Foto: Franz Fingerlos
Umfassender Beteiligungsprozess in St. Georgen am Kreischberg. Um neue Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen, die von möglichst vielen Menschen mitgetragen werden, führt die Gemeinde seit heuer einen breit angelegten Beteiligungsprozess durch. Unter dem Motto „gemma’s an“ wird ein Masterplan für die kommenden Jahre entwickelt, der zugleich eine verbindliche Leitlinie für die Gemeindepolitik ist.
Wie viele Orte am Land steht auch St. Georgen am Kreischberg vor riesigen Herausforderungen. Die Gemeinde zählt knapp 1.700 Einwohnerinnen und Einwohner und ist 2015 aus dem Zusammenschluss von St. Georgen ob Murau und St. Ruprecht-Falkendorf hervorgegangen. Wirtschaftlich dominiert der Tourismus, gefolgt von Land- und Forstwirtschaft. Insbesondere der Wintertourismus hat in den vergangenen Jahren Fahrt aufgenommen. Die Pisten und Liftanlagen am Kreischberg sowie die Infrastruktur im Tal (Hotels, Chaletdörfer etc.) wurden in kurzer Zeit erheblich ausgebaut. Zugleich geht die Zahl der Hauptwohnsitze zurück und das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt. Leistbarer Wohnraum, Abwanderung, Verkehr, Mobilität, (Alters-)Versorgung, Ortsteilentwicklung und wirtschaftliche Perspektiven sind Themen, die der Gemeinde und den Menschen unter den Nägeln brennen.
Wie gelingt ernsthafte Beteiligung? „Wir brauchen einen ernsthaften Dialog, um die Themen, Ideen und Bedürfnisse herauszufiltern, die den Menschen am Herzen liegen. Ich bin zuversichtlich, dass wir einige wichtige Weichenstellungen vornehmen werden“, war sich Bürgermeisterin Cäcilia Spreitzer von Anfang an sicher. Der Beschluss dazu ist im Gemeinderat einstimmig ausgefallen. Es ist ein mutiger Schritt, denn nicht alles, was von den Bürgern vorgetragen wird, ist leicht zur Kenntnis zu nehmen.
„Die meisten Gemeinden trauen sich das gar nicht“, bestätigte Gerald Matis vom ISK Institut, das den Prozess professionell begleitet. Wichtig ist die Klarheit für alle Beteiligten, dass es sich nicht um ein Wunschkonzert handelt. Alle Ideen dürfen und sollen geäußert und diskutiert werden, aber nicht alles kann umgesetzt werden. Wichtig ist es, ein Klima zu schaffen, in dem sich Einzelne gehört, verstanden und willkommen fühlen. Der Beteiligungsprozess bildet eine Erweiterung der traditionellen Gemeindevertretung, die sich zum Tragen der gemeinsam gefällten Entscheidungen verpflichtet hat.
Um eine möglichst breite Einbindung zu erreichen, wird der Prozess seitens der Gemeinde von einer Steuerungsgruppe aus Mitgliedern aller Fraktionen begleitet. Dazu kommt ein professionelles Kommunikationskonzept, um transparent und breit zu informieren.
Unterstützung kommt auch von der LEADER-Region Holzwelt Murau, die in ihrer Entwicklungsstrategie auf eine starke Region mit starken Gemeinden abzielt. Als Regionalentwicklungsverein geht es darum, „eine Kultur zu stärken, in der möglichst viele voneinander lernen und miteinander wachsen können. Wir schaffen hier den Rahmen für Beteiligung und damit ein ‚Wir‘ für die Zukunft“, so Holzwelt-Geschäftsführer Harald Kraxner.
Aus dem laufenden Prozess. Nach dem geglückten Auftakt am 1. März mit ca. 200 Anwesenden haben im Frühling Arbeitsgruppentreffen mit jeweils ca. 70 Personen stattgefunden. In mehreren Runden wurden Ortsteilentwicklung, Bodenpreise und Flächenmanagement, Verkehr und Mobilität, Tourismus, Bildung, Kinderbetreuung u. v. m. diskutiert und Ziele sowie Lösungsansätze gesammelt. Im April und im Mai wurde eine Onlinebefragung über die Zufriedenheit mit dem Leben in der Gemeinde und über mögliche Verbesserungen durchgeführt. Am 14. Juni fand eine groß angelegte Veranstaltung im Open-Space-Format statt, um zu überprüfen, in welchen Bereichen nachgeschärft werden muss. Im Herbst werden die Arbeitsgruppen wieder zusammentreten, um konkrete Maßnahmen, Aktivitäten und Verantwortliche zu bestimmen.
Erste Früchte. Erste Ergebnisse wurden durch das neu entstandene Netzwerk „Gemeinsam g’sund“ erzielt, das medizinische und gesundheitliche Angebote koordiniert und kommuniziert. Eine großangelegte Gesundheitsmesse wird am 9. November stattfinden. Im Zuge des Beteiligungsprozesses fand sich eine eigene Gruppe zusammen, die einen Verein gründete und den traditionellen Lorenzi Markt wiederbelebte, der einige Jahre nicht mehr stattgefunden hat. Gemeinsam mit dem Maibaumumschneiden des Musikvereins fand ein vielfältiges Festprogramm statt, dass sehr gut angenommen wurde.
Eine weitere Gruppe erarbeitete Maßnahmen zur Kinder- und Familienfreundlichkeit. Diese reichen vom Ausbau der Gesundheitsdienstleistung und der kollektiven Nutzung des Gemeindefahrzeugs bis hin zu mehr Einbindung und Sichtbarmachung von Kindern und ihren Anliegen und einem Stammtisch für Seniorinnen und Senioren.
Maßnahmen in den Bereichen Gemeindefinanzen, Bodenpreise und Flächenmanagement, Tourismus, Verkehr und Infrastruktur haben eine längere Vorlaufzeit und erfordern Fachwissen sowie die Einbindung anderer Institutionen. Um diese großen Hebel zu betätigen, wird in eigenen Teams gearbeitet. Eines der wichtigsten Ziele ist die Schaffung von leistbarem Wohnraum und die Bereitstellung erschwinglicher Grundstücke für junge Menschen, die sich wünschen, ihr Leben in der Gemeinde zu verbringen.
Ausblick. Bereits beim Auftakt und bei den Arbeitsgruppentreffen wurde sichtbar, dass es ein großes Interesse an der Entwicklung der Gemeinde gibt. Viele Menschen sind bereit, Zeit, Energie und Wissen zu investieren. „Gemma’s an“ wurde vom Namen zum Programm, denn umgehend wurden Projekte in Angriff genommen. Die langfristigen Auswirkungen werden in den kommenden Jahren sichtbar und spürbar sein. Wichtig aus Sicht der Gemeinde ist es, auch nach dem Abschluss des Prozesses durch das ISK Institut am Ball zu bleiben und den Dialog und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger fortzusetzen, denn „die Gemeinde, das sind wir alle!“