Vor 15 Jahren musste man sie noch suchen, heute tragen sogar im urbanen Bereich viele Dirndl und Lederhosn. Der Markt boomt, der Brauch kehrt zurück. Geht damit auch eine gesellschaftspolitische Wende einher?
Von Günter Stummvoll
Einmal im Herbst gibt es in Niederösterreichs Gemeinden einen ganz besonderen Sonntag. Zumindest, wenn man etwas für Dirndl, Trachten, Lederhosen, Hüte und Bräuche über hat, wie etwa Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll. Am so genannten „Dirndlgewandsonntag“ sprossen die Ledernen wie die Schwammerl bereits zum fünften Mal aus dem Boden. Jeder zeigte sich lässig in Tracht, in Dirndl und Janker. Pröll nennt den Tag ein wichtiges Signal im Jahreskreislauf. Diese Initiative zeige, „dass wir zusammengehören und zusammenhelfen; eine tragfähige Plattform, die uns sehr viel Kraft gibt“, betont der Landeshauptmann.
Organisches Auferstehen
Dorli Draxler hat den Tag initiiert. „Mein Gott, da war Vieles nicht von langer Hand geplant, das ist organisch gewachsen. Vor zehn Jahren haben wir den alten NÖ-Landesanzug erneuert – das hat eingeschlagen“, erklärt die Geschäftsführerin der Volkskultur Niederösterreich. Vor fünf Jahren wurde „Wir tragen Niederösterreich“ ins Leben gerufen, einher ging ein Trachtenboom und ein Hang zum Regionalismus, der sich auf Speisen, Musik und Bräuche ausgeweitet hat. Mittlerweile unterstützen 15 Organisationen die Initiative, die sich als Lobbyismus und Marketing einer Tradition versteht, die in die Tiefe geht.
Seit 2009 findet der immer bekannter werdende Dirndlgewandsonntag in Niederösterreich statt, ein weiterer Sprössling der kreativen Volkskultur. Und es geht keineswegs um den schnellen Erfolg. Auch wenn durch das Oktoberfest in München „Kitsch und Ramsch“ florieren: „Wir definieren uns durch Qualität – des Materials, der Machart, der Passform von Dirndln. Das ist nichts Schnelllebiges à la heute-kaufen, morgen-wegwerfen“, erklärt Draller.
Die aktuelle Dirndlgesellschaft hat freilich nicht immer etwas mit Traditionsbewusstsein und Hochhalten von Bräuchen zu tun. Zwar sei nicht alles, was auf der Wiese läuft, besagter Kitsch oder Ramsch. Doch sehe man dort zuhauf Dirndln billigerer Herstellweise, die nach dreimaligem Gebrauch schon wieder entsorgt werden. Den Dirndlkonsum sieht auch Magdalena Schluckhuber durchwegs kritisch. Die oberösterreichische Bohemistik-Studentin hat eines ihrer Dirndln extra zum Auslandsjahr nach Prag mitgenommen, um ihr Land angemessen repräsentieren zu können. „Mit einem Dirndl ist man stets gut angezogen. Sie sind schön, klassisch und immer modern. Tracht gehört zu Österreich und auch zu der Region, aus der ich komme. Es ist ein Teil der Kultur“, sagt die 23-Jährige. Für Schluckhuber zeugen Drindln von Tradition, nicht aber von Konservatismus.
Historisch bedenklich?
Trachten sind vor langer Zeit entstanden, haben sich gewandelt und sind – genauso nicht unwahrscheinlich - oft einfach vom Erdboden verschluckt worden. Pikanterweise erlebten Trachten zur Zeit des Nationalsozialismus einen Umbruch. In der so genannten „Mittelstelle Deutsche Tracht“ der Reichsfrauenorganisation arbeitete die Innsbruckerin Getraud Pesendorfer eifrig an einer Konvergenz von Nazi-Ideologie und Trachtenmode. Die Volkskundlerin Elsbeth Wallnöfer erörtert in einem Buch die „erneuerte Tracht“ – entkatholisierte Dirndln ohne geschlossene Krägen und mit freien Armen.
Doch das Dirndl als Nazi-Symbol hinzustellen, hält Gexi Tostmann, ebenfalls promovierte Volkskundlerin, für viel zu verknappt: „Natürlich stimmt es – die Mittelstelle hat sich um die Tracht gekümmert. In Österreich war sie angesiedelt, weil es hier auch eine von assimilierten Juden stark geprägte Dirndltradition gab.“ Schon zur Zeit des Biedermeier mit der Entdeckung der Sommerfrische wurden leichte Arbeitsdirndln von der Stadtbevölkerung modifiziert und gesellschaftsfähig gemacht. Pesendorfer hat historische Trachten mit Arbeitsgewand kombiniert und ihre Form daraus wachsen lassen. „Die Pesendorfer hat überladene Formen reduziert, Materialien modernisiert. Da ist nicht nur Nazi-Ideologie drinnen, sondern viele verschiedene Strömungen“, erklärt die Österreichische Unternehmerin. Dirndln heute seien für sie außerdem Zeichen der Regionalität, ein Gegenpol zur Globalisierung, ein Impuls für die heimische Wirtschaft und eine Wiederbelebung des traditionellen Handwerkes.
Modern und schräg
Bräuche sind, wie auch Trachten und Dirndln, dem Wandel unterworfen. Kaum über das Gesäß reichende Röcke und knallbunte Billigstoffe sind damit aber nicht gemeint. Abseits vom Internetversandhandel setzen sich Intellektuelle eingehend mit der Thematik auseinander. So etwa Azra Aksamija, eine österreichische Künstlerin, Architektin und Historikerin, zuletzt Assistenzprofessorin am renommierten MIT in den USA. 2005 entwarf sie die so genannte „Dirndlmoschee“, ein in Anlehnung an ein Dirndl kreiertes muslimisches Gebetsgewand. Das in dunklen, dezenten Farben gehaltene Dirndl mit Überwurf kann mittels einiger einfacher Handgriffe zum vollständigen Gebetsbereich für drei Personen umfunktioniert werden. Die Schürze wird entfaltet und am Boden aufbereitet, der Überwurf dient als Kopftuch.
Auch vor der Queer-Community macht das Dirndl nicht halt. Ländlich und konservativ? Das war beim „Rosa Wiener Wiesen-Fest“ auf der Kaiserwiese beim Prater nicht zu bemerken. Zum ersten Mal fand hier eine große LGBT-Trachtenveranstaltung statt – Dirndl und knackige Lederhose inklusive, ohne Grenzen, welches Geschlecht nun welches Outfit zu tragen hat.
Von traditionellen Trachten bis zur „Wegwerf“-Wiesen-Interpretation: Das Dirndl und die Lederhose haben ihren volkskulturellen Siegeszug angetreten und – so scheint‘s – der Zenit ist noch nicht erreicht. Für Gexi Tostmann ein unsterblicher Trend, für andere eine Mixtur der Hoch-, Volks- und Subkultur zu einer amorphen, aber unter gemusterter Schürze vereinten modernen Form des österreichischen Brauchs. Dass sich damit gesellschaftspolitisch auch ein Ruck in Richtung Konservatismus spüren lässt, kann man anhand der künstlerischen, historischen und gendertechnischen Auseinandersetzung mit der Thematik nicht bestätigen.
Credit Dirndl: mankale - Fotolia.com
Credit Lederhose: Sonja Birkelbach - Fotolia.com