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Fusionen auf Holländisch 

Lang ist‘s her, dass die Niederlande noch ein Land von Bauern- und Fischerdörfern waren, wo einsame Windmühlen in einer endlosen Polderlandschaft standen. Heutzutage zählen sie mit 402 Einwohnern pro Quadratkilometer zu den am dichtest besiedelten Gebieten der Erde. Von Michael de Werd

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Nur mehr Großgemeinden mit mindestens hunderttausend Einwohnern sollte es laut Innenminister Ronald Plasterk in Zukunft geben. Massive Proteste weichten dieses Vorhaben allerdings auf. BILDNACHWEIS: RIJKSOVERHEID


Und auch verwaltungsmäßig gehört die altholländische Heimeligkeit längst der Vergangenheit an. In einem Ausmaß wie in kaum einem anderen europäischen Land wurden in den vergangenen Jahrzehnten Gemeinden zusammengelegt. Während es früher mehr als 2.000 niederländische Gemeinden gab, waren es am 1. Jänner 2013 nur noch 408. Und ein Ende der Fusionen ist vorläufig nicht abzusehen. Wenn es nach den Plänen der liberal-sozialdemokratischen Regierung geht, soll die Zahl in den kommenden Jahren um etwa 100 reduziert werden.

Anfang des Jahres kündigte Innenminister Ronald Plasterk an, dass künftig 100.000 Einwohner die Mindestgröße für Gemeinden sein soll. Nach heftigen Protesten schwächte er dies in einem Brief an das Parlament wieder ab. Auch im Gespräch mit public betont Plasterk, dass dieser Punkt nicht zwingend sei: „Wir haben im Regierungsprogramm betont, dass die Zahl nur eine Richtschnur ist und es regionale Unterschiede geben kann.“

Ein essentieller Punkt ist auch, dass die größeren Gemeinden neue Aufgaben bekommen, die bisher zentral geregelt sind: „Es geht da zum Beispiel um Jugendfürsorge, Altenpflege oder Arbeitsmarktpolitik.“ Dies wäre auch der große Unterschied zu Österreich: „Von meinen Urlauben dort weiß ich, dass es in den Alpen reizende Bergdörfer gibt, die prima imstande sind, ihre Sachen zu regeln. Ich kenne die österreichische Situation zwar nicht genau, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gemeinden ähnliche Aufgaben haben wie in den Niederlanden.“

Kein Mitspracherecht

Ein automatisches Mitspracherecht der Bevölkerung soll es laut Plasterk nicht geben: „Die Gemeinden können beschließen, ein Referendum abzuhalten – und in der Praxis hat es das auch schon manchmal gegeben. Aber letztendlich entscheidet das Parlament.“Oft wurde dabei die Meinung der Einwohner schlichtweg übergangen. Eines der krassesten Beispiele war die ehemalige Gemeinde Vleuten-de Meern. Obwohl bei einer Volksbefragung 2001 98 Prozent – bei einer Wahlbeteiligung von 83 Prozent (!) – gegen eine Fusion mit der Großstadt Utrecht stimmten, fand diese trotzdem statt.

Nicht alle Parteien sind aber einverstanden mit der Tendenz zu immer größeren Gemeinden. 2002 war dies einer der Hauptpunkte von Pim Fortuyn, dem schillernden Universitätsprofessor, der aus seiner Abneigung gegen die Monarchie oder den Islam genauso wenig Geheimnis machte wie aus seiner Vorliebe für marokkanische Jungen und Pelzmäntel. Obwohl Fortuyn kurz vor den Wahlen von einem fanatischen Tierschützer ermordet wurde, wurde seine Bewegung aus dem Stand die zweitgrößte Partei des Landes. 2006 flog sie wieder aus dem Parlament, 2008 wurde sie offiziell aufgehoben.

Momentan ist es vor allem die linke SP, die mobil macht gegen die Gemeindezusammenlegungen. Von einer maoistischen Splittergruppe in den 70er-Jahren ist die SP zu einer der wichtigsten Parteien des Landes geworden. Für den Parlamentsabgeordneten Ronald de Raak handelt es sich bei den Regierungsplänen schlichtweg um Erpressung: „Die Gemeinden müssen immer mehr Aufgaben bewältigen, während die Regierung gleichzeitig spart … Wenn sie dadurch in finanzielle Probleme geraten, bekommen sie vom Minister zu hören, dass sie mit anderen Gemeinden fusionieren sollen.“ Die Zusammenlegungen würden laut de Raak außerdem mehr Geld kosten als bringen.

Sechs aus 23

Am aktuellsten ist das Thema in der nördlichsten Provinz Groningen, die mit 580.000 Einwohnern etwa so groß ist wie Kärnten. Laut einem vor Kurzem veröffentlichten Reformplan soll es statt bisher 23 künftig nur noch sechs Gemeinden geben. Eine Blitzumfrage ergab ein eher zweideutiges Bild: Während 50 Prozent der Befragten die Pläne befürworteten, lehnten 48 Prozent sie ab. In der gleichnamigen Hauptstadt Groningen – der einzigen wirklichen Großstadt – gab es die meisten Befürworter, auf dem Land dominierten die Gegner.

Für die Dörfer Finsterwolde und Beerta wäre es schon die dritte Zusammenlegung innerhalb von 25 Jahren. Als sie noch selbstständige Gemeinden waren, bildeten sie wie zwei gallische Dörfer kommunistische Enklaven, die deswegen lange Zeit von speziellen Regierungskommissaren verwaltet wurden. 1990 wurden Finsterwolde und Nieuweschans mit der Gemeinde Beerta zusammengelegt. Und die daraus entstandene neue Gemeinde nannte sich ab 1992 Reiderland. 2010 wurde Reiderland Teil der neuen Gemeinde Oldambt. Und jetzt soll Oldambt mit anderen Gemeinden zur Großgemeinde Oost-Groningen fusionieren.

Deutschland annektieren?

Am größten ist der Widerstand jedoch in Haren. Südöstlich der Stadt Groningen gelegen, wurde das Villendorf noch vor einem Jahr zur lebenswertesten Gemeinde der Niederlande gekürt. Wenn es schon zu Zusammenlegungen kommen soll, dann würden viele Harener am liebsten mit der südlichen Nachbargemeinde Tynaarlo fusionieren. Da stellt sich aber das Problem, dass Tynaarlo zur Provinz Drenthe gehört.

Das Gegenargument der Autoren des Gebietsreformplans: Da die Einwohner schon jetzt zu einem großen Teil die Dienstleistungen der Stadt Groningen nützen, wäre es nur logisch, dass Haren von Groningen geschluckt wird. Mariska Sloot, die Vorsitzende der Lokalpartei Gezond Verstand Haren, kann diesem Argument aber wenig abgewinnen: „Nur weil wir ein paarmal pro Jahr das Museum und den Markt besuchen und vielleicht einmal im Leben auf den Martiniturm steigen, wäre eine Annektierung gerechtfertigt? Möchte Groningen etwa demnächst Deutschland annektieren? Deutsche sind ja auch auffällig oft in der Stadt.“