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Die immer enger werdenden Rahmen machen den Job von Bürgermeistern zunehmend zu Mutproben mit masochistischer Note. Dass das Amt abschreckt, ist nicht allzu verwunderlich. Weitet sich der Mangel an geeigneten kommunalen Polit-Kandidaten aber weiter aus, ist mit der Funktionsfähigkeit der betroffenen Gemeinden auch die Gemeindeautonomie und das politische System Österreichs an sich in Gefahr. Der Bund ist auffallend zurückhaltend, wenn es darum geht, das Sterben der kleinsten demokratischen Zellen zu verhindern.
von Alexandra Keller
Es war eine im wahrsten Sinn des Wortes staatstragende Troika, die am 11. Mai 2024 ausrückte, um die Demokratie zu retten. Nicht weniger hatten der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Italiens Präsident Sergio Mattarella und Österreichs Alexander van der Bellen im Sinn, als sie in einem gemeinsamen Brief zur Teilnahme an der EU-Wahl am 9. Juni 2024 animierten. „Als Staatsoberhäupter rufen wir unsere Bürgerinnen und Bürger auf, sich an dieser Entscheidung zu beteiligen und wählen zu gehen! Wir sehen weltweit, dass die Grundwerte des Pluralismus, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit – unsere Werte – infrage gestellt, wenn nicht gar offen bedroht werden. Es geht um nichts weniger als die Grundfesten unserer demokratischen Ordnung. Eine Ordnung, in der informierte Bürgerinnen und Bürger von den Regierungen erwarten, dass sie Verantwortung übernehmen, in der starke Institutionen die Rechte aller – insbesondere der Minderheiten – garantieren und in der Politik ein Prozess der Suche nach Lösungen durch eine lebhafte, aber zivilisierte Debatte ist“, heißt es in der beeindruckenden Botschaft, in der die Präsidenten auch festhalten: „Die Geschichte lehrt, dass dort, wo es an Demokratie mangelt, Menschlichkeit und politische Vernunft erstickt werden.“
Dass sich Steinmeier, Mattarella und van der Bellen derart für die EU-Wahl respektive die aktive Beteiligung daran ins Zeug legen, hat fast schon zu viele gute Gründe. Die Bedrohung der Demokratie, wie viele Menschen in Europa sie kennen und viel zu wenig schätzen, war nach dem Zweiten Weltkrieg wohl noch nie so groß. Einer im April 2024 veröffentlichten Gallup-Umfrage zufolge, sehen 46 Prozent der Österreicher die Demokratie bedroht, was den Vorstoß der Präsidenten durchaus befeuert.
Demokratische Zellen. Doch nicht nur die Europäische Union als größte, allen Mitgliedsländern übergeordnete demokratische Zelle ist in Gefahr. Aus anderen Gründen zwar, aber nicht minder bedrohlich, wanken auch die kleinsten demokratischen Zellen auf eine Weise, die Angst machen kann. Dann nämlich, wenn den Gemeinden weiter jene Menschen abhandenkommen, die ganz unmittelbar Verantwortung für die Bewohner übernehmen und das Leben dort, wo letztlich alle Bürger wohnen, über die nackte Daseinsvorsorge hinaus, gestalten. „Die vermehrten Rücktritte von Bürgermeistern haben viele Gründe. Tatsache ist, dass durch das Tempo des gesellschaftlichen und technischen Wandels und der Reaktion der Bürger darauf die Belastungen wachsen. Damit einher gehen Gesetzesflut, Social-Media-Druck und Haftungsgefahren. Da aber gleichzeitig bei allen Befragungen die Bürgermeister den höchsten Zuspruch im Politikerranking finden, sollten diese positiven Meldungen helfen entgegenzusteuern“, stellt Leo Radakovits, Präsident des Gemeindebundes Burgenland, gegenüber public fest. Zuletzt war Niederösterreich von einer Bürgermeister -Rücktrittswelle erfasst worden, die in der geballten Form schon überraschte, sich aber nur deswegen nicht zu einem Tsunami entwickelte, weil meist recht rasch Nachfolger gefunden werden konnten. Nicht immer ist das leicht.
