Bauarbeiten – wie etwa jene des Bayerischer-Rundfunk-Redakteurs Georg Bayerle, die auf YouTube fast 560.000 Mal aufgerufen wurden, zeigen recht eindrücklich, warum Umweltverträglichkeit ein großes Thema bei derart martialisch anmutenden Vorhaben sein muss, und warum das Ergebnis der Prüfung oftmals nur ein Kompromiss sein kann.
Dass allerdings Jahre ins Land ziehen können, um ein rechtlich einwandfreies „stop“ oder „go“ für ein Projekt zu bekommen, ist für alle Seiten unzumutbar.
Fehlende Personalressourcen. Auf dieser Unzumutbarkeit basiert auch die Verfahrensbeschleunigung als Zielvorgabe für die UVP-Novelle und immer wieder wurden die Beschwerde- oder Klagemöglichkeiten von NGOs als Verzögerungsgründe genannt. Dem widerspricht der Präsident des viele potente Mitgliedsorganisationen vereinenden Umweltdachverbandes entschieden, wenn er gegenüber public feststellt: „Zahlreiche Analysen haben gezeigt, dass es besonders an personellen Ressourcen auf Ebene der UVP-Behörden und des Bundesverwaltungsgerichts sowie an unzureichend verfügbaren Amtssachverständigen liegt. Es ist daher falsch, wenn suggeriert wird, dass Öffentlichkeitsbeteiligung und wertvolle Umweltschutzbestimmungen der Energiewende entgegenstehen.“
Das Argument des unbedingt aufzustockenden Personals in den UVP-relevanten Behörden war im Vorfeld der Gesetzeswerdung dennoch nur spärlich zu vernehmen. Dass Geschwindigkeit und Behördenverfahren nicht allzu sehr zusammenpassen und in manchen Belangen längst zum Widerspruch geworden sind, scheint bei allem Beschleunigungsengagement untergegangen zu sein und auch in den Erläuterungen zum UVP-Gesetz kommt die Personalfrage nur einmal vor, wenn es heißt: „Im Wesentlichen wird für ein effizientes UVP- Verfahren Folgendes benötigt: Genügend Personalressourcen, ein gut strukturiertes Verfahren mit klaren Verfahrensregeln für alle Verfahrensparteien sowie klare Vorgaben über die Prüftiefe der Unterlagen und das Vorliegen erforderlicher Daten.“
Öffentliches Interesse. Die Menge an für positive Genehmigungen Erforderlichem wurde mit dem neuen Gesetz jedenfalls reduziert, die Hürden für Bürger- oder NGO-Beteiligungen wurden erhöht und im Gesetz findet sich auch eine Bestimmung, die den Sinn der Umweltverträglichkeits-Prüfungen an sich ein Stück weit aushebelt. Bislang hatten Projektwerber im Gegenzug zu umweltunverträglichen Wirkungen für entsprechende Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu sorgen. Baum um Baum, Moor um Moor, Laichplatz um Laichplatz, Lebenswelt um Lebenswelt lautete dabei salopp formuliert die biblische Regel, mit der eine Art wiedergutmachende Buße für Natureingriffe geleistet werden musste. Das neue UVP-Gesetz sieht auch finanzielle Ausgleichsmaßnahmen vor, was – laut Stellungnahme der Bundesarbeiterkammer – „unweigerlich zu einer Vernachlässigung der primären Pflicht zur Vermeidung bzw. Minderung von Eingriffsfolgen“ führt. Die oberösterreichische Umweltanwaltschaft prägte in dem Zusammenhang den Begriff des „ökologischen Ablasshandels“ und Umweltdachverbands-Präsident Mayer sagt dazu: „Hier sehen wir die Gefahr, dass durch einen fehlenden zeitlichen und räumlichen Bezug schützenswerte Lebensräume und Lebensarten verloren gehen könnten. Zusätzlich wird Vorhaben der Energiewende ein hohes öffentliches Interesse eingeräumt, was dazu führen wird, dass die Zahl der Ausnahmegenehmigungen bei erheblichen Umweltbeeinträchtigungen zunimmt und damit die Biodiversität zusätzlich gefährdet wird.“
Mit dem hohen öffentlichen Interesse am Bau von Windrädern wird auch begründet, was die österreichischen Gemeinden auf die Palme bringt. Fallen Windkraftanlagen unter das UVP-Regime, wird künftig danach unterschieden werden, ob es in dem betreffenden Bundesland bereits eine überörtliche Raumplanung gibt, die im Einklang mit dem EAG steht. Gibt es diese Energieraumplanung und sind dort Zonierungen für Windkraftanlagen vorgesehen, sollen die Anlagen unabhängig von der Widmung auf Gemeindeebene genehmigt werden dürfen. Nur, wenn es diese Energieraumplanung nicht gibt im Heimatbundesland der potenziellen Standortgemeinde, darf die Gemeinde ihre Zustimmung erteilen – oder eben nicht. 2030 – also in sieben Jahren – soll die Windkraft laut den erneuerbaren Österreichplänen zehn Terawattstunden und damit über ein Drittel der benötigten 27 sauberen TWh liefern. Das erklärt den kommunalen Stress genauso wie die Freude der Windenergiebranche, die in der Novelle einen Meilenstein sieht. Ursula Nährer, Rechtsexpertin der IG Windkraft, meinte dazu Anfang März 2023: „Ebenfalls positiv hervorzuheben ist die Ermöglichung der Genehmigung von Projekten unabhängig von der Ausweisung der Flächen durch die Landespolitik, falls keine ausreichende Energieraumplanung der Länder vorliegt. […] Nur bei Gemeinden, die vollständig blockieren, sollte ein Durchgriff erfolgen. Bei aller Freude könnte dieser Widerstand der Gemeinden nun neuen Sand ins Getriebe der Windkraftentwicklung bringen. Die IGW vertraut jedoch darauf, dass es hier eine Lösung etwa über Leitfäden gibt.“
Gemeinden keine Bremser. Diese Leitfäden müssen echt gut sein, um die Wogen in den Gemeinden zu glätten, die nicht ohne Grund Angst haben, unter die Windräder und noch tiefer ins Kreuzfeuer der Kritik zu geraten, Bremser beim Ausbau erneuerbarer Energien zu sein. Präsident Riedl blickt in dem Zusammenhang exemplarisch zum Windparkprojekt auf dem Saurüssel in Oberösterreich: „Dort kämpfen 15 Bürgermeister der KEM-Region Attersee-Attergau um einen Windpark mit fünf Windrädern und einer Gesamtleistung von 22,5 Megawatt. Mit einer geplanten Jahresstromproduktion von 60.000 Megawatt könnten 15.200 Haushalte versorgt werden. Das Projekt erhält jedoch vom Land nicht die nötige Unterstützung und droht zu scheitern.“ Riedl könnte noch viele weitere Beispiele anführen und betont: „Tatsache ist, dass wir uns den schwarzen Peter nicht umhängen lassen.“ Ja, mit der UVP-Novelle wurde Wind gesät – und Sturm geerntet.