Fusion oder Kooperation? Die public-Redaktion lud (v. l. n. r.) Helmut Mödlhammer (Gemeindebund-Präsident), Cornelia Ehmayer (Stadtpsychologin), Mario Abl (BGM Trofaiach), Doris Kampus (Land Steiermark), Peter Biwald (GF KDZ), Franz Schausberger (EU-Ausschuss der Regionen) und Thomas Weninger (Generalsekretär Städtebund) zum Round Table. Moderiert von Manfred Perterer (Chefredakteur Salzburger Nachrichten) und Alexandra Keller (public) wurde im Wiener Rathaus nach gangbaren Wegen aus dem kommunalen Dilemma gesucht.
public: Herr Bürgermeister Abl, die Gemeinde Trofaiach wurde mit zwei Gemeinden fusioniert. Provokant könnte man sagen, Sie haben die Gemeinden inhaliert – sehen Sie das auch so?
Bgm Mario Abl, Trofaiach |
public: Frau Kampus, können Sie die Kriterien nennen, die generell für die Entscheidungen der Landesregierung bei der Planung der Gemeindezusammenlegungen maßgeblich waren?
Mag. Doris Kampus, Steiermark |
public: Die Größe scheint entscheidend zu sein. Herr Biwald, gibt es aus Ihrer Sicht eine ideale Gemeindegröße?
Peter Biwald: Diese Größe gibt es nicht, sie wird auch in Europa unterschiedlich gehandhabt.Wenn Sie in die skandinavischen Länder schauen, bekommen Sie den Eindruck, dass die ideale Gemeindegröße bei 20.000 bis 30.000 Einwohnern aufwärts liegt. In Mitteleuropa sind die Gemeindestrukturen wesentlich kleinteiliger. Betrachtet man die Gemeindestruktur aus Effizienzgesichtspunkten – also nach Ausgaben je Einwohner –, sieht man aus Sicht der Verwaltung, dass die Gemeinden mit 5.000 bis 10.000 Einwohnern die geringsten Ausgaben je Einwohner haben. Sieht man sich die Gesamtausgaben an, haben Gemeinden mit 1.500 und 5.000 Einwohnern ein günstiges Optimum. Es sind natürlich auch andere Faktoren – wie Geografie, Topografie oder der Bedarf an stärkeren regionalen Zentren – zu berücksichtigen.
public: In Europa ist ein Nord-Süd-Gefälle feststellbar. In Frankreich gibt es viele sehr kleine Gemeinden, in Dänemark nur knapp 90. Herr Schausberger, Sie haben zuletzt im Ausschuss der Regionen ein Papier durchgebracht, das sich mit dem Thema Gemeindefusionen sehr kritisch beschäftigt hat. Wie ist Ihre Position aus gesamteuropäischer Sicht?
Dr. Franz Schausberger, AdR |
public: Ein wesentlicher Beweggrund für Fusionsgedanken ist das Kostensparen. Herr Präsident Mödlhammer, Sie schütteln den Kopf?
Helmut Mödlhammer: Das Beispiel Steiermark zeigt ja, dass man über manche Dinge nur lächeln kann. Das Land hat immer noch ein riesiges Defizit und jetzt sagt man, dass die Gemeinden schlecht wirtschaften. Die steirischen Kommunen haben 2011 einen Maastricht-Überschuss von 80 Millionen Euro erwirtschaftet, wir sollten hier also die Kirche im Dorf lassen. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Fusionen, aber eine Fusion muss Sinn machen. Wenn man eine Gemeinde, die seit Jahren Überschüsse macht, mit zwei negativen Gemeinden zusammenlegt, wird die neue Großgemeinde davon auch nicht gesund. Am wichtigsten ist aber, die Menschen in solche Entscheidungen einzubeziehen. Reformschritte soll man mit den Menschen machen und nicht gegen sie. Im Übrigen ärgert es mich maßlos, dass man Kooperationen erschwert, anstatt sie zu vereinfachen. Kooperationen wären die richtigen Alternativen zu Fusionen.
public: Geht es um Heimat und Identität, sind Gemeinden wichtige Faktoren. Frau Ehmayer, wie beobachten Sie als Stadtpsychologin die Auseinandersetzung?
