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Knack dir eine Gemeinde ab

Auch in der Schweiz werden Gemeindefusionen heftig diskutiert – und immer häufiger durchgeführt.
So besteht der ganze Kanton Glarus nach einer „Bürgerrevolution “ aus nur noch drei Gemeinden.
Auch im Kanton Luzern soll kein Stein auf dem anderen bleiben.
Von Marcus Eibensteiner, public


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Bildnachweis: Urs Heer Glarus

Es herrscht gespannte Stille auf dem schönen Zaunplatz in der kleinen Schweizer Stadt Glarus. Rund 10.000 Menschen haben sich auf Holztribünen versammelt, die ein Oval bilden. Viele halten ihre Stimmrechtsausweise hoch und warten auf das Ergebnis. Der „Landammann“, der Leiter dieser Versammlung, beginnt zu zählen – beziehungsweise abzuschätzen. Und auch er kann es nicht glauben: Zwei Drittel der Bürger sind per Handzeichen für den außertourlichen Vorschlag, aus den bestehenden 25 kleinen Ortsgemeinden des Kantons Glarus drei Einheitsgemeinden zu machen. Und das gegen den eigentlichen Plan des Regierungsrates, auf nur zehn Gemeinden zu verkleinern.


Bürger für Fusion
Diese kleine Revolution fand am 7. Mai 2006 bei der traditionellen Landsgemeinde, einer basisdemokratischen Bürgerversammlung im Kanton Glarus, statt. Seit 1. Jänner dieses Jahres ist das Konzept umgesetzt – und die drei Einheitsgemeinden sind verwirklicht.

Würde man dieses Ereignis auf Österreich übertragen, würde Folgendes passieren: Der niederösterreichische Bezirk Gmünd ruft alle Wahlberechtigten der rund 38.000 Einwohner in seine Bezirkshauptstadt und Landeshauptmann Erwin Pröll beginnt persönlich zu zählen, ob die Bevölkerung dafür ist, aus den bestehenden 21 Gemeinden nur noch Gmünd, Schrems und Litschau übrig zu lassen. Und das gegen seinen Willen.
„Bei uns ist durch die direkte Bürgerbeteiligung einfach alles möglich“, erklärt Urs Kurmann ganz gelassen und im typisch schweizerischen Akzent. Er ist Leiter der Fachstelle für Gemeindefragen im Kanton Glarus und erklärt die Gründe, warum die Bürger so klar für die Gemeindefusionen gestimmt haben: „Die Gemeinden mussten immer mehr Aufgaben übernehmen. Viele waren nur dank der finanziellen Unterstützung des Kantons lebensfähig. Die Bevölkerung hat wohl eingesehen, dass das langfristig nichts Gutes bringt und größere Verwaltungseinheiten besser sind.“
Maria Luisa Zürcher-Berther, stellvertretende Direktorin beim Schweizerischen Gemeindeverband, erklärt diese Entwicklung so: „Schon all die Jahre zuvor haben die Gemeinden immer mehr zusammengearbeitet. Sei es zum Beispiel bei einer gemeinsamen Schule oder bei der gemeinsamen Müllabfuhr. Da ist der Schritt zur Fusion nicht mehr so weit.“
Zürcher-Berther kann sich so eine Entwicklung auch in Österreich gut vorstellen: „Es gibt doch schon jetzt viele Ortschaften, die sich gemeinsam als eine Region sehen, zum Beispiel das Wald- oder das Weinviertel. Da sind Fusionen sicher leichter möglich.“
Dass das ein jahrelanger Entscheidungsprozess wäre, ist der Schweizerin sehr klar: „Ich habe länger in Wien gelebt und so einen Einblick bekommen, wie gewisse Dinge in Österreich funktionieren. Wir in der Schweiz haben auf jeden Fall das Gefühl, dass wir uns bewegen müssen.“
Ganz persönlich steht sie einer Gemeindefusion aber eher skeptisch gegenüber: „Ich wohne in einer Ortschaft außerhalb von Bern. Es hat einmal Gerüchte gegeben, dass die Stadt Fusionen mit den Umlandgemeinden plant. Das kann ich mir aber nicht vorstellen – zumindest nicht heute oder morgen.“

