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Vom Fjord in die Stadt

Das Stadtmuseum hat zur Babywanderung aufgerufen. Auf der hellen Marmorfläche vor der neuen Oper in der Innenstadt von Oslo haben sich Mütter mit ihrem Nachwuchs versammelt. Sie alle sind neugierig, wie sich die Strandlinie in der Innenstadt in den nächsten Jahren verändern wird.
Von Agnes Bührig, Oslo


Fjordbyen Oslo heißt das Stadtentwicklungsprojekt, das die Gemeindepolitiker der norwegischen Hauptstadt Anfang des neuen Jahrtausends angeschoben haben, Fjordstadt. Mit ihm sollen die zentralen Hafenareale in Wohn- und Arbeitsviertel für die Hauptstädter umgewandelt werden, erklärt die Kunsthistorikerin Ellen Margrethe Skil-nand und schaltet ihren Lautsprecher ein. Gegen den rauschenden Verkehr kann sie sich stimmlich sonst kaum durchsetzen: „Es geht darum, diesen Stadtteil zu revitalisieren. Bjørvika, wo wir jetzt gerade stehen, war früher von Industrie geprägt. Die großen Verkehrsadern, die hier entlangführen, trennen den Fjord von der Stadt. Deshalb wurde dieses Areal auch wenig von der Bevölkerung genutzt.“

Neue Hafenfront
Das soll in Zukunft anders werden. Die Europastraße E18, die hier einst entlang der Küstenlinie verlief, ist in den Untergrund verlegt worden. Freiwerdende Flächen sollen als Parks und Plätze der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden. 4.500 neue Wohnungen sind geplant und wenn Bjørvika in zwei Dekaden fertig gebaut ist, werden hier bis zu 20.000 neue Arbeitsplätze entstanden sein. Es ist das größte der zehn Entwicklungsareale entlang des Wassers.
Skilnand lotst ihre Gruppe eine breite, schräge Fläche auf die Dachterrasse der Oper hinauf. Das Haus wurde aus staatlichen Mitteln bestritten und 2008 eröffnet. Es ist der erste Meilenstein im neuen Fjordkonzept und soll mit seiner eigenwilligen Form den Übergang vom Fjord in die Stadtlandschaft symbolisieren. Wie eine überdimensionale Eisscholle, die auf dem Strand gelandet ist, sieht die breite Flaniermeile aus, die das norwegische Architektenbüro Snøhetta einmal rund ums Haus konzipiert hat. Kein exklusives Gebäude, sondern ein Ort mit Raum für alle – so die Idee der Architekten. Und der Ausblick von der in luftigen Höhen endenden Dachterrasse ist gut. Landeinwärts sind die Baukräne zu sehen, die sich über dem neuen Opernviertel drehen, wo 450 neue Wohnungen entstehen. Der Kai direkt gegenüber hingegen wirkt öde und verlassen. Hier könnte in ein paar Jahren das neue Museum des berühmtesten norwegischen Malers, Edvard Munch, entstehen, dessen Werk die Stadt verwaltet. „Doch darüber wird wieder einmal gestritten“, sagt Skilnand und hält eine Bauskizze hoch, in der der Entwurf Lambda des spanischen Architektenbüros Herreros Arquitectos eingezeichnet ist, ein Rechteck im Grundriss, eine hohe Glasfassade und ein Knick im oberen Bereich des Baukörpers: „2009 haben die Spanier den internationalen Architekturwettbewerb für das neue Munch-Museum gewonnen. Damals hatten die Konservativen und die rechtspopulistische Fortschrittspartei (Frp) im Stadtrat das Sagen. Doch vor den Gemeindewahlen im September dieses Jahres änderte die Frp unerwartet ihre Meinung. Unter anderem war ihnen das Projekt mit umgerechnet 230 Millionen Euro plötzlich zu teuer.“
anderswo
Kontroverse Munch-Museum
Es war einer der Gründe, warum die Partei, die bei der Wahl in Oslo die Hälfte ihrer Wählerstimmen eingebüßt hatte und geschwächt in die Verhandlungen um die Macht ging, die Regierungskoalition mit den Konservativen nicht fortsetzen konnte. Denn am Nein zu Lambda wollte sie festhalten. Für einen Neuanfang in der Sache sammelte die Frp Anfang November weitere Verbündete.

Zusammen mit vier Parteien der Opposition, darunter die Sozialdemokraten, unterschrieb sie eine Übereinkunft, die Causa Munch noch einmal zu prüfen. Im Gespräch ist unter anderem, das derzeitige Munch-Museum im Stadtteil Tøyen, das aus den 60er Jahren stammt, zu erweitern. „Die Chancen, dass Lambda nicht gebaut wird, sind damit gestiegen“, sagt Stein Kolstø, der Projektleiter von Fjordbyen Oslo. „Die Frage ist aber noch nicht endgültig entschieden. Jetzt muss sie erneut von den Politikern der Gemeinde behandelt werden. Im Gespräch ist neben Tøyen der Umzug in die Gebäude der alten Nationalgalerie. Zudem hat uns die Stadtverwaltung beauftragt, erneut zu prüfen, ob sich der bisher für den Lambda-Bau vorgesehene Standort am Wasser auch für ein Aquarium eignet.“

Dreieinhalb Jahre Arbeit und umgerechnet an die 10 Millionen Euro haben die Planungen für das neue Munch-Museum den Steuerzahler bereits gekostet. Insgesamt sei das Ziel der Planer, Einnahmen und Ausgaben in der Fjordstadt in der Balance zu halten, sagt Kolstø. Die staatlichen Investitionen für die neue Infrastruktur – wie etwa den neuen Tunnel für die E18 – regulierten sich durch den Wertezuwachs, den ein attraktives Gebiet erfahre, durch höhere Immobilienpreise und Mieten für Gewerbetreibende, sagt der Projektleiter entspannt.

Verkehrsberuhigte Zukunft
Cecilia Odden, die mit ihrem wenige Monate alten Sohn Jonathan im Kinderwagen an der Stadtführung teilnimmt, hat sich über solche Fragen noch keine Gedanken gemacht. Für sie steht die Attraktivität im Vordergrund, die ein neues Gebäude wie das moderne Opernhaus für Oslo bedeutet.

„Ich bin stolz auf unser neues Opernhaus und hoffe, dass ich da irgendwann einmal mit meinem Sohn reingehen werde“, sagt Odden und lässt ihren Kinderwagen ganz langsam die Schräge der Dachterrasse wieder hinuntergleiten. Irgendwann einmal wird sie hier ganz ohne Verkehrslärm flanieren können.