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infrabauen_10_2013

Verordnung auf Zuruf

Es war ein Schlichtungsversuch des Bregenzer Bürgermeisters Markus Linhart, der allerdings neue Fragen aufgeworfen hat. Ausdrücklich kein Lehrbeispiel für andere Gemeinden, mit der Problematik Restfahrbahnbreite umzugehen.
Von Arno Miller

Ein Bekenntnis vorweg. Der Verfasser bricht hier mit dem ungeschriebenen Gesetz der Journalisten, nicht in eigener Sache zu berichten. Legitim ist es dann – was hiermit geschieht – man deklariert sich und das Thema hat über das persönliche Anliegen hinaus Relevanz. Davon ist Ihr Autor überzeugt.

Zum besseren Verständnis eine kurze Situationsschilderung: Mein Zuhause ist eine Reihenhaussiedlung in Bregenz. Klassische Wohngegend. Sackgasse (nicht unwichtig), Tempo 30-Zone (ebenfalls nicht ohne Belang). Bis zum Frühsommer stieß sich niemand an den längsseitig geparkten Fahrzeugen. Für den Quellverkehr blieb nämlich weit mehr als eine Wagenbreite übrig. Das Zusammentreffen von Fußgängern, Radfahrern mit Autofahrern stellte also kein Problem dar. Nur bei zwei entgegenkommenden Autos musste einer der Lenker halt kurz stehen bleiben. Eine in Österreich tausendfach gegebene Straßensituation. Und ja: Auf der einen Straßenseite war seit Jahr und Tag ein Halte- und Parkverbot ausgeschildert.

Soweit, so gut. Plötzlich stellte die Stadt Bregenz auch auf der anderen Seite entsprechende Tafeln auf. Ihr Autor (und ein Großteil der Anrainer) wollte wissen, warum eigentlich? Dass sich daraus eine offenbar Never-ending-Story entspinnt, konnte er nicht ahnen. Nach einigem Hin und Her bat ich den Bürgermeister am 26. Juli um einige Antworten. Zum Beispiel:

• Gilt nach dem Gleichheitsprinzip die hier zur Anwendung gekommene StVO auch für sämtliche anderen Straßen in Bregenz? Führt die Stadt Bregenz daher auch dort konsequent Halte- und Parkverbote ein? Und gibt es dafür einen Zeitplan?

Denn auf die Straßenverkehrsordnung hatte sich nämlich der dafür verantwortliche Leiter der Dienststelle Stadtplanung und Mobilität DI Clemens Gössler berufen: Nach den Buchstaben des Gesetzes und aufgrund der jüngeren Judikatur müsse eine Restfahrbahnbreite von 5,20 Meter gegeben sein, wenn Gegenverkehr besteht. Wenn, wie in unserem Fall, durch längsseitig parkende Fahrzeuge diese Restfahrbahnbreite nicht vorhanden ist, wird Parken verboten. Punkt.

„Aus Sicherheitsgründen“, hatte die erste Auskunft von der Stadt gelautet, nachdem das Halte- und Parkverbot umgesetzt worden war, übrigens ohne jede Information. Ein Anrainer habe die Stadt aufmerksam gemacht, „dass es hier immer wieder zu gefährlichen Situationen komme“. Seit 24 Jahren dort wohnend, war mir keine gefährliche Situation in besagtem Bereich erinnerlich. Aber die Verwunderung wurde noch weiter geschürt. Ungefragt wurde mir außerdem berichtet, dass Anrainer Karl E. diesen Antrag gestellt hatte, darauf der Stadtrat den entsprechenden Beschluss fasste und danach das Halte- und Parkverbot sogar ausgeweitet worden sei. Moment! Danach ausgeweitet? Da war zuvor doch gar kein Verbotsschild aufgestellt … Da hätte ich schon recht, so die Erklärung aus dem Amt, doch noch bevor die „Baumaßnahme“ gesetzt wurde, habe Anrainer Rudi M. gebeten, das Halte- und Parkverbot bis zu seinem Haus auszudehnen.

Dass städtische Verordnungen auf Zuruf abgeändert werden, das war mir neu. Spätestens jetzt wurde ich hellhörig und mein Interesse auch als Journalist geweckt. Dass Anrainer Rudi M. über ein Dutzend seiner Taxis am Ende der Sackgasse abstellt und für seine Fahrer die „freie Fahrt“ erleichtern will, ist freilich nur eine Vermutung anderer Betroffener. Hingegen stimmt, dass Anrainer Karl E. und Anrainer Rudi M. Teil der Bürgermeisterfraktion sind.