Suche nicht immer einfach. Im Tiroler Olympia-Ort Seefeld etwa ging der Besetzung des vakant gewordenen höchsten Amtes ein kleiner Spießrutenlauf zwischen Rücktritten, Selbstauflösung, der Einsetzung eines Amtsverwalters durch das Land und folgenschwerem Stillstand voraus. Zu wild waren die Auseinandersetzungen rund um die Olympia-Kosten geworden, zu heftig die Debatten über die Finanzen und die offenen Baustellen, sodass selbst die zuvor ambitioniertesten Polit-Mandatare ihr „NEIN DANKE!“ regelrecht befreit ausriefen. Als Ende Februar 2024 mit Andrea Neuner eine „erste“ Frau den Posten der Seefelder Bürgermeisterin übernahm, zeigte sich Landeshauptmann Anton Mattle erleichtert und Bezirkshauptmann Michael Kirchmair stellte fest: „Die Aufgaben und Herausforderungen der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind vielfältig, erfordern ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl und haben oftmals direkten Einfluss auf das Leben und die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger. Dementsprechend geht mit dem Amt eine große Verantwortung einher.“ Stimmt.
Der höchste Zuspruch, von dem Burgenlands Gemeindebundchef Radakovits spricht, lässt die Tatsache, dass Kommunen sich zunehmend schwer tun, Kandidaten für Ämter zu finden, auf den ersten Blick eigenartig wirken. Laut Umfrage des österreichischen Gemeindebundes vertrauen 42 Prozent der Österreicher der Politik auf Gemeindeebene am meisten, gefolgt von der Landespolitik (19 Prozent), der EU-Politik (zehn Prozent) und der Bundespolitik – mit jämmerlichen sieben Prozent. Im Umkehrschluss müssten politisch Motivierte sich demnach eigentlich viel lieber in Gemeinden und Städten engagieren, als in Bund, EU oder Land. Doch anders als diese fetten demokratischen Zellen, werden die Kommunen zunehmend finanziell ausgehungert – was neben den Haftungsfragen und sonstigen Klagen die größte Spaßbremse in den Rathäusern und Gemeindestuben ist.
Problem Finanzen. Die jüngste Bürgermeister-Befragung des österreichischen Gemeindebundes, in der die Befragten die schwierige finanzielle Lage als größte Herausforderung bezeichneten, bestätigt das.
„Das Finanzthema betrifft über kurz oder lang alle Gemeinden. Das zeigt dringenden Handlungsbedarf, sonst schauen am Ende nicht nur die Kommunen, sondern vor allem die Bürger selbst durch die Finger, wenn in der Folge die öffentliche Infrastruktur – wie zum Beispiel Straßenerhaltung, Kinderbetreuung, Klimaschutzprojekte – leiden muss. Wir verhandeln daher aktuell mit der Bundesregierung über ein neues Gemeindepaket“, sagte dazu Johannes Pressl, Präsident des österreichischen Gemeindebundes, der dieses Paket Ende Februar 2024 in einer Resolution an die Bundesregierung mit einer Milliarde Euro für 2024 und 2025 bezifferte und wie folgt begründete: „Konkret brauchen die Kommunen für die Jahre 2024 und 2025 frisches Geld zur Stärkung der Liquidität. Das heißt, um den laufenden Betrieb überhaupt führen zu können.“ Es geht ans Eingemachte und für die Zukunft der Gemeinden geht es auch darum, dass ihre Rolle im Getriebe das Staates endlich jene Wertschätzung erfährt, die ihr gebührt.
