„Die Kirche und der Wirt halten das Dorf zamm“, so sagt man. Mit dem seit Jahren grassierenden Gasthaussterben ist in vielen Orten also einiges aus dem Lot geraten.
Von Marcus Eibensteiner
Früher hatte alles seine Ordnung. Da gab’s einen Pfarrer für die Moral, einen Bürgermeister für die Politik und einen Wirt für alles zusammen. Die Gasthausstuben waren meist bummvoll. Es gab legendäre Kartenrunden, einen mächtigen Stammtisch und immer was zu Lachen. Damit ist in vielen Gemeinden aber schon längst Schluss. „Jeden Monat sperren allein in Niederösterreich drei Wirte zu. Und das seit Jahren“, berichtet Rudolf Rumpler, Obmann der Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in der Wirtschaftskammer Niederösterreich. Auch in anderen Bundesländern trifft dieses Schicksal viele – besonders kleinere – Gemeinden.
Tote Hose – kein Wirtshaus
Gründe dafür gibt es zuhauf. Der wohl wichtigste ist der rasante gesellschaftliche Wandel. In vielen Orten herrscht nur noch am Wochenende Leben. Wenn die Jungen zu Besuch kommen oder die Bewohner – halbwegs von ihrer immer anstrengender werdenden Arbeit erholt – ihre gemütlichen Wohnzimmer mit Großbild-Fernseher verlassen.
Doch allein von diesem Wochenendgeschäft kann kein Wirt überleben. Denn selbst ein funktionierender Betrieb, der auch unter der Woche halbwegs ausgelastet ist, wirft in der heutigen Zeit nicht besonders viel ab. Rudolf Rumpler, der seinen Betrieb bereits an seinen Sohn übergeben hat: „Von dem, was verdient wird, muss immer mehr investiert werden. Zum Beispiel in neue Lüftungsanlagen oder in Trennwände wegen des Rauchverbots. Dazu kommt die immense Bürokratie. Bis zu fünf Prozent vom Umsatz verschlingt allein der Buchhalter.“
Selbst wenn nicht alles dem Finanzamt gemeldet wird – was übrigens in der heutigen Zeit kaum noch möglich ist –, bleibt unterm Strich nicht viel übrig.
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Kein Wunder, wenn auch
scheinbar gute Standorte es sehr schwer haben, einen tüchtigen Wirt zu
finden. So zum Beispiel in der 1.300-Seelen-Gemeinde Gastern im Bezirk
Waidhofen an der Thaya (NÖ). Dort steht schon länger ein Restaurant mit
70 Sitzplätzen leer. Und zwar kein abgelebter „Traditionsbetrieb“ aus
den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, sondern ein fast neues Lokal
im Zentrum. Bürgermeister Alois Österreicher: „Der Betrieb könnte sicher
wirtschaftlich erfolgreich geführt werden. Wir haben zum Beispiel eine
Hundefutterfabrik im Ort, die in nächster Zeit ihr Personal auf 300
Beschäftigte aufstocken will. Man könnte also auch unter der Woche
Geschäft machen.“ Aber sogar ein eigener Aufruf im Internet
(www.restaurant-sucht-wirt.com) hat noch keinen geeigneten Betreiber
angelockt. Bürgermeister Alois Österreicher: „Es melden sich immer
wieder welche, aber die haben meistens überhaupt kein Geld. Wir können
zwar von Seiten der Gemeinde einiges machen, aber es muss schon auch
etwas mitgebracht werden.“ Wirtschaftskammer-Obmann Rudolf Rumpler fordert mehr Engagement von den Gemeindevertretern, um dem Gasthaussterben entgegenzuwirken. |
Ort der Begegnung
Warum sich Alois Österreicher und viele Bürgermeister-Kollegen im ganzen Land so für ihre Dorfgasthäuser engagieren, hat aber kaum etwas mit Geld zu tun. Denn ein Wirtshaus spült weder besonders viel Geld in die Gemeindekassen noch schafft es besonders viele Arbeitsplätze. Es geht um das Gasthaus als Kommunikationszentrum, als Ort der Gemeinschaft – als ein Platz, der alle zusammenschweißt. Alois Österreicher: „Eine Gemeinde ohne Wirtshaus ist eine Katastrophe. Irgendwie geht dann alles verloren.“
Vorbildwirkung
Wobei selbst die Gemeinden ihren Beitrag zum Wirtshaussterben geleistet haben – auch wenn sie es noch so gut gemeint haben. Denn laut einer Untersuchung der Johannes Kepler Universität Linz besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Anzahl der Vereinslokale in einem Ort und dem Wirtshaussterben. Baut zum Beispiel eine Gemeinde ein neues Feuerwehrhaus mit einem hübschen Aufenthaltsraum, geht dem Wirt automatisch Geschäft verloren. Denn dann bleiben die Florianijünger lieber unter sich. Wirtschaftskammer-Obmann Rudolf Rumpler: „Deshalb fordere ich auch viel mehr Engagement von den Gemeindevertretern. Es sollte zum Beispiel überall zur Selbstverständlichkeit werden, dass man nach der Gemeinderatssitzung noch zum Wirten geht. Zumindest dort, wo es noch einen gibt.“
Auch in Bildein im Burgenland gab es eine Zeit, in der es keinen Wirt im Ort gab. Bürgermeister Walter Temmel: „Das war keine schöne Zeit. Der Kommunikationstreffpunkt hat gefehlt.“ Doch dann traf Temmel auf Rosemarie Seidl, die damals mit 43 Jahren ihre Lehrabschlussprüfung absolviert hatte. Seidl: „Ich habe zwar mein ganzes Leben in der Gastronomie gearbeitet, aber nie diese Prüfung gemacht.“
Seidl nützte die Chance auf Selbstständigkeit und übernahm das gemeindeeigene Lokal – und hat es seither kaum bereut. Die Wirtin: „Ich arbeite zwar in der Regel von halb acht Uhr in der Früh bis um elf Uhr am Abend, aber es macht mir ungeheuren Spaß. Das Lokal steht unter dem Motto ‚Grenzenlose Gastlichkeit’ – und das lebe ich auch.“ Reich wird Seidl nicht davon, auch wenn in der kleinen Gemeinde die Kultur blüht und das „picture on festival“ jedes Jahr tausende Besucher in den Ort bringt. Die Wirtin: „Das Gasthaus allein reicht trotzdem nicht. Ich habe als zweites Standbein noch Essen auf Rädern.“
Politisch unverzichtbar
Die Macht des Wirtshauses reicht trotzdem aus. Denn der schwarze Bürgermeister ist nicht immer glücklich mit dem Lokal. Die Wirtin ist nämlich auch Jägerin und bei einem Stammtisch in ihrem Lokal dabei, der als rot gilt. Und da wird natürlich auch Politik gemacht. Walter Temmel: „Ich bin aber auf jeden Fall froh darüber, dass wir überhaupt ein Gasthaus haben. Das bringt der Gemeinde einen Wert, den man nicht beziffern kann.“ Wirtschaftskammer-Obmann Rudolf Rumpler fordert deshalb viel mehr Förderungen für Dorfgasthäuser: „Man muss einfach verstehen, dass ein Wirtshaus mehr Leistungen erbringt als nur die Ausgabe von Getränken und Essen. Ich könnte mir als Förderung ungefähr so viel vorstellen, wie die Bauern bekommen.“