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Teure Klimawandelanpassungen

Dass die Folgen des Klimawandels lebensbedrohlich sind, macht „die Natur“ gerade in atemberaubenden Takt deutlich. Allein die extreme Hitze soll in Österreich 2023 bis zu 500 Tote fordern. Die erschreckende Zahl wirkt wie ein Fehdehandschuh für Bund, Länder und Gemeinden, der Hitzegefahr mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen – und den CO2-Ausstoß zu verringern.
Von Alexandra Keller

Menschen sterben. Neben all den kaputten Infrastrukturen, den zerstörten Ernten und entsprechend steigenden Ängsten, ist das die erschreckendste Tatsache im Zusammenhang mit den Extremwetterereignissen, die ganz direkt mit dem von Menschenhand verursachten Klimawandel zusammenhängen. 2022 starben 231 Österreicher an den Folgen der Hitze. Der vergangene wurde schon als Rekordsommer bezeichnet, muss diesen Superlativ jedoch an das Jahr 2023 abtreten, für das die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) mit 300 bis 500 Hitzetoten rechnet. Erst im Juli 2023 veröffentlichte ein spanisches Forschungsteam seine Berechnungen für das Jahr 2022 und stellte fest, dass der Sommer des letzten Jahres europaweit über 60.000 Menschenleben gekostet haben könnte. „Angesichts des Ausmaßes der hitzebedingten Sterblichkeit auf dem Kontinent mahnen unsere Ergebnisse eine Neubewertung und Stärkung von Hitzeüberwachnungsplattformen, Präventionsplänen und langfristigen Anpassungsstrategien an“, hielten die Studienautoren fest. Sollten entsprechende Maßnahmen ausbleiben, erwarten sie bis 2030 rund 68.000 hitzebedingte Todesfälle pro Jahr, bis 2040 könnten es 94.000 sein und bis 2050 weit mehr als 120.000.

In Daumen mal pi 20 Jahren ist es demnach leicht möglich, dass europaweit in jedem Sommer so viele Menschen wegen der Hitze sterben, wie die Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck Einwohner hat. Die Vorstellung ist irgendwie irre und um den Ursachen beziehungsweise Verursachern einen angemessenen Tritt in den Hintern zu verpassen, wäre es wohl angebracht, die Todesanzeigen mit dem Hinweis zu versehen: Gestorben an den Folgen des von Menschenhand verursachten und von derselben nicht gestoppten Klimawandels.

In Innsbruck, das im Zusammenhang mit den tödlichen Aussichten als Relationsstadt dienen darf, wurde am
11. Juli 2023 mit einer Temperatur von 37,3 Grad Celsius der zweithöchste Wert im Juli in Österreich gemessen. Nur in Bludenz war es an diesem Tag heißer (37,7 Grad). Die Tiroler Landeshauptstadt hat in dieser Hinsicht eine besonders blöde Lage. Die Stadt liegt sehr niedrig, die Tiroler Täler bedingen ein vergleichsweise kleines Luftvolumen, das aber mit derselben Sonnenenergie aufgeheizt wird, wie jenes in weniger zerklüfteten Topografien, und mit dem sogenannten „Stadteffekt“ steigen die Grade und hält sich die Hitze.

Die war im Juli 2023 auch in der Steiermark derart stark, dass der Hitzeschutzplan aktiviert werden musste, der als Verhaltens- und Sofortmaßnahmen nicht nur dazu rät, viel Wasser zu trinken und kühle Räume aufzusuchen, sondern auch auf die „Nebenwirkungen“ der Hitze bei Medikamenten zu achten, welche die Temperatur und den Elektrolythaushalt des Körpers beeinflussen. Laut Hitzeschutzplan zählen Entwässerungsmittel (Diuretika), Beruhigungsmittel, Antidepressiva, alle die Aufmerksamkeit einschränkenden Medikamente und bestimmte Antibiotika dazu. Es gibt also zahlreiche Gefährdete, bei denen die Hitzetage mehr auslösen als das Problem, einen kühlen Kopf zu bewahren und konzentrationsfähig zu bleiben.

