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Geh hin und gieße!

Guerilla-Gärtner kämpfen mit botanischen Mitteln gegen Beton und Grau in Städten und auf dem Land. Was noch vor wenigen Jahren Aufsehen erregte, genießt zunehmend Unterstützung durch die öffentliche Hand. Von Robert Koch

Vor 25 Jahren machten sich Umweltaktivisten nächtens auf, um auf Schornsteine zu klettern. Andere junge Leute versuchten wenig später, mit illegalen Sendungen ihrer „Freien Radios“ das österreichische Rundfunkmonopol zu brechen. Heute haben Aktivisten statt Transparenten oder portablen Sendern eher einen Spaten dabei. Was sie antreibt, ist die Freude am „Garten“, der Kick des Verbotenen – und der Protest gegen die überhandnehmende Monotonie unserer Umwelt.

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Agenda Die Samenbombe ist die "Waffe" der Guerilla-Gärtner. Der Regen lässt sie keimen und zaubert schnell Grünes und Buntes hervor. Bildnachweis: HERDER3

Als Richard Reynolds 2004 vor dem Londoner Hochhaus, in dem er wohnte, ungefragt Beete anlegte, wäre er beinahe verhaftet worden. Bereits zwei Jahre später versammelte er 170 gleichgesinnte Aktivisten um sich – und fand in zahllosen, vorwiegend westlichen Städten Nachahmer. „Guerilla Gardening“ machte Schlagzeilen rund um den Globus. Immer mehr Menschen ziehen aus, um ihre Umgebung mit eigener Handarbeit und auf eigene Kosten zu verschönern. Reynolds beruft sich auf zwei Wurzeln seines Schaffens. Da wären einerseits die Landlosenbewegungen der Siebzigerjahre in Lateinamerika und Afrika sowie die „Community Garden“-Bewegung in New York. In beiden Fällen ging es darum, ungenutztes Land zu besetzen, um es für die Nahrungsmittelproduktion zu bepflanzen. Andererseits geht es um politischen Protest gegen Betonwüsten in der Stadt und verwahrloste Grünflächen. Und ganz allgemein gegen einen verantwortungslosen Umgang mit der Umwelt. Kurz: Reynolds propagiert den zivilen Ungehorsam mit friedlichen Mitteln, mit Samen und Pflanzen.

Botanisches Manifest

Reynolds‘ Saat ist aufgegangen. Sein Buch „Guerilla Gardening – Ein botanisches Manifest“ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Und für die Betreuung der Beete vor dem hässlichen Hochhaus bekommt er inzwischen sogar ein wenig Geld von der Stadtverwaltung. Trotzdem packt er bis heute nachts seinen Spaten und verschönert London, ohne eine Bewilligung der Stadt einzuholen.

Längst ist das Phänomen auch in Österreich angekommen – nicht nur in den größeren Städten wie Wien und Graz. Im Vorjahr konnte man selbst beim Ländlichen Fortbildungsinstitut (LFI) Vorarlberg lernen, wie man „Samenbomben“ bastelt. Diese mit Kräuter- und Blumensamen bestückten Kügelchen streuen die Aktivisten nicht nur auf trostlose Baumscheiben oder Grünzwickel, sondern auch zwischen die Monokulturen der industriellen Landwirtschaft. Damit soll vor allem Bienen und anderen Insekten eine Chance zum Überleben in einer immer feindlicheren Umwelt gegeben werden.

Auf www.guerillagaertner.com beschreiben heimische Grün-Guerilleros eine besonders perfide „Waffe“: Mit Moosgraffiti sollen grüne Botschaften hinterlassen werden. Dazu wird Moos mit Buttermilch oder Joghurt, ein wenig Zucker und Wasser gemixt. Diese „Biofarbe“ wird auf Wände oder sonstige öffentliche Flächen aufgepinselt. Bei ausreichender Feuchtigkeit wächst das Bild oder der Schriftzug bald in sattem Moosgrün.

Beifall und Unterstützung

Langsam kommt die Bewegung der illegalen Gärtner in der Mitte der Gesellschaft an. Wenn in der Baumscheibe ums Eck plötzlich Blumen sprießen, regt das inzwischen kaum noch Anrainer auf. Im Gegenteil, oft gibt es Applaus für die Begrünungen in Eigenregie. In die Medien gelangen derartige Aktionen fast nur noch, wenn es sich um Hanfpflanzen handelt. Diese tauchen gern einmal an prominenten Plätzen auf: 2010 etwa gegenüber der Polizeiakademie von Freiburg, 2011 auf der Wiener Ringstraße. Alle übrigen privaten Bepflanzungskonzepte werden von den Behörden in der Regel stillschweigend toleriert.

Mitunter finden die Gärtner sogar explizite Unterstützung seitens der öffentlichen Hand. So pflanzten Anti-AKW-Aktivisten nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima mehrere tausend Sonnenblumen in Wien-Neubau. Der damalige grüne Bezirksvorsteher Thomas Blimlinger wies die Magistrate, speziell das Gartenbauamt und die Straßenreinigung an, die Pflanzen gedeihen zu lassen. Das wäre wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen. Denn bei der Magistratsabteilung 42, den Wiener Stadtgärten, wurde und wird das individuelle Verschönern „immer positiv gesehen“, bestätigt deren stellvertretender Leiter Joachim Chen. Bislang sei es in Wien noch zu keiner Aktion gekommen, die er als Vandalismus statt als Gartenkunst einstufen hätte müssen. „Es gibt keine Sanktionen seitens der Wiener Stadtgärten. Wir suchen den konstruktiven Dialog mit unseren Kundinnen und Kunden“, so Chen.

Die Gebietsbetreuung Stadterneuerung, eine Service-Einrichtung der Stadt Wien, ruft sogar die Bürger von Neubau, Josefstadt und Ottakring dazu auf, ihre Grätzel zu begrünen. Allerdings mögen die Umbenennungsvorschläge zuerst per E-Mail oder Telefon eingereicht werden. Nach einer Prüfung auf Durchführbarkeit bietet die Gebietsbetreuung dafür gärtnerisches Know-how und Unterstützung bei der Umsetzung an.

Gemeinschaftsgarten

Auch Wiens Umweltstadträtin Ulli Sima sprang 2011 auf den Zug der Zeit auf und versuchte, die aufkeimende Bewegung in geordnete Bahnen zu lenken. So beschloss der Umweltausschuss einen Fördertopf für Gemeinschafts- und Nachbarschaftsgärten. Gut zwei Dutzend einschlägiger Projekte wurden in der Broschüre „Gemeinsam garteln verbindet“ unters Volk gebracht. Allerdings muss ein eigener Verein gegründet werden, um gemeinsam mit Nachbarn im Beserlpark ums Eck Salat oder Blumen anpflanzen zu dürfen. Und das ist so manchem grünen Guerillero dann wohl doch zu mühsam.