Bildnachweis: Hetzmannseder
Am 25. Mai finden in Österreich Wahlen zum Europäischen Parlament statt. public lud gemeinsam mit dem Bundeministerium für Europa, Integration und Äußeres einige Europa-Gemeinderäte zum Gespräch um zu erfahren, wie es mit der Zustimmung zur EU, den Vorbereitungen zu den Wahlen und der Arbeit der Mandatare aussieht. Von Agnes Kern
Michael Eder Europa-Gemeinderat - Gemeinde Payerbach - Pro Payerbach
Susanne Nückel Europa-Gemeinderätin- Stadt Wien - Grüne
Mag. Arnold Obermayr Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, EU Kommunikation
Alfons Payr Europa-Gemeinderat- Gemeinde Langschlag - SPÖ
Mag. Andrea Rukschcio-Wilhelm Europäisches Parlament, Informationsbüro in Österreich
Mag. Daniel Soudek Europa-Gemeinderat- Gemeinde Mitterndorf a.d. Fischa - ÖVP
Mag. Agnes Kern Chefredakteurin von public |
public: Viele Bürgermeister glauben nach wie vor, dass sie Europa nicht betrifft. Wie ist das in ihrer Gemeinde und hat sie sich - seit Sie Europagemeinderat sind - geändert?
Soudek: Ja es hat sich etwas geändert. Ich merke das immer wieder in den persönlichen Gesprächen, aber auch bei Veranstaltungen. Die Leute kommen auf mich zu und sagen: "Das habe ich ja so gar nicht gewusst." Die Problematik ist, dass hier einige Boulevardblätter negative Stimmung verbreiten. Es ist nicht alles positiv in der EU, das ist gar kein Thema. Aber es ist sehr wohl so, dass grundsätzlich nur das Negative zum Vorschein kommt. Ich komme mir wie derjenige vor, der die Scherben aufklauben, hinterherlaufen und aufklären muss, aber das Interesse in der Gemeinde ist sehr groß.
public: Frau Nückel, Sie sind Bezirksrätin in Wien und haben es mit einem etwas größeren Einwohnerkreis zu tun. Wie ist die Stimmung im Bezirk?
Nückel: Wir sind sehr groß und wir sind sehr vielfältig. Wir sind über 80.000 Einwohner. Wir hatten leider noch keine Infoveranstaltung zur Europawahl, aber ich habe eine Blitzumfrage gemacht, die eigentlich ganz positiv war. Die Bereitschaft zur Wahl zu gehen ist auf jeden Fall vorhanden. Auf der negativen Seite kam, dass sich viele als Bürger nicht gut vertreten fühlen. Im Internet, wo ich auch viel mit den Leuten kommuniziere - das ist natürlich nicht nur auf Wien beschränkt - war in letzter Zeit recht positiv, dass die Wasserrechtsgeschichte und auch die Saatgutverordnung gut ausgegangen sind. Beide konnten in eine Richtung gebracht werden, mit der man zufrieden sein kann.
Payr: Am Land ist die Stimmung zur EU grundsätzlich im ersten Ansatz eine negative. Ich versuche immer hier Positives entgegenzubringen und habe ein paar Aktionen gestartet, z.B. beim Straßenfest habe ich auf meinem Stand die EU-Fahne aufgehängt und die Frage der Kinder-Rätselrally habe ich auf ein EU-Thema festgemacht. Das Außenministerium hat mich bei meiner Arbeit immer unterstützt, u.a. mit Unterlagen. Besonders gut kommen die Malbücher für Kinder an - "Der kleine Stern in Europa". Ich war auch im Kindergarten, in der Volksschule, in der Hauptschule. Die Kinder sind offener und gehen unbeschwerter damit um. Die Erwachsenen lernen mit den Kindern mit, so wie bei den Umweltthemen, sie müssen sich damit auseinandersetzen. Die Älteren sind trotz der Vorteile, beispielsweise der offenen Grenzen, sehr europakritisch.
