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Streit um Apotheken-Liberalisierung

Das jüngste EuGH-Urteil könnte eigentlich Anlassfall für mehr Liberalisierung am österreichischen Apothekenmarkt sein. Gesundheitsministerium und Apothekerkammer wehren sich in trauter Zweisamkeit erfolgreich gegen mehr Wettbewerb.Von Christoph Archet

rechtAnlassfall war ein Antrag der Apothekerin Sokoll-Seebacher, die im oberösterreichischen Pinsdorf eine öffentliche Apotheke errichten wollte. Das wurde mit der Begründung abgelehnt, dass im Gebiet dieser Gemeinde kein Bedarf bestehe. Der EuGH sah die Sache anders und entschied, dass die in Österreich bei der Neuerrichtung von Apotheken angewandten demografischen Kriterien der Behörden nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Seitdem ist eine heftige Diskussion über die Liberalisierung des Apotheken- und Arzneimittelmarktes in Bewegung.

Blick nach Anderswo

Wer durch die Straßen der Großstadt Berlin schlendert, wird eines feststellen: Blumenläden, Bäckereien und Apotheken geben sich sprichwörtlich nacheinander die Türklinke in die Hand. Und in Griechenland ist die Pro-Kopf-Versorgung mit Apotheken etwa fünf Mal so groß wie in Österreich. Was in vielen europäischen Ländern kein Problem darstellt, ist in Österreich ein Politikum - nämlich die Eröffnung einer Apotheke. Zwar ist Österreich noch immer meilenweit von einer Liberalisierung der Apothekenlandschaft entfernt, doch hat der europäische Gerichtshof in Luxemburg eine wichtige Lockerung im heimischen Apothekensystem durchgesetzt. In dem Urteil hat der EuGH die Bestimmung der Bedarfsprüfung für neue Apotheken aufgehoben. Das heißt, in Zukunft können die verantwortlichen Behörden großzügiger bei der Vergabe von Apothekenkonzessionen vorgehen. Von einer Aufhebung der Bedarfsprüfung will die heimische Apothekerkammer indes nichts wissen. "Der EuGH hat die österreichische Apothekenbedarfsprüfung keineswegs aufgehoben, ganz im Gegenteil, er hat neuerlich bestätigt, dass die Mitgliedstaaten demographische und geographische Kriterien für die Apothekenerrichtung festlegen können. Das Urteil ist eine Bestätigung für das Bedarfsregelungssystem in Österreich. Der EuGH sieht die österreichische Bedarfsprüfung lediglich in einem Detail, und zwar hinsichtlich der starren, nicht unterschreitbaren Grenze von mindestens 5.500 weiterhin zu versorgenden Personen für die Nachbarapotheken als problematisch", interpretiert Max Wellan, Präsident der österreichischen Apothekerkammer, das Urteil.

Die Bedarfsregelung müsse daher lediglich in diesem Detail nachgebessert werden, damit die Behörde die Möglichkeit erhält, örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen und von der starren Grenze ausnahmsweise abzuweichen. Die konkrete Umsetzung sei noch offen, so Wellan weiter. Auf die Frage, ob die Bedarfsregelung, wie von der Apothekerkammer gefordert, weiterbestehen bleiben könne, wenn diese durch ein EuGH-Urteil aufgehoben werde, gibt man sich beim Bundesministerium für Gesundheit diplomatisch und verweist auf das bestehende Urteil, wonach die Behörden in Sachen der Bedarfsregelung nun eben mehr Spielraum haben. Viel Hoffnung auf eine echte Liberalisierung kann man von Seiten des Gesundheitsministeriums wohl nicht erwarten, wenn es heißt, dass es vermutlich nur in Einzelfällen, abhängig von den jeweiligen örtlichen Besonderheiten, die generell nicht antizipiert werden können, möglich sein wird, eine Apotheke im ländlichen Raum zu eröffnen.

public fragte Apothekerkammer-Präsident Wellan, wie er es sich erklären kann, dass im benachbarten Ausland Apotheken ohne Gebietsschutz überleben. "Die Apothekensysteme der benachbarten EU-Länder haben allesamt ihre Spezifikationen und sind nur schwer vergleichbar. Die überwiegende Mehrzahl der europäischen Länder hat vergleichbare geographische oder demographische Steuerungselemente für die Eröffnung neuer Apotheken. Wir können in Österreich in den Apotheken Serviceleistungen für die Kunden anbieten, die anderswo wiederum nicht gegeben sind", verweist Wellan vor allem auf die Apothekenbereitschaftsdienste.

Dass mehr Wettbewerb der Apotheken zugleich zu niedrigeren Preisen oder einer besseren Versorgung führen könnte, glaubt man im Kabinett von Minister Stöger offensichtlich nicht. "Der gesicherten flächendeckenden Arzneimittelversorgung in Österreich kommt gegenüber dem Wettbewerb ein hoher Stellenwert zu", lässt Kabinettssprecherin Lisa Fuchs wissen. In Ländern mit freier Apothekenniederlassung würden Apotheken vor allem an attraktiven städtischen Standorten, in Verkehrs- und Ballungszentren eröffnet werden. Für Menschen, die in ländlichen Gebieten oder weniger guten Lagen wohnen, bestehe in diesen Ländern die Gefahr einer schlechteren Versorgung mit Arzneimitteln und Gesundheitsdienstleistungen, betont man seitens der Kammer wie auch im Gesundheitsministerium.

Online-Apotheken ab 2016?

Doch schon bald könnte sich ein weiterer Arzneimittelversorgungskanal auftun, nämlich Medikamentenbestellung via Internet. Was in anderen Ländern schon seit vielen Jahren Usus ist, wird in Österreich wahrscheinlich erst 2016 Wirklichkeit. Danach kommt auf die stationären Apotheken mehr wirtschaftlicher Druck zu. Denn die EU veröffentlicht ein Logo für zertifizierte Internet-Apotheken. Das sollte bis zum Frühjahr 2015 vorgestellt werden. Danach müssen in Österreich innerhalb eines Jahres Online-Apotheken zugelassen werden.

Im Schnitt 15 Neueröffnungen

Aktuell gibt es in Österreich 1.340 Apotheken. Jährlich eröffnen im Schnitt 15 Apotheken neu. In den letzten zehn Jahren haben in kleineren Orten, die bisher keine Apotheke hatten, 66 Apotheken neu eröffnet. Ihre Leistungen umfassen die "klassischen Arzneimittel", Homöopathika und auch die im Rahmen zahlreicher neuer, alternativer Therapieformen angewendeten Arzneimittel wie TCM oder Ayurveda.

Die betroffene Apotheke in Pinsdorf, Oberösterreich, (Anlassfall für den EuGH) wurde zwischenzeitlich bewilligt. Inwieweit konkrete Auswirkungen auf weitere anhängige Konzessionsverfahren bestehen, muss erst geprüft werden.

Bildnachweis: GINA SANDERS - FOTOLIA.COM