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Obwohl der Ausbau der Kinderbetreuung etlichen Gemeinden heftige Kopfschmerzen ob der Kosten verursacht, lohnt sich die Investition. Ein bedarfsgerechtes Bildungs- und Betreuungsangebot ist eines der wesentlichsten Kriterien bei der Wahl des Wohnortes, insbesondere von Jungfamilien. Langfristig sichert deren Zuzug das kommunale Wohlergehen – nicht nur durch die Zuteilung höherer Ertragsanteile. Von Otto Havelka
Die frohe Botschaft kam am 18 Juni. Im ersten Halbjahr 2014 soll ein neues Gesetz beschlossen werden, das Ländern und Gemeinden für den Ausbau der Kinderbetreuung jährlich 100 statt wie bisher 15 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Und das vier Jahre lang. Der Schwerpunkt des Mitteleinsatzes soll auf dem Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige liegen. Knapp drei Wochen davor hob die EU-Kommission mahnend den Finger in Richtung Österreich (und anderer EU-Staaten): Die vereinbarten Ziele für die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Angeboten zur Kinderbetreuung wären nicht erreicht worden. Laut EU-Plan soll es für 90 Prozent der Kinder im Alter zwischen drei Jahren und Schulpflicht sowie für 33 Prozent der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze geben.
Das Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend weist 2010/11 bei drei- bis fünfjährigen Kindern eine Betreuungsquote (Anzahl der betreuten Kinder im Vergleich zur gleichaltrigen Bevölkerung) von 92,6 Prozent aus. Bei den unter Dreijährigen allerdings nur 21,8 Prozent.
Bettina S. wohnt eine halbe Autostunde südlich von Wien. Im Ort wurde vor knapp zwei Jahren ein neuer Kindergarten gebaut. Wenn ihr Sohn zweieinhalb Jahre alt ist, könnte sie vorerst halbtags wieder an ihren Arbeitsplatz in Wien zurück. Aber im neuen Kindergarten ist für ihren Sprössling erst Platz, wenn er drei Jahre alt ist. Durch die steigende Anzahl berufstätiger und auch alleinerziehender Mütter sind immer mehr Kinder auf Herbergssuche, während ihre Eltern Geld für den Unterhalt verdienen.
Tatsache ist, dass die Betreuungsquoten in den vergangenen zehn Jahren in allen Alterskategorien beträchtlich angestiegen sind (siehe public-Wissen spezial S. 62). Mit Stichtag 15. Oktober 2011 waren in Österreich 321.931 Kinder in Kindertagesheimen eingeschrieben, davon 209.130 in Kindergärten, 23.625 in Kinderkrippen, 54.887 in Horten und 34.289 in altersgemischten Einrichtungen. Dazu kamen bundesweit 3.235 Tageseltern, die 12.757 Kinder betreuten. Laut Angaben des Familienministeriums gab es in Österreich 2010/11 insgesamt 8.050 institutionelle Kinderbetreuungseinrichtungen. Knapp 60 Prozent davon sind öffentliche Einrichtungen, die praktisch zur Gänze von den Gemeinden erhalten werden.
Mehr als eine Milliarde Euro geben die Gemeinden (ohne Wien) pro Jahr nur für Kinderbetreuung aus. Allein von 2005 bis 2010 sind die jährlichen Ausgaben um knapp 400 Millionen angestiegen. Gründe für die Kostenexplosion gibt es viele. Mit dem Absenken des Eintrittsalters in Kindergärten und dem Ausbau von Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren waren neue Ausstattungen notwendig. Die alte Regel „Kinder in den Kindergarten, wenn sie nicht mehr gewickelt werden“ gilt nicht mehr. Gruppen wurden verkleinert, Betreuungspersonal wurde aufgestockt. 2009 wurde der halbtägige Kindergartenbesuch (20 Stunden pro Woche) im letzten Jahr vor dem Schuleintritt für alle kostenlos, ab 2010 für mindestens 16 Stunden pro Woche verpflichtend. Dadurch stieg die Anzahl der betreuten Fünfjährigen um zwei Prozent. Dem verordneten Kindergartenbesuch liegt eine simple bildungspolitische Kalkulation zugrunde: Je früher der Nachwuchs unter die Fittiche kompetenter Pädagogen kommt, umso besser die Chance, das künftige Bildungsniveau anzuheben. Noch mehr Pisa-Test-Debakel sollen tunlichst vermieden werden.
Feinabstimmungen
„Die große Investitionsphase haben wir hinter uns“, atmet der Pressesprecher des Österreichischen Gemeindebundes, Daniel Kosak, durch. Mit den nun in Aussicht gestellten zusätzlichen Mitteln soll schwerpunktmäßig der Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren vorangetrieben werden. Darüber hinaus sollen die Öffnungszeiten der Krippen und Kindergärten bedarfsgerecht erweitert werden.
Ziel ist laut Familienministerium, die Betreuungsquote für die unter Dreijährigen auf rund 28 Prozent zu steigern. Ab dem Kindergartenjahr 2013/14 werden nur noch Betreuungsplätze gefördert, die mindestens 47 Wochen im Jahr geöffnet haben. Für die dadurch erhöhten Personalkosten können die Länder unter bestimmten Voraussetzungen 2013 zehn Prozent und 2014 noch fünf Prozent des Zweckzuschusses verwenden.
