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Gewinnbringende Tropfen

Die „Vollverstaatlichung“ der Berliner Wasserbetriebe ist ein hochspannendes Beispiel für den Trend der Rekommunalisierung. Auch, weil es die Berliner Bürger waren, die den Rückkauf durchsetzten.
Von Alexandra Keller

tropfen_10_2013Im Zusammenhang mit Wasser ist die Geschichte Berlins eine Geschichte der Extreme. Berlin war die letzte europäische Großstadt, die Mitte des 19. Jahrhunderts noch ohne zentrale Wasserversorgung funktionieren musste – erst 1852 wurde begonnen, selbige aufzubauen. Längst sind die Berliner Wasserbetriebe das größte städtische Wasserversorgungsunternehmen Deutschlands – mit knapp 4.500 Mitarbeitern und einem Umsatz von jährlich über 1,3 Milliarden Euro (1,341 Milliarden waren’s beispielsweise 2011). Die Berliner Wasserbetriebe gehörten zu den ersten Wasserver- und Abwasserentsorgern der Bundesrepublik, bei denen sich private Unternehmen in richtig großem Stil beteiligten – 1999 wurden fast 50 Prozent der Wasserbetriebe privatisiert. Die Wasserpreise in Berlin sind mitunter die höchsten in Deutschland – was die Bürger auf die Palme brachte. Und nun zählen die Berliner Wasserbetriebe wieder zu den ersten Unternehmen mit Daseinsvorsorgepflicht, die vollständig rekommunalisiert werden. Genug der Extreme? Aufgrund der spezifischen und teils an einen Kriminalroman erinnernden „Zutaten“ dieser Berliner Geschichte mag sie nicht repräsentative Stellvertreterin für den Trend der Rückkehr der öffentlichen Daseinsvorsorge an die kommunale Brust sein, doch erzählenswert ist sie allemal. Oder umso mehr.


Kapitalismus im Vormarsch

Eine Art kapitalistische Goldgräberstimmung umnebelte europäische Kommunen in den 1990er Jahren. Cross Border Leasing (CBL) war so ein „Heilsbringer“ für die knappen öffentlichen Haushalte geworden. Von Straßenbahnen über Wasserleitungen, von Krankenhäusern über Energieunternehmen wurde auf diesem abenteuerlichen Weg meist an Trusts verkauft und zurückgeleast. Das 1999 abgeschaffte US-amerikanische Steuerschlupfmodell brachte die Verantwortlichen bald aufgrund der enorm langen Vertragsdauer sowie der starken Beschränkung des Handlungsspielraums in die Bredouille. Ein anderer, teils schon in den 1980er Jahren beschrittener Weg, der Geld in die kommunalen Kassen brachte, war der vergleichsweise simple Verkauf bzw. die „Ausgliederung“ öffentlicher Einrichtungen oder Unternehmen. Ganz im Rausch kapitalistischer Überlegungen gaben Staat, Länder und Städte ihre Ur-Zuständigkeiten der Daseinsvorsorge in fremde Hände und bedingten teils hart geführte ideologische Diskussionen. Den Kampf „Staat gegen Privat“ gewann meist „Privat“. Irgendwie auch, als 1992 im Rahmen der Internationalen Konferenz Wasser und Umwelt (ICWE) in Dublin Wasser als ökonomisches Gut definiert wurde. Das war der Startschuss dafür, dass öffentliche Wasserversorgungseinrichtungen weltweit privatisiert wurden. In Berlin, der alten und neuen Hauptstadt Deutschlands, war es nicht anders. Das Budget der Metropole war Ende der 1990er Jahre trist bis desolat, der Haushalt musste dringend saniert werden. Man wusste bereits, wie’s geht. Den Pleitegeier im Nacken hatte Berlin schon seine Gas- und Elektrizitätswerke verkauft und 1999 standen die Berliner Wasserbetriebe auf dem Programm. Fast 50 Prozent des großen Unternehmens – die öffentliche Hand behielt sich zur Sicherheit die „goldene Aktie“ – wurden an Private verkauft. Der französische Konzern Vivendi (heute Veolia) und der deutsche Energiekonzern RWE stiegen mit je 24,95 Prozent ein und bezahlten dafür 1,68 Milliarden Euro. Das war echt viel Geld und Jahre später erst sollte klar bzw. öffentlich werden, warum die Konzerne derart tief in die Tasche gegriffen haben. Eine Gewinngarantie hatte den Preis so sattsam in die Höhe schnellen lassen. Schon herrlich. Ein Versorgungsunternehmen, das keine Konkurrenz fürchten muss und im warmen Monopolmantel arbeiten darf, wird mit einer rechtlich garantierten Rendite geadelt. Der so genannte Konsortial-Vertrag (KV), in dem diese Regelung festgehalten wurde, entwickelte sich bald zum Gral des Berliner Wasserkampfes. Das ARD-Magazin „Panorama“ rechnete nach und kam zu dem Ergebnis, dass sich Veolia und RWE allein durch die im KV geregelte Gewinngarantie zwischen 2000 und 2005 über fast 500 Millionen Euro freuen durften. Im selben Zeitraum nahm Berlin nur 171 Millionen Euro ein.

Rolle rückwärts

berlin_10_2013Die Sittenwidrigkeit des Vertrages und die Komplexität des gesamten Konstruktes konnten erst erahnt werden, als es den Berliner Bürgern langsam zu bunt wurde. Nachdem 2005 die kalkulatorischen Kosten als Bestandteile der Wasserpreise neuerlich zugunsten der beiden Konzerne erhöht wurden, gipfelte der Volkszorn in der Gründung der Bürgerinitiative „Berliner Wassertisch“. Ziel war es, Einsicht in die KV-Verträge zu bekommen, welche der Berliner Senat gut versteckt und geheim gehalten hatte. Es war ein mühevoller Kampf, der nicht förderlich für ein gutes Verhältnis der Bürger zu ihrer von schwarz-rot auf rot-rot „umgewählten“ Regierung war. 2008 wurde der Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens gestellt, das die Offenlegung der Verträge anpeilte. Der Senat erklärte das Volksbegehren für sittenwidrig, sodass der Verfassungsgerichtshof von Berlin angerufen werden musste. Der erlaubte das Begehren und 2011 war es dann so weit: 660.000 Wahlberechtigte stimmten für den Volksentscheid und damit kamen manche Steine ins Rollen, unter denen sich die eventuell durch den Import des privaten Know-hows oder eben durch den hohen Preis erzielten Privatisierungsvorteile begruben. Ein Verstoß gegen das EU-Vergaberecht und in der Gewinngarantie verstecke Beihilfe sowie „missbräuchlich überhöhte Trinkwasserpreise“ wurden festgestellt. Die wieder rot-schwarz „gefärbte“ Regierung kam in arge Bedrängnis. Und musste sich dem Volkswillen fügen. 2012 wurden die RWE-Anteile um 657 Millionen Euro zurückgekauft. Ein ähnlich hoher Batzen muss wohl für die Veolia-Anteile berappt werden. Die Rekommunalisierung kommt Berlin teuer zu stehen. Fraglich ist, ob die Bürger mit günstigeren Wasserpreisen belohnt werden. Was sicher scheint, ist, dass die Geschichte Berlins im Zusammenhang mit Wasser eine Geschichte der Extreme bleibt.