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Plus trotz Minus

Selbst in Bezirken, in denen die Bevölkerung schrumpft, gibt es Städte und Gemeinden, die Menschen zum Ansiedeln bewegen. Eine Spurensuche nach den Erfolgsgeheimnissen dieser „Demografie-Meister“. Von Marcus Eibensteiner

Landflucht? Von wegen! Es gibt sie, jene Orte, die wie kleine Magnete Menschen anziehen, obwohl es in ihrer Region immer mehr Abwanderungen gibt. public begab sich mithilfe der Statistik und dem KDZ auf Spurensuche. Unsere Reise beginnt im niederösterreichischen Neunkirchen. Obwohl es im Bezirk seit dem Jahr 2003 einen Bevölkerungsrückgang von 0,3 Prozent gibt, konnte die gleichnamige Bezirkshauptstadt Neunkirchen ein Plus von 7,4 Prozent erreichen. Mit 846 neuen Einwohnern ist die Stadt entlang der Schwarza die klare Nummer eins in unserer Statistik.Bürgermeister Herbert Osterbauer: „Wir haben eine ganz aktuelle Bevölkerungsumfrage gemacht. Und dabei ist herausgekommen, dass vor allem unsere Infrastruktur geschätzt wird. Wir sind Standort eines Krankenhauses, wir haben viele niedergelassene Ärzte, mehrere Schulen und wir schauen darauf, dass jedes Kind einen Kindergartenplatz bekommt.“

Geheimnis 1: Infrastruktur

Neunkirchen profitiert aber auch durch den Anschluss an die Südautobahn beziehungsweise die Südbahn. So ist die Bundeshauptstadt in zirka 45 Minuten zu erreichen, die Immobilien sind aber dennoch relativ günstig. Osterbauer: „In der obersten Kategorie beträgt die Miete bei uns vier Euro pro Quadratmeter.“ Lockangebote mit besonders billigen Wohnungen oder Baugründen macht Neunkirchen keine. Das könnte sich die Stadt als Sanierungsgemeinde auch gar nicht leisten. „Wir haben ein jährliches Budget von rund 28 Millionen Euro, aber an die 40 Millionen Euro Schulden“, so der Bürgermeister. Der Großteil der Verbindlichkeiten stammt von dem Krankenhaus, das erst im Jahr 2008 an das Land übergeben wurde. Osterbauer: „Die Schulden davon sind uns aber geblieben.“

So ist Neunkirchen in eine recht merkwürdige Lage geraten: Das Bevölkerungswachstum wird mit einem lachenden und einem weinenden Auge gesehen. Bürgermeister Osterbauer: „Natürlich freuen wir uns darüber, dass wir so attraktiv sind und Menschen anlocken, aber der Zuzug bedeutet vor allem anfänglich auch Kosten. Wir brauchen einen neuen Kindergarten und die Schulen werden zu klein.“ Ein anderes Problem ist Osterbauer merklich unangenehm. Denn viele Neu-Neunkirchner haben Migrationshintergrund – und das führt zu weiteren Belastungen. Der ÖVP-Politiker: „Wir müssen viel Integrationsarbeit leisten. Das beginnt schon in den Kindergärten und Schulen mit Stützkräften und interkulturellen Mitarbeitern.“

Das Land Niederösterreich übernimmt zwar Kosten, aber eben nicht alles. Und so profitiert das hochverschuldete Neunkirchen praktisch kaum vom Bevölkerungswachstum. Osterbauer: „Viel schlimmer wäre es aber sicher, wenn alle wegziehen – und die Stadt würde veröden. So ist es mir schon lieber.“

Geheimnis 2: Besseres Marketing

Weiter geht’s nach Gröbming in der Steiermark. Prozentual gesehen ist die Gemeinde im Bezirk Liezen die klare Nummer eins. Dort weist die Statistik ein Plus von 14,6 Prozent aus. 362 Menschen ließen sich seit dem Jahr 2003 in dem klimatischen Kurort im Ennstal nieder, obwohl der Bezirk ein Minus von 2,4 Prozent verkraften musste.

