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Demokratische Irrwege?

Mehr Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie fordert die SPÖ in Krems und startete mit einem neuen Ansatz in die Gemeinderatswahl 2012. Das Ergebnis ist jedoch eine Spielart repräsentativer Volksherrschaft.
Von Agnes Kern

In Krems wird im Oktober gewählt. Um der zunehmenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und Gemeindepolitik spürbar demokratischer zu gestalten, hat die Kremser SPÖ im Juni erstmals offene Vorwahlen zur Gemeinderatswahl durchgeführt. Ziel der Vorwahlen war es, mehr Demokratie zu ermöglichen, die Menschen verstärkt in einen politischen Prozess einzubinden und diesen offener und transparenter zu gestalten.

In den acht Kremser Stadtteilen stellten sich Vizebürgermeister Dr. Reinhard Resch und alle weiteren Kandidaten der Diskussion mit den Bürgern. So konnte jeder die SPÖ-Kandidaten-Liste offen diskutieren, umreihen oder seinen Wunschkandidaten aufstellen lassen. „Die Vorwahlen sind ein wichtiger Impuls für mehr Demokratie in Krems. Was früher nur intern festgelegt wurde, wird nun von allen interessierten Kremsern und Kremserinnen gemeinsam entschieden“, so Vize Resch.

Gute Bilanz

Debatte_Demokratie

Medizin gegen politisches Desinteresse: Diskussionen auf gleicher Augenhöhe.
Bildnachweis: SPÖ Krems


An die 1.000 Bürger haben an den Vorwahlen teilgenommen und sich an der mehrwöchigen, öffentlichen Diskussion beteiligt. Die bestehenden Kandidaten mussten sich um ihre Wähler mehr bemühen und der Liste wurden 50 Prozent neue Kandidaten hinzugefügt. Ganz neu ist dieser Ansatz nicht: Die ÖVP ließ bereits im April bei der Gemeinderatswahl in Innsbruck ihre Mandatare direkt wählen. Aber ist das direkte Demokratie? Wird dadurch die Frustration der Bevölkerung gemildert? Im Lichte immer neuer Affären und steigender Anstandslosigkeit wächst das Misstrauen gegenüber den Politikern, die Skepsis gegenüber demokratischen Institutionen, die den Bürger nicht ernst nehmen. Und die Desillusionierung gegenüber demokratischen Verfahren, wie Volksbegehren und Initiativen, die nichts bewirken. Da braucht es weit mehr als Vorwahlen.

Kritik der anderen Parteien

Die amtierende Bürgermeisterin Ingeborg Rinke favorisiert ihr eigenes Modell: Die Kremser ÖVP stellt ihre Liste aus Interessenten und persönlich angesprochener Kandidaten zusammen. Kandidaten, die als besonders geeignet für ein Gemeinderatsmandat erscheinen und sich persönlich engagieren. Um die Stimmen der Bevölkerung muss sich jeder von ihnen in Diskussionen selbst bemühen. Direktdemokratische Entscheidungen hält Rinke – wie auch Resch – in vielen Bereichen für nicht sinnvoll, weil Menschen Angst vor Veränderungen haben. Stattdessen gehöre es zu einem guten Politiker, sich in Dialoggruppen und Zukunftskonferenzen die Meinungen und Positionen der Bevölkerung anzuhören und diese zum Mitgestalten und Mitmachen zu bewegen. Die Bevölkerung zu informieren, reiche da nicht aus, weil zu viele mitmischen und Diskussionen oft polemisch geführt würden.

Manche Entscheidungen müsse einfach die Politik treffen. Die ÖVP geht im Prozess der Dorf- und Stadterneuerung auf die Bedürfnisse und Sehnsüchte der Bevölkerung ein. Die Bürger sollen sich an den Projekten beteiligen und sich mit Eigenleistungen engagieren. „Man kann alles abstimmen lassen, aber wer setzt es dann um?“, so Rinke. Bürgerbeteiligung ja. Aber nur, wenn die Bürger auch mitmachen. „Demokratie ist, wenn alle gemeinsam das Richtige tun.“

Auch der KPÖ-Gemeinderat Wolfgang Mahrer hält nichts von der Idee der Kremser SPÖ: „Da es in Österreich kein freies Mandat gibt, ist das alles nur Augenauswischerei und Populismus.“ Man wähle keine Person, sondern ein Programm. Und solange es Fraktionszwang gebe, werde nach den Wahlen die Parteilinie vertreten.

Demokratie fordert

In Österreich hat man es nicht so mit der direkten Demokratie. Die Volksabstimmung ist zwar rechtsverbindlich, aber es wurde erst zweimal abgestimmt: über die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf und den Beitritt zur Europäischen Union. Volksbegehren sind rechtlich nicht bindend. Allerdings können sie als wichtiger Gradmesser für die Stimmungslage in der Bevölkerung gesehen werden. Rechtliche Auswirkungen haben sie keine – wenn, dann höchstens politische. Und auf Landes- und Gemeindeebene ist es nicht besser. Die Instrumente sind auch hier teilweise vorhanden, werden jedoch kaum genutzt. Gerade auf Gemeindeebene wäre es jedoch einfacher, direktdemokratische Verfahren umzusetzen, weil hier die Regelungsdichte nicht ganz so hoch ist, die Probleme weniger komplex sind und die Bürger viel unmittelbarer betreffen. Wenn es schon im Kleinen nicht funktioniert, wo dann?

Man setzt vorerst auf verstärkte Kommunikation mit der Bevölkerung. Immerhin! Denn laut Experten ist es schwierig, ohne Tradition direkte Demokratie einzuführen. Es bedarf extrem guter Vorbereitungen im Vorfeld und vielschichtiger Informationen, damit eine Abstimmung nicht zum Ergebnis von Emotionen und gemachter Meinung wird. Demokratie heißt nicht nur mitentscheiden, sondern auch sich zu informieren und mitzudenken. Hierfür müssen die Politiker offener informieren, breiter und sachlicher diskutieren. Die Bevölkerung muss dieses Angebot jedoch auch nutzen.

Alles geheim

Dies könnte beispielsweise über „Open Government“ erreicht werden, das zu intensiverer Zusammenarbeit, mehr Innovation, Transparenz und Stärkung gemeinschaftlicher Belange beiträgt. Viele Gemeinden haben hier noch großen Aufholbedarf. Nicht alle Gemeinden sind hinreichend im Internet präsent: Auf vielen Webseiten sind nicht einmal die Gemeinderäte aufgelistet, geschweige denn deren Kontaktdaten. Und weniger als die Hälfte aller österreichischen Gemeinden bieten ihren Bürgern die Gemeinderatsprotokolle zum Download an. Information, die Möglichkeit zum persönlichen Gespräch und ein ehrlicher Umgang mit der Bevölkerung wären zumindest ein guter Anfang.