Auch die Verwalter der Stadt Luzern haben sich zum Ziel gesetzt, gleich mit ein paar Umlandgemeinden zu fusionieren – und so zur noch mächtigeren Gemeinde im gleichnamigen Kanton zu werden. Mit dem Projekt Starke Stadtregion Luzern will sich Luzern mit den Orten Adligenswil, Ebikon, Emmen und Kriens verheiraten. Die Ortschaft Littau wurde bereits vor einem Jahr geschluckt. Und die Bevölkerung hat das gefeiert:  Rund 1.500 Bürger marschierten am 1. Januar 2010 im strömenden Regen von Littau nach Luzern und jubelten vor und im Rathaus über den Zusammenschluss der beiden Gemeinden.


Kontrapunkte

Doch es gibt auch Widerstand. So hat sich zum Beispiel der Gemeinderat von Adligenswil klar gegen einen Zusammenschluss ausgesprochen. Ursi Burkart-Merz, Gemeindepräsidentin (Bürgermeisterin) der 5.500-Seelen-Gemeinde: „Das hat gleich mehrere Gründe. Erstens sehen wir keine finanziellen Vorteile für uns, zweitens gibt es dann sicher weniger Mitbestimmung im Ort und drittens wollen wir über unser Bauland auch in Zukunft selbst entscheiden. Und nicht zu vergessen ist der Verlust der Bürgernähe.“


Bernadette Kurmann vom Projekt Starke Stadtregion Luzern kennt diese Argumente gut. Und sie kennt noch andere, über die nicht so offen gesprochen wird: „Man muss wissen, dass die Vertreter der Gemeinden recht gut bezahlt werden. Es kann also sein, dass gewisse Entscheidungen auch von persönlichen Interessen beeinflusst werden. Denn nach einer Fusion kommt es natürlich zu einer Neuwahl. Und auch die Geschichte spielt eine gewisse Rolle. Es kann sein, dass Orte traditionell verfeindet sind oder es alt eingesessene Familien gibt, die an Macht verlieren könnten.“
Und auch die große Politik mischt mit. Während der konservative Flügel, etwa die starke Schweizerische Volkspartei (SVP), im Regelfall gegen Fusionen ist, spricht sich die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) klar dafür aus. Hintergrund ist vor allem taktisches Denken: Wachsen die eher linken Städte, geht der direkte Einfluss der Konservativen am Land verloren.
Yvonne Schärli-Gerig, Regierungsrätin der SP: „Wir werden oft als Fusions-Turbos bezeichnet. Aber wir sind immer bis zum Schluss für die Möglichkeit, dass die Bürger noch nein sagen können.“

Basisdemokratie
Und genau diese direkte Demokratie sorgt immer wieder für Überraschungen in der Schweiz. So hat der Gemeinderat von Emmen beschlossen, die Fusionsverhandlungen mit Luzern zu beenden. Einigen Bürgern war das allerdings gar nicht recht, sie formierten sich zur Bewegung „Emmen GO“ und erzwangen mit einer Unterschriftenaktion eine Abstimmung für den 27. November über weitere Verhandlungen.

Die Statistik spricht auf jeden Fall eine klare Sprache: Allein heuer „verschwanden“ 45 von den im Jahr 2010 noch 2.596 bestehenden Gemeinden. In den vergangenen zehn Jahren war der Rückgang bei weitem größer als in den 40 Jahren zuvor (minus 303, also 10,5 Prozent).

Die Schweizer nehmen es auf jeden Fall gelassen, getreu ihrer fast liebsten Redewendung: Jedes Problemli het zwöi Siite: die fauschi ond üsi. – Jedes Problem hat zwei Seiten: die falsche und unsere.