Für Bürgermeister Alois Guggi ist es ein Mix aus vielen Faktoren, der Gröbming so beliebt macht: „Das Land Steiermark hat im Zuge der Strukturreform die Gemeinden bewertet. Neben Schladming, Liezen, Bad Aussee und Rottenmann sind wir der einzige Ort, der 100 Punkte erreicht hat.“ Es gibt praktisch alles, was eine Gemeinde attraktiv und lebenswert macht: Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichkeiten, Kindergarten, Schulen und viele Freizeitangebote. Guggi: „Erst in den vergangenen Wochen haben wir einen neuen Spielplatz eröffnet.“ Außerdem wird mit einem besonderen Highlight geködert: Der Gröbminger Kindergarten ist das ganze Jahr über geöffnet. „Selbst in den Weihnachts- und Energieferien. Damit wollen wir für jene Familien attraktiv sein, in denen Papa und Mama arbeiten gehen müssen“, erklärt der stolze Bürgermeister – und kommt erst richtig in Fahrt. Er schwärmt vom neuen „Panoramabad“, das innerhalb von nur drei Jahren 50.000 Besucher angelockt hat, von den 1.000 Arbeitsplätzen im Ort, dem Seniorenheim, den vielen Vereinen und der langen Liste von Interessenten für die 50 Gemeindewohnungen, der fantastischen Lage und den vergleichsweise niedrigen Grundkosten. Bürgermeister Alois Guggi schafft es innerhalb weniger Minuten, Gröbming als kleines Paradies zu verkaufen. Und das kommt nicht von ungefähr. Der Bürgermeister war vor dem Einstieg in die Gemeindepolitik 45 Jahre lang im Vertrieb und Marketing einer Versicherung tätig. Das Verkaufen liegt ihm also im Blut. Guggi, der übrigens mithilfe der FPÖ regiert: „Natürlich ist das auch ein Grund, warum Gröbming zu einem Anziehungspunkt geworden ist. Man muss seine Gemeinde schon gut präsentieren. Wir halten immer Kontakt zu Medien, um dort unsere Qualitäten darzustellen.“

Und dann beginnt Guggi wieder zu schwärmen: von dem ersten österreichischen Milchwanderweg, der Ennstal-Classic, Gröbming als Franz-Xaver-Mayr-Kurort …

Geheimnis 3: Günstiges Wohnen

Wir machen uns auf den Weg nach Bärnbach im steirischen Bezirk Voitsberg. Bürgermeister Maximilian Kienzer erklärt den dortigen Bevölkerungszuwachs von 5,2 Prozent in seiner Stadt mit dem stark forcierten Wohnungsbau. Der SPÖ-Politiker: „Dazu haben wir uns schon vor Jahren entschlossen. Wir haben damals zwei Siedlungsgenossenschaften Grund- und Aufschließungskosten erlassen, damit sie Sozialwohnungen bauen können.“

Durch die niedrigen Mieten wurden vor allem Jungfamilien nach Bärnbach gelockt. Die wiederum zogen andere Familien an, die sich gleich ein eigenes Haus bauten. Und das machte weitere Wohnbauträger aufmerksam. Kienzer: „Wir haben dann nicht mehr direkt gefördert, aber wir waren von Seiten des Bauamtes immer sehr hilfreich.“ So kam eine Aufwärtsspirale in Gang, die Bärnbach immer beliebter macht. Wobei der weststeirische Ort einen entscheidenden Vorteil hat. Die ersten Neubauten entstanden nicht irgendwo am Rand, sondern praktisch im Ortskern. Denn Bärnbach hat im Laufe seiner Geschichte nie einen typischen Stadtcharakter entwickelt. Bürgermeister Maximilian Kienzer: „Obwohl wir mehr als 5.000 Einwohner haben, sind wir eher eine Streusiedlung gebelieben, deshalb waren im Zentrum noch Grundstücke frei. Damit können die neuen Einwohner nun zum Beispiel zu Fuß den Kindergarten oder die Schule erreichen.“

Apropos Kinder. Auch darin sieht Kienzer ein kleines Erfolgsgeheimnis, warum der Ort am Fuße der Gleinalm, der Sommerweide der Lipizzaner, so beliebt geworden ist. Der Bürgermeister: „Wir haben als Erste im ganzen Bezirk damit begonnen, eine Nachmittagsbetreuung anzubieten. Außerdem haben wir einen ganz neuen Kindergarten gebaut, der jetzt mit vier Gruppen voll besetzt ist.“ Bereits in Planung sind zwei weitere größere Wohnhäuser in Bärnbach. Eines mit acht und eines mit zwölf Wohnungen. Kienzer: „Das sind ganz normale Mietwohnungen, keine Sozialbauten.“ Platz für weitere Neubauten würde es sogar noch im Zentrum geben. Allerdings wollen die Besitzer diese Gründe nicht verkaufen. Der Bürgermeister: „Das sind Leute, die das Geld nicht brauchen.“ Im Gemeindebudget macht sich das Bevölkerungswachstum zwar positiv bemerkbar, aber reich wird Bärnbach nicht. Der Ortschef: „Natürlich erhalten wir höhere Bundesertragsanteile, aber wir haben zum Beispiel beim Straßenbau auch wieder höhere Kosten.“

