Foto: beigestellt/Léhar festival
Wenn es zwei Dinge gibt, womit Österreich sich im Ausland gerne verkauft, dann sind das die Berge und die Kultur. Und manchmal gibt es sogar beides an einem Ort. Die Festivals in Reichenau, Erl und Bad Ischl sind der lebende Beweis, dass man für Theater, Oper und Operette auf höchstem Niveau nicht unbedingt in einer Großstadt sein muss.
Von Michael de Werd
In diesem Jahr ist Bad Ischl Europäische Kulthauptstadt. Wenn es um Operette geht, ist der Kurort im Salzkammergut aber schon länger eine Art heimliche Hauptstadt. Seit 1961 findet hier jeden Sommer ein Operettenfestival statt. Wahrscheinlich gibt es auch keinen passenderen Ort. Noch immer erinnert Ischl an die Habsburger, die hier stets auf Sommerfrische waren. Direkt am Traunufer befindet sich die Villa, wo Franz Léhar einige seiner berühmtesten Werke komponierte. „Mittlerweile sind wir das größte Operettenfestival Österreichs“, erzählt Ines Schiller, die Bürgermeisterin von Bad Ischl. Persönlich hat sie die Operette erst entdeckt, als ihre Tochter als Statistin mitmachte: „Für mich war die schönste Aufführung die Blume von Hawaii. Da bin ich zum Schluss mit Tränen in den Augen drinnen gesessen, weil es so berührend war.“
Schiller glaubt auch, dass die lange totgesagte Kunstform gerade in den letzten Jahren wieder neuen Schwung bekommen hat: „Man macht nicht mehr nur Operette, wie es früher inszeniert wurde, sondern es kommt in die Moderne hinein: peppig, frech und manchmal auch ein bisschen provozierend.“ Und das bemerkt man an den Zuschauern: „Früher war es eher die ältere Generation, aber mittlerweile haben wir sehr wohl ein durchmischtes Publikum.“ Natürlich hat es auch Nachteile, wenn man Kultur in einer kleineren Gemeinde macht: „Wenn ich in Linz oder Salzburg unter der Woche zu einer Veranstaltung gehe, komme ich ohne Probleme mit den öffentlichen Verkehrsmitteln wieder nach Hause, aber bei uns ist man leider noch immer sehr an das Auto gebunden.“
Das Bühnenbild ist schon da. Auch in Reichenau an der Rax gibt es die Kombination von Natur und Geschichte. „Es hat bei uns immer viele Dichter und Denker gegeben, die die schöne Landschaft genossen haben“, erzählt Bürgermeister Johann Döller. Das Dorf wurde zu einer Theaterhochburg, weil das Ehepaar Loidolt 1988 das Festival gründete: „Peter Loidolt war kaufmännisch sehr bewandert und seine Frau Renate kulturell versiert und sie haben es geschafft, bekannte Schauspieler aus den Wiener Theatern zu engagieren.“ Vor der Coronapandemie hatte das Festival 40.000 Besucher pro Jahr. Obwohl es etwas zurückgegangen ist, ist Döller optimistisch, dass bald wieder das alte Niveau erreicht werden wird.
Als die Loidolts in den Ruhestand traten, wurde mit Maria Happel eine der populärste Schauspielerinnen Österreichs die neue Leiterin. Vorher hatte Happel schon oft in Reichenau mitgespielt und Regie geführt. Außerdem besitzt sie in der Nähe eine Zweitwohnung und hat sich richtig in die Gegend verliebt: „Wenn man hinausfährt, macht man automatisch eine Zeitreise. Schon wenn man in Payerbach auf dem Bahnsteig aussteigt, befindet man sich in einem anderen Jahrhundert … Und die Landschaft. Es ist wie Thomas Bernhard es beschreibt: Das Bühnenbild ist schon da.“ Nach wie vor liegt ein Schwerpunkt auf Autoren, die mit der Gegend zu tun haben wie Arthur Schnitzler. „Warum soll ich dieses Schiff, das seit vielen Jahren erfolgreich fährt, umdrehen? Dann kann man nur kentern“, meint Happel.
Trotzdem scheut sie sich nicht vor Experimenten, wie im Vorjahr, als sie Die Präsidentinnen von Werner Schwab auf die Bühne brachte. „Es waren so viele Leute, die gesagt haben: 'Ah, das war Klasse! Wie in unserer Studienzeit.'“ Und die Zahlen geben ihr recht, denn fast alle Vorstellungen sind ausverkauft: „Wir schaffen, was nicht mal Salzburg schafft. Wir haben fünf Eigenproduktionen im Sprechtheater, die wir in diesem Zeitraum stemmen.“
Von der Oper auf die Kuhwiese. Mit seinen gerade 1600 Einwohnern ist Erl in Tirol wahrscheinlich nicht der erste Ort, wo man Opernfestspiele mit Schwerpunkt auf Richard Wagner erwarten würde. Und doch war es nicht ganz zufällig. „Kultur ist in Erl ja nichts Fremdes, weil wir seit 410 Jahren Passionsspiele spielen“, erzählt Bürgermeister Aicher-Hechenberger. Es war der Dirigent Gustav Kuhn, der in Erl wohnte, der auf die Idee kam, unser Passionsspielhaus auch für Opern zu benützen. „Es war eine Win-win-Situation,“ erzählt Andreas Leisner, der künstlerische Betriebsdirektor der Festspiele. „Das Theater mit 1.500 Plätzen stand schon da, und die Gemeinde war glücklich, dass eine Nutzung zwischen den Passionsjahren in Aussicht war.“
Und auch in wirtschaftlicher Hinsicht hat Erl profitiert. „Die Wiederbelebung der Privatzimmervermietung ist den Festspielen zuzuschreiben“, erzählt Aicher-Hechenberger. Auch das Niveau der Gastronomie wurde enorm gesteigert. Obwohl die meisten Zuschauer von außen kommen, gibt es doch 50 bis 100 Einheimische, die keine Vorstellung auslassen. „Erl hat ein sehr modernes und mutiges Publikum, das viel offener ist als manche Großstädter, und sehr viel neugieriger“, meint Leisner. Es ist aber vor allem die Lage, die es zu einem einmaligen Erlebnis macht: „Die Gäste können Hochkultur auf Topniveau erwarten wie in einer Großstadt, aber in einer Umgebung, die absolut ländlich und natürlich ist. Sie treten aus dem Theater raus und stehen auf der Wiese neben der Kuh.“
Vor ein paar Jahren holte Erl negative Schlagzeilen, als Kuhn zurücktrat, nachdem man ihm der sexuellen Belästigung beschuldigt hatte. Laut Leisner sind die Folgen dieser Me-too-Geschichte leider noch immer spürbar. Ab dem Herbst wird mit Jonas Kaufmann aber einer der erfolgreichsten gefeierten Opernsänger der Welt die Leitung der Festspiele übernehmen. Leisner schätzt an Kaufmann vor allem, dass er sowohl bei den Kennern als auch beim breiten Publikum gut ankommt: „Ich würde mich freuen, wenn Erl ein Ort ist, der leicht zugänglich ist und gleichzeitig das Interesse der Hochkultur befriedigt.“