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Vom Flüchtlingstreck zur Partnerschaft

Es gibt große europäische Tragödien, die bis heute auffällig wenig Aufmerksamkeit bekommen. Eine davon ist ohne Zweifel die Vertreibung von zwischen 12 und 14 Millionen Deutschen aus Osteuropa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Schätzungsweise 1,7 Millionen fanden dabei den Tod. Dass aus traurigen Erinnerungen auch etwas Positives erwachsen kann, beweist die Städtepartnerschaft zwischen Wels und der rumänischen Stadt Bistritz (Bistrița). Vor einigen Wochen wurde das zehnjährige Jubiläum gefeiert, aber die Wurzeln reichen schon 80 Jahre zurück.  
von Michael de Werd

Ende 1944 machten sich Tausende Siebenbürger Sachsen aus der Gegend von Bistritz auf den Weg in den Westen. Obwohl es keine Massenvertreibungen gab wie etwa in Polen oder der Tschechoslowakei, fürchteten sie sich zu Recht vor der Rache der aufrückenden Roten Armee. Die wohl berühmteste Darstellung, wie es den Zurückgebliebenen oft erging, ist der Roman Atemschaukel von Nobelpreisträgerin Hertha Müller. Es war verständlich, dass die Flüchtlinge weiterzogen bis Oberösterreich - in die spätere amerikanische Besatzungszone. Bis heute gibt es wenig Orte in Österreich, die so stark geprägt von den Heimatvertriebenen sind wie Wels. Es ist also kein Zufall, dass gerade hier der Siebenbürger Heimattag gefeiert wird.
Bei der Eröffnung liest der Schauspieler Dennis Riffel aus dem Tagesbuch von Simon Ohler, der damals am entbehrungsreichen Treck ins Ungewisse teilnahm. Auch aus Deutschland sind viele Vertreter von Heimatvertriebenenverbänden gekommen. Die Welser Vizebürgermeisterin Christa Raggl-Mühlberger (FPÖ) betrachtet sie als ein Paradebeispiel für gelungene Integration: „Sie haben unser Land mitaufgebaut und unsere Traditionen und Werte übernommen, ohne die eigenen Wurzeln zu vernachlässigen.“ In die Partnerstadt Bistritz hat sie sich gleich verliebt: „Ich war das erste Mal mit dem Motorrad dort und war wirklich beeindruckt von der Freundlichkeit der Menschen und wie sehr sie ihren Traditionen und Bräuchen verbunden sind.“

Stolz auf das sächsische Erbe. Jemand, der mit der Geschichte aufgewachsen ist, ist der frühere Bürgermeister Peter Koits (SPÖ): „Ich habe in meiner Jugend in ihren Siedlungen gelebt, weil mein Vater dort der Leiter war ...  Obwohl ich noch ein Kind war, habe ich bemerkt, wie schwer es ihnen gefallen ist, von der Heimat wegzugehen. Im Lagerleben wurde immer wieder darüber gesprochen.“ Als er später Bürgermeister war, konnte Koits die Bande mit Bistritz, die es auf informeller Ebene schon lange gab, auch offiziell besiegeln: „2014 gab es das Jubiläum 25 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs. Da haben wir gesagt, das ist ein gutes Jahr, um eine Partnerschaft zu begründen.“

Koits' Gegenüber in Bistritz war der damalige Bürgermeister Ovidiu Cretu. Wie Cretu erzählt, bestand unter den Kommunisten die Neigung, die Geschichte zu verdrängen. Die jetzigen Bewohner sind dagegen stolz auf das kulturelle Erbe: „Die Sachsen haben Bistritz gegründet und über Jahrhunderte hinweg weiterentwickelt. Das historische Zentrum wurde von ihnen gebaut. Wir haben aber nicht nur die Denkmäler von den Sachsen geerbt, sondern auch Kultur, Organisationsgeist, Handwerkskunst.“ Obwohl die deutschsprachige Gemeinschaft heutzutage nur noch um die 200 Seelen zählt, finden in der evangelischen Kirche noch immer Gottesdienste auf Deutsch statt und hat das Gymnasium eine deutschsprachige Abteilung.
Cretu sieht auch viele Gemeinsamkeiten zwischen Wels und Bistritz: „Es sind Städte mit einer europäischen Ausrichtung und von einer ähnlichen Größe. Sie haben das mittelalterliche historische Zentrum bewahrt und genutzt, und sie haben sich nicht zermalmen lassen von den großen Metropolen in der Nachbarschaft – Linz und Klausenburg.“ Für Cretu sind die Kontakte zwischen den normalen Bürgern auch wichtiger als die offizielle Zusammenarbeit zwischen den Rathäusern. Bis heute gibt es einen lebendigen Austausch, in den auch die Jugend involviert ist.

Friede und Volkstanz. Seit dem Vorjahr läuft ein gemeinsames Friedensprojekt zwischen dem Gymnasium Wallererstraße in Wels und Schulen aus Bistritz und den anderen Partnerstädten. Neben Themen wie die EU oder Cybermobbing steht das gegenseitige Kennerlernen im Vordergrund. Vor einigen Wochen fuhr eine Gruppe von Welser Schülern nach Bistritz. Die Lehrerin Gisela Gutjahr ist voll des Lobes über das dortige Gymnasium: „Besonders begeistert waren meine Kollegen und ich über die Lage und Ausstattung der Schule, die um einen großen Sportplatz mit Laufbahn gebaut ist.“ In Wels gibt es eine spezielle Sportabteilung. Außerdem gefiel ihr die hohe Qualität des Unterrichts und die große Disziplin der Schüler. Nur eines war auffällig: „Sobald sie die Schule verlassen haben, haben sie alle die Zigarette im Mund gehabt. Das würde es bei uns nicht geben.“

Eine zentrale Rolle bei den Kontakten zwischen Wels und Bistritz wird gespielt vom Verein der Siebenbürger Sachsen. Christian Schuster, der seit 2011 auch der Obmann der Siebenbürger Sachsen in Oberösterreich ist, kam schon als Kind mit dem Brauchtum in Kontakt, als er mit seinen Großeltern auf die Weihnachtsfeiern ging. Eine wichtige Rolle beim Vereinsleben spielt seit jeher der Volkstanz: „Die Tanzgruppe ist eigentlich der Motor unserer Gemeinschaft und der Grund, warum wir immer noch existieren.“ Schon in seiner Studentenzeit war Schuster der Leiter der Jugendvolkstanzgruppe. Während sie schon oft in Bistritz waren, kommen auch regelmäßig Gruppen von dort nach Wels. „Die Brauchstumspflege hat in Osteuropa einen höheren Stellenwert als bei uns, was wahrscheinlich mit der Geschichte zu tun hat.“ Auch wenn die Gruppe noch immer funktioniert, ist es nicht ganz leicht, die Jugend für Volkstanz zu begeistern. Und die demografische Uhr tickt: „Bei den Heimatvertriebenen leben jetzt die Nachkommen in der dritten oder teilweise schon vierten Generation, und da nimmt natürlich das Interesse ab, sich in so einem Verein zu engagieren.“