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Bürgermeisteramt – Gesundheitsrisiko?

In diesen hektischen Zeiten wird das Bürgermeisteramt zunehmend zum Gesundheitsrisiko. Gleichzeitig spielen die Bürgermeister eine Schlüsselrolle für das Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung. Was die Ortschefs für sich und ihre Gemeinde tun können, um Gesundheit und seelisches Wohlbefinden zu stärken.
Von Christian Stemberger


„Die Bürger schätzen ehrliche Politik. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sie einem Politiker mit Verständnis begegnen, der Schwächen oder Fehler eingesteht. Genau das macht ihn zu einem von ihnen.“
Harald Sonderegger, Bürgermeister Schlins, 
Präsident des Vorarlberger Gemeindeverbands


Gesundheit

Der Trend zu Gesundheit und Wellness ist in der Bevölkerung angekommen: Landauf, landab frönen immer mehr Menschen dem Nordic Walking und achten auf ihre Ernährung. Zu den Risikogruppen ist die Botschaft aber noch nicht durchgedrungen – eine davon sind die Bürgermeister.

Gerade leistungsbereite Menschen, die gern Verantwortung übernehmen, neigen dazu, ihre eigenen Grenzen zu ignorieren und sich immer mehr aufzubürden. Selbstausbeutung nennt sich das im Fachjargon: Gemeindechefs sind vor allem eine Risikogruppe, weil sie sich selbst nicht auf die Prioritätenliste setzen.

Keine Klagen

Ihre Bedürfnisse kommen irgendwann einmal am Schluss, wenn die letzte Gratulation absolviert und das letzte Telefonat geführt ist. Bürgermeister lieben ihren Job und haben ihn bewusst gewählt. So kommen auch kaum Klagen, wenn man sich mit einem unterhält, außer dem Ächzen unter dem stetig steigenden Termindruck. Auch der Gemeindebund hat die steigenden Belastungen der Bürgermeister registriert und bietet seit Ende 2009 gemeinsam mit dem Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) Bürgermeister-Gesundheitsseminare an.

„Wir geben den Teilnehmern Werkzeuge in die Hand, mit denen sie ihren Berufsalltag besser bewältigen können“, sagt Petra Gajar vom FGÖ, „dabei geht es zunächst um die einfachsten Grundlagen: richtige Ernährung und Bewegung als Ausgleich zur Arbeitsbelastung.“

Delegieren lernen

Die Veranstaltungen wurden speziell auf die Bürgermeister und ihre Stellvertreter zugeschnitten und decken neben dem Gesundheitsbereich die Themen Stressbewältigung, Kommunikation und Organisation ab. Der Bedarf ist nach Gajars Einschätzung groß: „Einige fahren schon auf Reserve, wenn sie zu uns kommen. Wir sehen, dass uns die Bürgermeister dann wieder gestärkt verlassen. Danach bleibt der Kontakt meist aufrecht und wir bekommen sehr gutes Feedback.“ Großen Aufholbedarf ortet sie bei Organisation, Mitarbeiterführung und Zeitmanagement: „Führungskräfte müssen delegieren können und Verantwortung abgeben. Wie jeder Manager muss auch ein Bürgermeister lernen, dass man nicht alles selbst erledigen kann.“

Priorität Gesundheit

Bei den Seminaren des FGÖ dreht es sich aber nicht um die Amtsträger allein: „Wir kommen nicht so richtig in den Gemeinden an. Die Bürgermeister sind für uns ideale Multiplikatoren, damit die Gesundheitsförderung auf der Bevölkerungsebene funktioniert.“ Wie das geht, zeigt das Beispiel Semriach. Josef Taibinger, mit 66 Jahren übrigens deutlich über dem Altersschnitt bei den Seminaren, hat trotz 20 Jahren Erfahrung im Amt nicht nur viel für sich als Bürgermeister gelernt, er ordnet nun auch Gesundheitsprojekten einen wesentlich höheren Stellenwert zu: „Wichtig ist dabei, die Initiativen von Privatpersonen, die sich engagieren wollen, zu unterstützen. So sichert man die Kontinuität.“

„Niemand ist perfekt. Auch nicht wir Bürgermeister“, sagt der Präsident des Vorarlberger Gemeindeverbands, Harald Sonder-egger, „wir stellen oft zu hohe Ansprüche an uns selbst. Manchmal müssen wir unter die selbst gelegte Latte gehen und uns eingestehen, dass wir Fehler machen können.“ Der lang gediente Schlinser Ortschef steht noch ganz unter dem Eindruck des Ablebens eines jungen Kollegen, heuer schon der dritte österreichische Bürgermeister, der freiwillig aus dem Leben geschieden ist: „Ich hatte aufgrund seiner relativ kurzen Amtszeit leider nicht die Gelegenheit, ihn persönlich besser kennenzulernen, abgesehen von den beruflichen Begegnungen. Er machte aber immer einen sehr freundlichen und kollegialen Eindruck. Soweit ich höre, hat es auch sein nächstes Umfeld, seine Frau und Familie, ohne jede Warnung getroffen.“