Wertschätzung und Vertrauen. Apropos Wertschätzung. Die ist es, die Gemeindebund-Präsident Pressl gegenüber den Politikern der Gemeinden vermisst, einfordert und im Hinblick auf den veritablen Schwund an Engagierten, die sich für die politischen Ämter zur Verfügung stellen, auch fördern will: „Politiker auf Gemeindeebene sind nicht die gleichen wie auf Landes- und Bundesebene. Als Amtsträger nehmen wir diese Wertschätzung und das Vertrauen, das uns die Bevölkerung entgegenbringt, täglich wahr. Damit wir aber auch in Zukunft Neueinsteiger motivieren können, muss Gemeindepolitik und müssen Gemeindepolitiker diese WERTSCHÄTZUNG von der Bevölkerung auch spüren können. Dann wird es Freude machen, auch Verantwortung zu übernehmen und Herausforderungen für andere Menschen anzupacken.“
Es liegt in der Natur seiner Sache beziehungsweise wohl auch in seinem Amts-Verständnis, dass Pressl die Kandidaten-Situation nicht allzu schwarzmalen will. Dennoch hält er, mit die Gefahren erkennendem Blick, in die Zukunft fest: „Wenn wir die Gemeinden und die Gemeinderäte nicht mehr haben, dann steht das gesamte System in Österreich still. Daher müssen wir wieder neue Wege, neue Motivation und auch Begeisterung in der Bevölkerung finden, sich für eine gemeinsame Sache, für das gemeinsame Gestalten zu engagieren.“
Es ist echt nicht die leichteste Zeit für derartige Motivations-Kampagnen, rechnet der Gemeindebund doch damit, dass mehr als ein Drittel der Kommunen nicht ohne Hilfe ihre Budgets ausgleichen werden können. In fast allen Gemeinden werden notwendige Investitionen nach hinten verschoben oder gänzlich abgesagt, was nicht nur den Kindergartenausbau bremst, sondern auch die regionale Bauwirtschaft schwer treffen wird. Die Gemeinden waren in den letzten Jahren mit rund 3,5 Milliarden Euro die größten direkten öffentlichen Investoren. „Daher sagen wir auch klar: Wer den Gemeinden hilft, sichert nicht nur kommunale Infrastrukturen, wie den Bau neuer Kindergärten, sondern stärkt auch die Bauwirtschaft und die lokale Wirtschaft“, betonte Pressl im Zusammenhang mit der Milliarde-Forderung an den Bund, dessen Verständnis gegenüber den „Kleinen“ jedoch nicht allzu helle schimmert.
Dabei steckt in der aktuell so tristen finanziellen und damit teils direkt in Verbindung stehenden nicht minder tristen personellen Situation durchaus das Potenzial für einen kommunalen Supergau. „Der Mangel an entsprechend qualifiziertem politischem Personal gefährdet die Funktionsfähigkeit vor allem der kleineren Gemeinden und ist nicht nur demokratiepolitisch, sondern auch verwaltungstechnisch ein gewaltiges Problem“, sagt etwa der Verfassungs-Experte und Direktor des Instituts für Föderalismus Peter Bußjäger, der zudem festhält: „In letzter Konsequenz stellt der Mangel an geeigneten Funktionärinnen und Funktionären die Zukunft der Gemeindeautonomie in Frage.“
Demokratische Werte. Die Gemeindeautonomie wiederum ist so etwas wie ein heiliger Gral der österreichischen Demokratie, die gerade gleich von mehreren Seiten in die Zange genommen wird, sodass eine starke, ritterliche Heerschar nötig scheint, sie zu retten. Die Präsidenten von Deutschland, Italien und Österreich setzten im Mai ein Zeichen und Wien wird dafür ab Herbst 2024 die Standarte führen, wurde die österreichische Bundeshauptstadt doch von der gemeinnützigen Non-Profit-Organisation European Capital of Democracy zur Europäischen Demokratiehauptstadt 2024/25 auserkoren.
„Wir erleben derzeit weltweit, dass demokratische Errungenschaften nicht selbstverständlich sind. Populistische Kräfte wollen die Gesellschaft spalten und versuchen die Demokratie auszuhöhlen.
Deshalb ist es so wichtig, demokratische Werte mit allen Kräften zu verteidigen und Initiativen zur Stärkung der Demokratie über unsere Grenzen hinaus zu unterstützen“, betont Michael Ludwig, Bürgermeister der Stadt Wien, wo ab Oktober 2024 ein geballtes Programm den Menschen die Urwerte der Demokratie näherbringen wird.
Bürgermeister Ludwig: „Mit innovativen Projekten werden wir vorzeigen, wie der soziale Zusammenhalt durch noch mehr Teilhabe der Wienerinnen und Wiener gestärkt wird. Ich bin überzeugt, dass die Einbindung möglichst vieler Menschen in politische Entscheidungsprozesse wesentlich ist für Gerechtigkeit, Fortschritt und ein gedeihliches Zusammenleben.
Und letztlich für sozialen Frieden. Das ist der Gedanke beim Demokratiejahr der Stadt Wien.“
Ein guter Gedanke – für die größten demokratischen Zellen genauso, wie für die kleinsten.