Lebensqualität erhalten. Vor allem zwischen 13:00 und 16:30 Uhr wäre es an Hitzetagen jedenfalls besser zu rasten. „Stadtklimatologen“ sprechen bereits davon, dass auch in österreichischen Städten eine Siesta nach südlichem Vorbild eingeführt werden könnte“, weiß Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes. Eine Siesta würde die in Österreich gewohnten Arbeits- und Öffnungszeiten extrem durcheinanderwirbeln und Weninger sagt zu den potenziellen Herausforderungen für die öffentlichen Leistungen: „Eine Stadt kann man nicht einfach für ein paar Stunden runterfahren. Daher sollten wir alles dafür tun, dass die Städte ihre Lebensqualität 24 Stunden am Tag erhalten können.“ Diese Lebensqualität leidet in Städten aus nachvollziehbaren Gründen massiv. Und die Hitze vergrößert auch die Kluft zwischen Arm und Reich. So hat eine von der AK in Auftrag gegebene und von der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien durchgeführte Studie ergeben, dass das Grün der Stadt Wien ungerecht verteilt ist.

Rasch beziehungsweise im Umkreis von 250 Metern einen schattigen Baum erreichen zu können, ist vor allem für Menschen, die auf kleinem Raum leben und weder Ballon noch Terrasse noch Garten haben, essenziell. Rund 40 Prozent der Wiener können davon aber nur träumen. Laut Lilli Lička, Leiterin des Instituts für Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur, wären 3,5 Quadratmeter Grünraum pro Person wünschenswert, rund um die Quellenstraße in Wien-Favoriten, wo knapp 3.500 Menschen leben, liegt dieser Anteil aber bei nicht einmal einem Quadratmeter Grünraum pro Person. Insgesamt haben 630.000 Wiener zu wenig Grün.

„Oberstes Ziel ist es, den Klimawandel zu bremsen und gleichzeitig die Lebensräume so zu bauen, dass die Lebensbedingungen erträglich sind“, sagt Lilli Licka gegenüber public und hält weiter fest: „Dem Vormarsch der Klimaanlagen, die ja den Klimawandel auch ein Stück weit zusätzlich anfachen, kann beispielsweise durch temperaturbewusste Bauweisen, durch großflächige natürliche Beschattung – Bäume! – oder durch außenliegenden Sonnenschutz wie Fensterläden entgegengewirkt werden. Durch Beachtung und Erhalt von Kaltluftschneisen – wie Grünkorridore oder Flussläufe – als ‚natürliche Klimaanlagen‘ können die Städte mit frischer Luft versorgt werden.“ Für Lička ist hier eine umfassende landschaftliche und klimatische Betrachtung des Gesamtraumes vonnöten.
Städte grün machen. Wie eine Stadt grün „gemacht“ werden kann, ist Expertise und Daseinszweck von „Grünstattgrau“, der Kompetenzstelle für Bauwerksbegrünung, wo Susanne Formanek und Flora Lola Fath Ruiz zur Aussicht, dass die Höchsttemperatur in Wien bis 2050 um 7,5 Grad steigen könnte, festhalten: „7,5 Grad mehr bewirken nicht nur mehr Hitzeanstieg, sondern eine Kette an internationalen Ereignissen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Das Buch ‚Ministerium der Zukunft‘ beschreibt gut, wie schnell 20 Millionen Menschen durch ein paar Grade mehr sterben können. Da wird dann schnell klar, was alles an das Klima angepasst werden muss.“

Geht es um die Möglichkeiten beziehungsweise „Gebote“, die sich daraus für Stadtplaner und politisch Verantwortliche ergeben, stellen die Experten im Stakkato fest: „Unsere Gebäude werden Stromlieferant, Sicherheitszentrum, Wasserspeicher, Zufluchtsort, Kühloase. Eine Anpassung an die Extremwetterereignisse, die wir heuer schon zu spüren bekommen, mit extremen Wetterereignissen wie Hitzewellen, Dürren, Stürmen und Starkregen, muss erfolgen. Zufluchtsorte, Notfallmaßnahmen, Kooperationen und gute Versorgung, unter anderem durch vertical farming.  