Dr. Cornelia Ehmayer, Stadtpsychologin |
public: Herr Weninger, als Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes können Sie der Debatte recht gelassen folgen, weil die Städte weniger betroffen sind, und wenn, dann als Nehmer. Oder ist dieser Eindruck falsch?
Dr. Thomas Weninger, Österr. Städtebund |
public: In der Steiermark war der Druck der beiden Parteichefs entscheidend, die vor der nächsten Landtagswahl die Reform gerne über die Bühne hätten ...
Mödlhammer: ... Reformen sind in Ordnung. Der entscheidende Punkt ist aber, dass man so etwas nicht durchpeitschen sollte, es muss wachsen. In der Steiermark beschweren sich die Bürgermeister darüber, dass die verantwortlichen Politiker nicht mit ihnen sprechen, ihnen berechtigte Fragen nicht beantworten, sondern die dritte Reihe an Beamten schicken. Das ist nicht in Ordnung. Die Bürgermeister fühlen sich zu Recht vernachlässigt und in ihren Bedenken nicht ernst genommen. So sollte das aber nicht sein – und so geht das auch mit Sicherheit schief.
public: Ist es grundsätzlich so, dass große Gemeinden die kleinen schlucken?
Kampus: Unser Konzept – in der Steiermark – sieht vor, dass wir grundsätzlich am Aufbau neuer Gemeinden arbeiten. Das heißt, dass die einzelnen Gemeindepartner eine neue Gemeinde bilden. Ausschlaggebend ist das Bild, mit dem ich hinausgehe und es kommuniziere. Wir haben aus der Erfahrung gesehen, dass es für jede Gemeinde – groß oder klein – eine große Herausforderung bedeutet. Die Leute bleiben ja in ihren Orten, und wir passen die Verwaltungsgrenzen den Lebensrealitäten an.
Weninger: Wenn man etwas schluckt, kann man sich auch verschlucken. Wenn ich Gemeinden eingliedere, habe ich zwar mehr Ertragsanteile, aber auch höhere Kosten und höhere Transferleistungen. Ich muss sagen, dass von unseren Städtebund-Mitgliedern – jenen über 20.000 Einwohnern – keines daran denkt, Nachbarn einzugemeinden. Die Linz AG versorgt 104 Gemeinden mit diversesten Leistungen, trotzdem denkt in Linz niemand daran, mit einer Umlandgemeinde zu fusionieren.
Biwald: Fusion heißt nicht per se, dass die Kleinen geschluckt werden. Bei Fusionen geht es ja auch um eine bessere Positionierung der Regionen. Die Fusion löst aber nicht alle Probleme. Wenn die Stadt Salzburg mit der Gemeinde Hallwang freiwillig fusionieren würde, würden die Probleme der Region Salzburg nicht gelöst werden. Da braucht man andere Ansätze. Auch wenn österreichweit flächendeckend fusioniert werden würde, müsste man sich für die Stadtregionen und dezentralen Zentren Governance-Strukturen überlegen. Im Mittelpunkt einer Fusion stehen nicht die Feuerwehren oder Vereine, sondern die Verwaltung und das Ziel, stärkere politische Strukturen zu schaffen. Vieles im Verwaltungsbereich kann aber auch mit Kooperationen erreicht werden.
Schausberger: Ich habe ein Problem. Gerne würde ich mich darauf einigen, dass wir nicht mehr von Gemeindefusionen, sondern von Gemeindeneugründungen reden. Wir übersehen, dass es einen Trend gibt, den ich grundsätzlich ablehne. Mit der Wirtschaftskrise europaweit haben wir einen sehr simplen, zum Teil sogar dümmlichen Trend mitbekommen – der lautet: Wenn ich drei zusammenlege, ist das um vieles billiger. Es hat sich schon hundertmal herausgestellt, dass das Anbieten der Dienstleistungen, die dezentral erfolgen, letztendlich billiger ist als die zentralen Angebote. Darum geht man eigentlich in die Dezentralisierung hinein. Ich kann es nicht mehr hören, dass die Gemeinden zu schwach sind und nicht mehr attraktiv. Ja, hat man denn alles getan in den letzten Jahren, um sie attraktiv zu machen? Hat man Infrastrukturprojekte dorthin gebracht? Erst aushungern und dann sagen, die sind zu nichts mehr in der Lage, ist ein dummes Argument.
public: Was kann nicht mit einer Kooperation erreicht werden, was mit einer Neugründung oder Fusion erreicht werden soll?