Eder: Ich habe bei uns in der Gemeinde einen EU-Informationsstand eingerichtet. Die Bevölkerung nimmt das gut an, aber im Geheimen. Es ist ein gewisses gesellschaftliches Problem, wenn sich jemand offiziell für die EU interessiert. Es ist ein bisschen wie in Amerika, wo man aus dem Alkoholgeschäft mit dem Sackerl rausgeht. D.h. die Unterlagen, die dort aufliegen werden regelmäßig weniger, aber keiner hat sie mitgenommen.
Mein stärkstes Instrument ist unsere Gemeindewebsite. Dort habe ich eine eigene Abteilung "EU-Information". Jeder Bürger sieht dort gleich Klartext. Heutzutage sind alle mit Smartphones ausgestattet, insb. die Jungen. Bei jeder Diskussion sage ich: " Du hast doch dein Spielzeug dabei, schau mal auf unserer Gemeindeseite nach." Dort liest er dann Außenministerium, EU-Information, und alle sind davon beeindruckt, weil es ja vom Ministerium kommt. Ich kann nur jedem empfehlen, es auch so zu machen.
Aber Diskussionen scheitern oft am geringen Allgemeinwissen. Und eine Diskussion über die Gesetzwerdung von EU-Richtlinien in österreichisches Recht, Subsidiaritätsprinzip usw. scheitert schon alleine am Wort "Subsidiarität". Gibt es nicht ein gescheites deutsches Wort dafür, das man der Bevölkerung nach dem dritten Krügerl Bier auch noch sagen kann?
Es gibt zwei große Probleme: Das eine ist das tägliche EU-Bashing. Die Kronen-Zeitung liegt um 6:00 Uhr in der Früh im Postfach und die Bevölkerung weiß schon bevor sie in die Arbeit geht, was alles schief gegangen ist. Das ist einmal Fakt. Die Gegenstrategie, die von den offiziellen gefahren wird, ist eine sehr seriöse Information in dicken Broschüren zu den diversen Regulierungen.
Obermayr: Sobald das Wort Regulierung kommt, auch wenn es vernünftig ist, sträuben sich die Leute. Teilweise ist es ja nachzuvollziehen. Vielleicht haben wir alle generell zu viel an Regulierung in unserem Leben. Das ist eine philosophische Frage. Wenn man den Leuten erklärt, warum und welche langfristigen Auswirkungen es hat, findet man einen Zugang. Du machst auch Stammtische. Das ist eine tolle Sache.
Eder: Ja, mit einer hervorragenden Unterstützung von der Kommission und vom Parlament. Ich setze mich in einem Gasthaus bei uns zusammen mit 15 - 20 Leuten und es kommt irgendein Kapazunder, das ist wichtig. Die Leute sehen, dass es da wen gibt, den man fragen kann, der mit einem redet - z.B. war Rainer Gmälich da, sehr kompetent, oder Dirk Fassbänder und Thomas Weber, usw. Und dann passiert was ganz interessantes. Die Leute legen die Kronenzeitung weg - die ist ihnen dann ganz egal, denn auf einmal sind sie so wichtig, dass jemand von der Kommission, vom Parlament zu ihnen kommt - und da kann man richtig sehen, wie die Stimmung kippt.
public: Was uns in Österreich ein wenig fehlt ist eine echte Streitkultur. Debatte und Auseinandersetzung sind etwas Positives. Nur wenn man verschiedene Meinungen abwägt, können neue Aspekte hervorkommen, an die man vorher nicht gedacht hat. Wie sehen Sie das Frau Rukschcio-Wilhelm?
Rukschcio-Wilhelm: Der natürliche Bezug zur EU fehlt uns noch. Niemand würde den Staat Österreich in Frage stellen oder das eigene Bundesland. Nicht selten wird die EU an sich in Frage gestellt. Ich bin entweder dafür oder dagegen und dazwischen gibt es oftmals nichts. Es passt nicht alles, das stimmt, aber darüber muss man diskutieren und die EU dann verbessern.