Wasser und Boden müssen als sehr wertvolle Ressourcen bewahrt werden. Ein Regenwasserretentionssystem muss ein Zusammenspiel von Fassade, Dach und Grauwassernutzung – zum Schutz vor Starkregenereignissen, der Entlastung der Kanalisation und Verbesserung des Mikroklimas – sein, und um unsere Lebensmittelversorgung und Leben an sich auf dieser Erde zu sichern, müssen wir die Biodiversität aufrechterhalten und schützen.“

Kosten werden steigen. Es gibt ausführliche Vorschläge und Handlungsanleitungen für Kommunen, Städte oder betongraue Grätzln, und was angesichts der teils umfassenden infrastrukturellen Maßnahmen zur Rettung des Mikroklimas und der (Über-)Lebensqualität klar wird, ist: Das kostet. Allein, um einen einzigen Baum in einer Stadt zu pflanzen, müssen bis zu 30.000 Euro budgetiert werden.

„Uns ist bewusst, dass die Kosten für die Klimawandelanpassungsmaßnahmen steigen werden. Und nachdem viele Gebäude in Gemeindehand stehen, werden diese Kosten auch zunehmend die kommunale Ebene treffen. Hier werden also auch in Zukunft entsprechende Unterstützungs- und Förderpakete notwendig sein, um diese Investitionen tätigen zu können“, sagt dazu Andrea Kaufmann, Vizepräsidentin des Österreichischen Gemeindebundes.  
In den laufenden FAG-Verhandlungen sind diese wahrlich hohen und erwartbaren Kosten trotz allem kaum Thema. „Es ist wirklich sehr schade, dass für Klimathemen keine eigene Arbeitsgruppe bei den Finanzausgleichs-Verhandlungen eingerichtet wurde. Das wäre der richtige Rahmen gewesen, mehr Bewegung in diese Themen zu bekommen und die Zusammenarbeit beziehungsweise Abstimmung der Gebietskörperschaften auf neue Beine zu stellen“, gibt sich Karoline Mitterer vom Zentrum für Verwaltungsforschung KDZ wenig zuversichtlich, dass das neue Finanzausgleichsgesetz den nötigen Push in diese Richtung bringt.

Dieses Versäumnis lässt die Kommunen bitter im Regen stehen beziehungsweise in der Sonne brutzeln und diesbezüglich ohne den angemessenen Rückhalt an der Rettung der Lebensqualität ihrer Bürger werkeln. „Unter dem ‚Raus aus dem Asphalt‘ startete die Stadt Wien zu Beginn der Legislaturperiode zudem eine große Begrünungs- und Entsiegelungsoffensive im öffentlichen Raum, also auf Plätzen und im Straßenraum“, heißt es aus dem Büro des Wiener Klima-Stadtrates Jürgen Czernohorszky – und weiter: „Mit dem Fördertopf ‚Lebenswerte Klimamusterstadt‘ stehen damit von 2021 bis 2025 insgesamt 100 Millionen Euro zur Verfügung, um unter anderem Wiens Straßenzüge klimafit zu machen und urbanen Hitzeinseln den Kampf anzusagen. Die Halbzeit-Bilanz zeigt nun die beeindruckenden Erfolge des Förderprogramms.

So wurden bisher bereits über 58,4 Millionen Euro in Begrünungs- und Entsiegelungsprojekte in allen 23 Wiener Bezirken vergeben, zahlreiche weitere Projekte stehen in der Pipeline. Förderzusagen gab es mit Mitte Juli insgesamt für 215 Projekte, 58 Prozent des Fördervolumens wurden bereits ausgeschöpft.“

Weniger enthusiastisch klingt, was in der bereits erwähnten Studie „Grünraumgerechtigkeit für eine resiliente Stadt“ steht. Dort werden all die Projekte und Instrumente Wiens in Richtung gerechte Grünraumversorgung zwar grundsätzlich gut geheißen, „die Umsetzung dieser Instrumente hinkt allerdings dem Bekenntnis hinterher“.
Der Eindruck, dass der Klimawandelanpassung viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird und in zu vielen verantwortlichen Kreisen Begrünung oder Entsiegelung zusammen mit all den anderen klimarettenden Maßnahmen eher als lästig denn als überlebensnotwendig erachtet werden, verfestigt sich. Das darf ruhig Angst machen. Denn Menschen sterben.

 

Onlinehinweis

Das KDZ informiert im achten Faktencheck zu den laufenden Finanzausgleichsverhandlungen zum Thema „Klimaschutz und Klimawandelanpassung“.
» https://www.kdz.eu/de/fag2024