Erst diese ziemlich schräge Optik bewog Bürgermeister Linhart von seinem Abwiegelungsversuch Abstand zu nehmen, dass Themen dieser Art „bei unserer neuen grünen Vizebürgermeisterin“ ressortieren. Er werde sich meine erste schriftliche Kontaktaufnahme mit dem Rathaus ansehen. Das war eine E-Mail – versehen mit den Unterschriften von 36 ebenso verblüfften Wahlberechtigten (bei 39 Reihenhäusern). Das Stadtoberhaupt rief zwei Stunden später zurück. Er habe den Zuständigen (Gössler, Anm.) angewiesen, dass er sich mit mir und dem alles auslösenden (ÖVP-Stadtvertreterersatz) Anrainer Karl E. an Ort und Stelle treffen sollen. „Ihr werdet schon eine Lösung finden …“

Ihr Berichterstatter war vor allem aber darauf, was Anrainer Karl E. dazu bewogen hatte, bei der Stadt Bregenz ein Halte- und Parkverbot zu beantragen. In der Nachbarschaft, und das Thema wurde natürlich heiß diskutiert, konnte sich niemand einen Reim darauf machen. Die dann von ihm an Ort und Stelle vorgetragene Begründung muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Wenn er und andere Bewohner seines Blocks über die Zufahrt (!) in besagte Sackgasse einbiegen wollen, dann müssten sie wegen den „gegenüber der Ausfahrt“ parkenden Fahrzeuge „besonders aufmerksam nach links und rechts schauen“. Hallo?!! Schreibt das die Straßenverkehrsordnung für das Einfahren in eine höherrangige Straße nicht ohnehin vor? Lernt man das nicht schon als Grundregel in der Fahrschule?! Und: Reicht diese Unsicherheit, die ein Mitglied der Bürgermeisterpartei mit der Auslegung eines Bundesgesetzes offensichtlich hat, für einen Stadtratsbeschluss aus? Ausgerechnet unter dem Deckmantel der Verkehrssicherheit? Wer ist hier eigentlich das Verkehrsrisiko? Hängt die Verkehrssicherheit auf den Bregenzer Wohnstraßen also davon ab, ob dort zufällig ein besorgter Gemeindepolitiker dort wohnt?

Zugegeben, durchaus provokante Fragen, die ich meinem Bürgermeister schriftlich am 26. Juli stellte. Auch die, ob die Stadt für ihr bisheriges Versäumnis haftbar gemacht werden kann. Ein zuvor zu Rate gezogener Verkehrsjurist erklärte nämlich, die Gesetzeslage sei eindeutig, die Stadt im Recht. Klagen zwecklos. Die eigentliche Problematik wäre, dass praktisch jede Gemeinde schon seit Jahrzehnten hätte tätig werden müssen. Der Passus „Restfahrbahnbreite“ sei nämlich uralt. Wenn also irgendjemandem parkende Autos ein Dorn im Auge sind, diene die Restfahrbahnbreite in vielen Fällen als Killerargument. Einen Antrag könne schließlich jeder – und der Verkehrsjurist benutzte hier nicht zitierfähige Bezeichnungen – stellen; unabhängig davon, ob nun tatsächlich ein Sicherheitsproblem gegeben ist oder nicht. Es tut nichts zur Sache, dass nicht nur der Hausverstand, sondern auch Verkehrsexperten sagen, eine schmale Fahrbahn drossle automatisch das Tempo und trägt somit zur Verkehrssicherheit bei.

Unsere kleine Sackgasse ist nun eine „Autobahn“. Weil es die Straßenverkehrsordnung so will.

Als Bürger nehme ich das zur Kenntnis. Ob der Gesetzgeber damit womöglich übers Ziel schießt, ist eine andere Frage. Doch offenbar existiert auch im Rathaus ein gewisses Unbehagen. Wie sonst erklärbar sich, dass – vorausgesetzt: alles lief rechtens – nach der Umsetzung des Stadtratsbeschlusses die Mobilitätskommission der Stadt (noch ohne mein Zutun) die Situation wiederholt begutachtet und später die zuständige Abteilung erklärt, die Causa werde (nun durch mein Zutun) „jetzt auf die politische Ebene gebracht“? Aus dieser Ankündigung hatte mein Gespräch mit dem Bürgermeister resultiert, daraus sein Schlichtungsversuch. Doch das, wie Abteilungsleiter Gössler mehrfach betonte, „freiwillige“ und „nichts an der Sache ändernde, Informationsgespräch“ warf neue Fragen auf.

Sie blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Der Bürgermeister brauchte zwei Monate, um auf den Brief vom 26. Juli mit einem knappen Anruf zu reagieren. Die Causa liege nun – endgültig – „bei unserer grünen Vizebürgermeisterin. Sie wird sich melden.“ Als Kandidatin an aussichtsloser 6. Stelle sei ihr nachgesehen, wohl für den Nationalratswahlkampf etwas eingespannt gewesen zu sein. Doch der 29. September liegt jetzt auch schon länger zurück.

Es war Freitag, der 5. Juli. „Ich rufe an wegen des neuen Halte- und Parkverbotes bei uns in der Straße …“. Weiter war ich gar nicht gekommen: „Sie sind nicht der Erste, der sich beschwert, deshalb gibt es am Montag einen neuen Lokalaugenschein“, sagte ein freundlicher Herr der Stadtplanung. Darauf ich: „Ich will mich gar nicht beschweren, ich will mich nur erkundigen …“.

Vielleicht wäre alles schneller gegangen, hätte ich mich als Bürger sofort beschwert.