Mag. Peter Biwald, KDZ |
Schausberger: Bei den Verwaltungsgemeinschaften bleiben wahrscheinlich viele Dinge bestehen, die vielleicht bei Fusionen verloren gehen. Bei Kooperationen gibt es auch wesentlich mehr Flexibilität als bei der Neugründung einer Gemeinde. Ich würde sogar so weit gehen, dass Kooperationen nationale Grenzen überschreitend möglich sein müssen.
Mödlhammer: Erst in zwei Bundesländern wurde das Gesetz, das Mehrzweckverbände ermöglicht, beschlossen. Zudem haben wir ein Mehrwertsteuerproblem – und das ist ein entscheidender Punkt. Wenn sich die Leistungen um 20 Prozent verteuern, werden sich die Gemeinden fragen, warum sie das überhaupt machen sollen. Das kann es nicht sein. Der Staat erschwert die Kooperationen und macht sie auch noch zu einem Geschäft, indem er kassiert. Es wird im Grunde genommen darauf hingearbeitet, dass nur noch große Einheiten bestehen, die zudem im Wettbewerb stehen. Das Allgemeinwohl wird dabei komplett vernachlässigt.
Weninger: Immer, wenn es darum geht, den Bundeshaushalt zu konsolidieren, gibt es ein Krokodil. Einmal heißt es Staatsreform, ein anderes Mal Verwaltungsreform – und jetzt Gemeindestrukturreform. Ich glaube nicht, dass dort das große Geld zu holen ist. Man kann den Gemeinden nicht vorwerfen, dass sie nicht bemüht waren, Reformen durchzuführen. Doch die negative Seite daran ist, dass die Investitionen in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Und das ist für die regionale Wirtschaft ein erkleckliches Auftragsvolumen, das da verloren geht. Ich kann die Aufgaben anders organisieren oder gestalten, doch die Aufgaben selbst werden nicht weniger. Das Thema ist, wie mit der kommunalen Struktur insgesamt umgegangen wird in diesem Staat.
public: Kommt es bald zu einem Aufstand der Gemeinden?
Mödlhammer: Der Plafond ist erreicht. Wir sind am Ende der Fahnenstange angekommen. Die Investitionen, die
Präsident Helmut Mödlhammer, Österr. Gemeindebund |
public: Sind die Gemeinden diesbezüglich politisch zu schwach?
Mödlhammer: Wir könnten noch stärker sein, keine Frage.
Schausberger: Der Ausgangspunkt ist doch, dass wir in einer Staatsschuldenkrise sind, die Schulden müssen reduziert werden. Dann schaue ich mir an, wie die Staatsschulden verteilt sind. Ich weiß es nicht ganz genau, doch der Anteil des Bundes an den Staatsschulden liegt bei 94 Prozent, und die Gemeinden sind mit zwischen drei und fünf Prozent daran beteiligt. Das heißt, wenn ich alle Gemeinden abschaffe, werden die Staatsschulden noch lange nicht saniert.
Weninger: Irgendwann geht es nicht mehr. Der Zugang zur österreichischen Bundesfinanzierungsagentur für die kommunale Ebene war Anfang des Jahres wieder Thema. Die Frau Finanzministerin meinte, dass auch die Länder sich darüber finanzieren sollen – das erspare ihnen 45 Millionen Euro an Zinslast. Schön, wir würden uns auch gerne Zinslast ersparen, doch wir dürfen nicht. Die Räume immer enger zu machen und dann die Zusammenlegung als Allheilmittel zu nennen, kann nicht der richtige Zugang sein.