Neu ist die Förderung von gemeindeübergreifenden Kooperationen, um eine ganzjährige Kinderbetreuung zu sichern. Gefördert werden auch Investitionen zur Schaffung von Tagesmütter-Angeboten sowie Ausbildungslehrgänge. Ziel ist, im Einvernehmen mit den Ländern erstmals bundesweite Empfehlungen über Mindeststandards in der Kinderbetreuung zu erarbeiten.
Qualitätsanforderungen
Denn hier gibt es laut einer Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung auf Basis der Kindertagesheimstatistik 2009/10 nach wie vor gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. So schwankt die maximale Gruppengröße in Kinderkrippen zwischen acht Kindern in Salzburg und 15 in Wien, Niederösterreich, Burgenland und Kärnten. Laut Experten wären Gruppengrößen von fünf bis acht Kindern ideal. Auch der rechtlich vorgegebene Betreuungsschlüssel ist mit 1:4 bis 1:8 zum Teil deutlich über der Empfehlung von 1:3.
Während in der Steiermark, Tirol und Vorarlberg um 15 Uhr bereits mehr als die Hälfte der Kindergärten geschlossen sind und 70 Prozent mindestens zwölf Wochen im Jahr schließen, haben in Wien 85 Prozent bis mindestens 17 Uhr geöffnet. Nur 30 Prozent haben zwei oder mehr Wochen geschlossen. Burgenland, Kärnten, Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg weisen ähnliche tägliche Öffnungs- und Ferienzeiten auf. Ebenfalls bundeslandspezifisch gestaltet sich die Höhe der Elternbeiträge für die Betreuung von Kindern bis zur Einschulung. Während im Burgenland und in Wien alle Einrichtungen sowohl vormittags als auch nachmittags beitragsfrei sind, gilt die Gratisbetreuung in Oberösterreich ab zweieinhalb und in der Steiermark ab drei Jahren. In Niederösterreich und Kärnten sind Kindergärten vormittags gratis, in den westlichen Bundesländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg werden in allen Einrichtungen sozial gestaffelte Beiträge eingehoben.
Neue Herausforderung
Während Gemeindebund-Sprecher Kosak glaubt, dass die Gemeinden die „klassische Kinderbetreuung bis zum Schulalter gut im Griff“ haben, sieht er die schulische Nachmittagsbetreuung „schwieriger“. Zwar dürfen die Gemeinden im kommenden Jahr mit 160 Millionen Euro für diesen Bereich rechnen – das ist doppelt so viel wie 2013 –, „damit ist aber nicht alles abgedeckt“, so Kosak. Denn neben einem erhöhten Aufwand für Betreuungspersonal stehen auch gröbere Investitionen an. Auch wenn sinkende Schülerzahlen mancherorts die Raumnot durch frei werdende Klassenzimmer etwas mildern, so sind in der Regel doch erhebliche Um- und Zubauten in den Schulen vonnöten.
So gibt es in den meisten Schulen etwa keine Küche. In älteren Gebäuden kann auch der barrierefreie Zugang zur Nachmittagsbetreuung eine kostspielige Hürde werden. Oft sind nicht mehr benötigte Unterrichtsräume schon längst für spezielle Zwecke umgestaltet worden, etwa als Werkräume oder Musikzimmer. „Das ist auch gut so“, befindet Kosak. Und man werde diese jetzt nicht für die Nachmittagsbetreuung wieder wegräumen.
Tatsache ist: Die Nachmittagsbetreuung boomt. Ziel ist laut Kosak, in ihrem Rahmen rund 30 Prozent der Pflichtschüler zu betreuen. Hauptzielgruppe seien dabei die Volksschüler und Schüler der ersten und zweiten Klasse der Neuen Mittelschule.
Mehrwert für Gemeinden
Wo Kinder und Jugendliche zu Hause sind, kommt auch das soziale und kulturelle Leben in Schwung, gibt es Impulse für die Weiterentwicklung der Infrastruktur. All das fördert die Attraktivität des Ortes und hebt die Lebensqualität. Für viele berufstätige Eltern ist die Ganztagesbetreuung ein Segen. Die Kosten halten sich mit maximal 70 Euro pro Woche einigermaßen im Rahmen, und die Nachmittagsbetreuung erspart auch die eine oder andere Nachhilfestunde, wenn sich Lehrer und Freizeitpädagogen geduldig um Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitungen der Schüler kümmern.
Allerdings macht die schulische Nachmittagsbetreuung manchen Vereinen Sorgen. Denn die Kinder würden dadurch kaum noch Zeit für außerschulische Aktivitäten haben. Für Training im örtlichen Fußballklub ist nach 17 Uhr keine Zeit mehr. Klarinetten-Stunden im Musikverein sind terminlich kaum noch unterzubringen. Von Üben zu Hause erst gar nicht zu reden.
Daher versuchen Vereine zunehmend, neue Kooperationen mit Gemeinden und Schulen einzugehen. Damit sollen nicht nur Beschäftigungsalternativen während der Schließzeiten von Kindergärten und anderen Betreuungseinrichtungen angeboten werden, sondern die Kids sollen damit frühzeitig in das gesellschaftliche Leben der Gemeinde hineinwachsen. Vor allem in den Umlandgemeinden rund um Ballungszentren ist das ein wesentliches Kriterium, um die Orte nicht zu reinen Schlafstätten von Pendlerfamilien verkommen zu lassen.