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Weg mit den Hindernissen

Österreichs Gemeinden sind stark beim Thema Barrierefreiheit. Aber es geht noch mehr. Und das könnte langfristig auch Geld bringen.
Von Marcus Eibensteiner

Eines gleich vorweg: Wer beim Thema Barrierefreiheit nur an Menschen mit einer augenscheinlichen Behinderung denkt, sollte einmal mit offenen Augen durch seine Gemeinde spazieren. Da gibt es nämlich gleich eine ganze Reihe von Personengruppen, die es schwerer haben als „Normalos“.

Viele sind betroffen

Zum Beispiel Mütter mit Kinderwagen. Wenn sie mit dem Einkauf vollgepackt über einen viel zu schmalen Gehsteig fahren müssen, sind sie selbst Rollstuhlfahrern unterlegen. Gut zu beobachten sind auch jene, die dank Gips an Armen oder Beinen nur kurzfristig mit einer Behinderung zu kämpfen haben. Sie sind meist weniger „abgebrüht“ als Menschen mit einer andauernden Beeinträchtigung und zeigen ihren Unmut auch, wenn sie an ein unnötiges Hindernis stoßen.

Und da wären auch noch die vielen Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, die täglich in jeder Gemeinde unterwegs sind. Nicht böse gemeint, aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass Handy-Telefonierer oder Gestresste fast genauso aufmerksam sind wie Menschen mit „echtem“ geistigem Handicap. Unterm Strich kann man also sagen: Barrierefreiheit betrifft jeden. Und weniger Hindernisse im öffentlichen Raum machen unser aller Leben leichter.

„Leider kann man sich bei diesem Thema nicht nur auf die verschiedenen Bauordnungen verlassen“, sagt der Richter Klaus Voget, Präsident der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR), der Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs.

Voget, selbst Rollstuhlfahrer: „Als Beispiel dienen die abgeschrägten Gehsteige. Da hat sich in den letzten Jahren zum Glück viel getan. Aber leider gibt es immer wieder Fälle, in denen sie falsch gemacht werden. Man kommt zwar auf der einen Seite runter, aber auf der anderen nicht mehr hoch, weil viel zu steil gebaut wurde. Es steht in der Bauordnung nämlich nichts über die genaue Ausführung. Und viele Baufirmen haben keine Ahnung.“

Auch dort, wo die Vorschriften (ÖNORM B 1600-2005) sehr präzise sind, könnte man noch einiges verbessern. So ist zum Beispiel im Innenbereich eine Türschwelle von zwei Zentimetern erlaubt (im Außenbereich drei Zentimeter). Aber selbst das kann sehr schnell zur gefährlichen Stolperfalle werden. Wie gefinkelt alles ist, zeigt auch das Thema Türen. Je breiter, desto besser, könnte man meinen. Doch breiter als 100 Zentimeter sollte eine normale Tür nicht sein – sonst wird sie zu schwer zu öffnen.

Wie viele Hindernisse im Alltag auftauchen können, zeigt auch der letzte Kinobesuch von Klaus Voget: „Das war in Wien in den Gasometern. Und es war wirklich höllisch. Man kommt nur durch die Garage irgendwie hinein. Dort ist zwar eine Rampe gebaut, aber die ist so extrem steil, dass man ohne fremde Hilfe nicht hinaufkommt. Drinnen gibt es Lifte, aber die sind wiederum nicht ordentlich bezeichnet. Also muss man zuerst in ein Stockwerk fahren, dann 500 Meter zurück – und in einen anderen Lift. Ein echter Hürdenlauf. Und als ich noch etwas essen gehen wollte, stand ich in einem Lokal, in dem es nur Stehtische mit ganz hohen Sesseln gab. Der Kellner hat nur gemeint, der Rollstuhltisch sei bereits bestellt.“

Vorbildhaft

Insgesamt sind Österreichs Städte und Gemeinden aber ganz gut unterwegs, wenn es um die Barrierefreiheit geht. So wurde zum Beispiel die Stadt Salzburg mit dem „Access City Award“ ausgezeichnet, einem Preis der Europäischen Union. Die Kommission würdigte das langjährige Engagement Salzburgs, sein stimmiges Konzept und die ausgezeichneten Ergebnisse im Bereich der Barrierefreiheit, die unter direkter Mitwirkung von Menschen mit Beeinträchtigungen erzielt wurden. Die EU hat aber auch einen wirtschaftlichen Hintergedanken, wenn sie sich für die Barrierefreiheit einsetzt.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding: „Barrierefreiheit kann zu Innovation und Wirtschaftswachstum beitragen.“

Nur ein Beispiel ist der Tourismus. So hat etwa der Naturpark Kaunertal (Tirol) bereits im Jahr 1982 damit begonnen, spezielle Angebote für Menschen mit Behinderung zu entwickeln. Das dortige Vier-Sterne-Hotel Weisseespitze sprang auf diesen Zug auf, baute sukzessive um und bietet heute höchst erfolgreich „Unbeschwerten Urlaubsgenuss für alle“ an. Rollstuhlfahrer aus der ganzen Welt kommen regelmäßig ins „1. Rolli-Hotel in den Alpen“ – und lassen auch viel Geld in der Gemeinde.

Ein anderes Beispiel ist die große Gruppe der über 65-Jährigen. Ihr Anteil wird in ganz Europa von derzeit 17 Prozent sehr rasch auf 28 Prozent ansteigen. Das heißt, wir brauchen im verstärkten Ausmaß altersgerechte, sprich barrierefreie Wohnungen. Für Gemeinden, die hier vorausschauend handeln, öffnet sich eine große wirtschaftliche Zukunft.

Barrierefrei für alle

Aber wie schon gesagt: Es ist ein schwerer Fehler, die Barrierefreiheit nur als Anpassung an die speziellen Bedürfnisse von Älteren oder Rollstuhlfahrern zu sehen. Klaus Voget: „Es geht nicht immer nur um architektonische Barrieren. Das ist viel zu kurz gegriffen. Es geht auch um kommunikative Barrieren, um Blindenleitsysteme, um Menschen mit Gehörproblemen, um Menschen mit Lernschwächen, um Inklusion im Kindergarten, einfach um vieles ... Das ist eine gewaltige Herausforderung, das ist mir schon klar. Aber ich denke, eine Gesellschaft sollte für alle ihre Bürger da sein und nicht einzelne ausschließen, für die es Barrieren gibt. Und letzten Endes kommt jede Bemühung wirklich allen zugute. Wir nennen Barrierefreiheit deshalb auch gerne ‚Design for all’.“

Übrigens: Wie schnell Barrierefreiheit zum ganz wichtigen Thema werden kann, zeigt der persönliche Fall Klaus Vogets. Er erlitt seine Lähmung bei einem Verkehrsunfall. „Ich war damals leider zu schnell unterwegs.“   

bauen_12_2012ÖAR-Präsident Klaus Voget kritisiert die Budgetpläne 2013: „Der Bundesvoranschlag trägt dem ‚Nationalen Aktionsplan für Menschen mit Behinderungen‘ in keiner Weise Rechnung – Menschen mit Behinderungen fühlen sich zu Recht für zeitaufwändige Alibihandlungen benutzt!"