Überfordert

Besonders in kleineren Gemeinden sind die Anforderungen an die Bürgermeister sehr hoch: „Wir bieten in der Gemeindeakademie Schloss Hofen ein breit gestreutes Seminarangebot für Einsteiger in die Kommunalpolitik. Letztlich kann man aber gerade den ‚Beruf’ Bürgermeister nicht erlernen. Es ist und bleibt ein Sprung ins kalte Wasser.“ Gerade am Anfang einer Bürgermeisterkarriere könne man rasch den Eindruck bekommen, dass einem die Verantwortung über den Kopf wächst, meint Sonderegger: „Ein Gespräch mit einem erfahrenen Kollegen könnte helfen, die eigenen Probleme ins rechte Licht zu rücken. So einem Ansinnen wird sich kaum ein Kollege verschließen.“

Es ist für Bürgermeister nahezu unmöglich, in der Öffentlichkeit ihre Rolle als Amtsträger auch nur für einen Moment ablegen zu können, etwa am Elternsprechtag nur Vater zu sein. „Dazu braucht es viel Mut“, sagt Psychotherapeutin Daniela Trattnigg, „aber letztlich kann man aus der Fähigkeit, sich vom Amt abzugrenzen, auch viel Kraft für seine Aufgaben schöpfen.“

Selbstgemachter Druck

Der Leistungsdruck, den so mancher verspürt, kommt oft eher von innen. Und das ist an sich eine gute Nachricht, denn daran kann man arbeiten. „Es sind selten die beruflichen Anforderungen allein, die uns zu schaffen machen. Oft spielen die Leistungsansprüche, die wir aus unserer Erziehung mitbringen, eine größere Rolle“, sagt Dr. Irene Francis, Stationsärztin der Psychosomatik Waiern. Auch wenn der äußere Druck zugenommen hat und die Komplexität der Arbeitswelt den Menschen zusetzt, kann Francis nicht eindeutig beantworten, ob Burnout in den letzten Jahren gehäuft auftritt: „Es kommen immer mehr Menschen mit einem selbst diagnostizierten Burnout. Es ist sozial akzeptiert, denn wer es hat, gehört zu den Leistungsträgern. Oft steckt aber ganz was anderes dahinter.“

Einrichtungen wie die Psychosomatik am Krankenhaus Waiern im Kärntner Feldkirchen gibt es in Österreich noch keine Hand voll. Noch mehr aber schmerzt Francis, dass die ambulante Versorgung nicht ausreichend ist: „Wenn da der Zugang leichter wäre und die Wartezeiten kürzer, dann könnte schon viel abgefangen werden.“ Und schon im Vorfeld, bei der Gesundheitsvorsorge sind größere Anstrengungen dringend erforderlich.

Vorbeugen statt leiden

Der Prävention wird noch immer zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das beginnt im Betrieb oder am Bauhof, wo sich ein gutes Betriebsklima durch weniger Krankenstandstage bezahlt macht, geht über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten bis hin zum frühzeitigen Erkennen und Behandeln von Krankheiten. „In Österreich dreht sich die Diskussion um die Gesundheitsausgaben fast ausschließlich um direkte Kosten, wie etwa bei Rheuma um die teuren Medikamente“, kritisiert Martin Steinhart, Medical Director von Roche Austria, „die Folgekosten durch Krankenstand, Frühpension, medizinische Betreuung und Pflege, die ein Vielfaches der Ausgaben einer rechtzeitigen Behandlung betragen, werden einfach ausgeblendet.“

Daniel Kosak vom Gemeindebund vermisst finanzielle Anreize: „Ganz gleich, was die Gemeinde für die Gesundheit ihrer Bürger tut, sie zahlt immer denselben Beitrag – pro Kopf und Jahr.“ Kein Wunder, wenn so mancher Bürgermeister mit den knappen freien Mitteln lieber 20 Meter Landstraße flickt, als ein Gesundheitsprojekt anzustoßen, dessen Sinnhaftigkeit er dem Bürger erst einmal nahebringen muss. Ein Bürgermeister sollte der Ortsgemeinschaft ein Vorbild sein. Nicht nur in seiner Integrität, sondern auch in seiner Einstellung zur Gesundheit. Zweifellos schwierig wird es, wenn ein Bürgermeister bei der fünften Gratulation mit Hinweis auf sein Wohlbefinden die angebotenen Weihnachtskekse ablehnen will.

Aber immerhin: Vor zwanzig Jahren noch hätte er das obligate Stamperl Schnaps nicht abschlagen können, ohne um Wählerstimmen fürchten zu müssen.