Geheimnis 4: Positive Integration

Wieder zurück in den Bezirk Neunkirchen. Mit einem prozentuellen Bevölkerungswachstum von 14,4 Prozent hängt Breitenau sogar seine Nachbargemeinde und Bezirkshauptstadt Neunkirchen ab (siehe oben). Der Ort profitiert vor allem von seiner relativen Nähe zu Wien. Immer mehr Hauptstadtbewohner entdecken die Gemeinde im niederösterreichischen Industrieviertel als Wohnort. Bürgermeister Helmut Maier: „Wir bieten auch sehr viel Infrastruktur. Wir haben einen Kindergarten mit drei Gruppen, Nachmittagsbetreuung auch in der Volksschule und viele tolle Vereine.“ Das rasante Wachstum hat aber auch eine kleine Schattenseite. Denn so mancher alteingesessene Breitenauer sieht die vielen Zuzügler eher kritisch. Der Ortschef: „Man muss daran arbeiten. Alle Menschen, die in Breitenau leben, sind Breitenauer. Man muss versuchen, die neuen Einwohner in die Ortsgemeinschaft aufzunehmen. Das gelingt manchmal gut und manchmal schlecht.“

Wobei es auch nur eine Frage der Zeit sein kann. So wurde in Breitenau der Wohnpark „Am Stadtweg“ gebaut. Am Anfang wohnten dort nur neue Breitenauer. Mittlerweile hat sich das mit den Kindern der „alten“ durchmischt, die sich kein eigenes Haus leisten können. Denn, und das ist noch ein Nachteil der steigenden Beliebtheit, die Immobilienpreise steigen. So ist ein aufgeschlossener 1.000-Quadratmeter-Grund auch in Breitenau nicht mehr unter 90.000 Euro zu bekommen. Auch im Gemeindebudget von Breitenau hinterlässt der Bevölkerungszuwachs Spuren. Einerseits positiv, weil es mehr Geld vom Bund gibt, andererseits negativ, weil zum Beispiel der Kindergarten erweitert werden musste. Bürgermeister Helmut Maier: „Aber man darf nicht nur alles finanziell sehen. Mit dem Zuzug konnten wir zum Beispiel auch unsere Volksschule vierklassig erhalten, wo im Schnitt 14 Kinder in einer Klasse sitzen. Und das ist einfach ideal.“

Geheimnis 5: Förderungen

Ab in den Süden nach Stegersbach im Bezirk Güssing (Bgld). Bis Mitte der 1990er-Jahre hätte wohl niemand auch nur einen Schilling darauf gewettet, dass die Gemeinde einmal in einer Statistik auftaucht, bei der es um Bevölkerungswachstum geht. Denn kaum etwas deutete darauf hin, dass sich in der südburgenländischen Gemeinde wieder Menschen niederlassen könnten.

Doch dann passierten zwei kleine Wunder. Das eine war eine Bohrung nach Thermalwasser und das andere der Beitritt Österreichs zur EU. So konnte sich Stegersbach mit Hilfe vieler Fördermillionen zu einer attraktiven Touristenstadt mit einer Therme und Österreichs größter Golfanlage (45 Loch) mausern. Heute zählt Stegersbach bei rund 2.600 Einwohnern mehr als 1.500 Arbeitsplätze. Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen angezogen werden. Bürgermeister Heinz Peter Krammer, seit 16 Jahren im Amt: „Wir achten immer darauf, dass genügend leistbare Wohnungen vorhanden sind. Zu Spitzenzeiten haben gleich drei Siedlungsgenossenschaften bei uns gebaut.“ Die Ernte dieser Arbeit ist auch in der Volksschule von Stegersbach zu sehen. Es gibt gleich zwei erste Klassen, insgesamt tummeln sich rund 100 Schüler in dem himmelblauen Gebäude. Und der Aufschwung geht munter weiter. So investiert die Gemeinde mehr als eine halbe Million Euro in die Renovierung des Kastells in Stegersbach. Und es gibt ab sofort Gratis-Internet am Hauptplatz. Bürgermeister Heinz Peter Krammer: „Wir müssen uns einfach um die Jungen kümmern. Sie sind unsere Zukunft.“