Soudek: Im privaten Umfeld ist auch nicht immer alles in Ordnung. Oder wenn ich weiter in die Gemeindepolitik schau oder in den Bund und dementsprechend auch in der EU. Ich habe hier kein Konstrukt, wo alles tipp topp läuft. Und wenn man das so erklärt, stimmen die Leute dem zu. Dessen muss man sich bewusst sein.
Eder: Ich sehe ein paar Problemfelder. Das ist z.B. die sinkende Allgemeinbildung. Um eine sinnvolle Diskussion führen zu können, muss ich einen gewissen Grundwissensschatz haben. Ich muss nicht der Experte sein, aber ich muss in der Lage sein, dass ich das, was ich versuche zu argumentieren, auch weiß. Die Leute kennen nicht mal die Institutionen. Es weiß doch keiner, was der Ministerrat ist.
Nückel: Natürlich ist es hart, wenn man sagt, die Bevölkerung hat so wenig Allgemeinwissen. Aber die Jungen haben ein enormes Wissen, nur es betrifft andere Bereiche. Ich merke das vor allem im Internet. Das worüber die Leute reden oder was sie sich gut merken muss z.B. lustig sein oder - Stichwort "Gamification" - es muss spielerisch erklärt werden. Dann verstehen es die Leute auch. Wenn man das Thema in diese Sprache übersetzen könnte, wäre es ein guter Erklärungsansatz. Infografiken sind z.B. toll, auch fürs Internet. Man postet das und jeder kapiert es. Wenn ich etwas erklären möchte, mach ich mir auch immer eine Skizze, aber da sitzt du. Es ist extrem zeitaufwändig.
Rukschcio-Wilhelm: Infografiken und Erklärungen rund um die EU, den Gesetzgebungsprozess usw. gibt es. Das Europäische Parlament setzt auch sehr stark auf die Social Media Kanäle.
Nückel: Ja auf der Website, gibt es viele Infografiken, teilweise muss man sie wirklich nur noch verteilen. Wenn man sich für ein Thema interessiert, dann will man auch recherchieren. Und es gibt alles. Wüsten an Texten. Man findet alles auf der EU-Website, aber da sitzt man oft Stunden und dann ist es oft nur auf Englisch. Und es ist oft auch verdammt komplex.
Zwei Sachen sind es, die mich besonders stören. Wir sollen den Leuten erklären, was sie alles von der EU haben: 94% vom Budget geht wieder zurück in die Länder und die EU ist total schlank, was die Verwaltung betrifft, und Österreich hat viele Millionen an Förderungen bekommen. Nur wir hebeln damit das Grundprinzip der EU aus. Und die Probleme in der EU haben wir ja, weil man die nationalen Interessen darüber stellt. Es geht aber auch um Solidarität. Das ganze Konzept der EU funktioniert nicht, wenn jedes Land glaubt, es müsse möglichst viel für sich selbst rausschlagen. Und deswegen steht es auch teilweise so, wegen dem Rat, wo nur die nationalen Interessen zum Tragen kommen, insb. der Länder, die viel zum Sagen haben. Und deswegen gehen die ganzen guten Initiativen, die die Kommission ausgearbeitet hat, flöten. Es sind wirklich gute Sachen dabei. Nur wird dann immer wieder blockiert und wenn man die Schiene fährt "Du kriegst eh auch wieder was raus", hebelt man im Prinzip aus, worum es bei der EU eigentlich geht.
Der zweiten Punkt: Viele der Argumente für die EU gehen nur, wenn man über die EU hinausschaut und sich den ganzen Globus anschaut. Du kannst nicht sagen, wir können alles alleine, wir brauchen die EU nicht. Na alleine können wir heute gar nichts mehr. Alle unsere Probleme, das sind globale Themen. Und wenn man sich die anderen Länder und Kontinente ansieht, dann ist Österreich eben verdammt klein. Und wenn man diesen Zusammenhang bekommt, dass die Probleme nicht nur für uns und unsere Kinder anstehen, und von Österreich alleine auch nicht bewältigt werden können. Das sind für mich persönlich die stärksten und wichtigsten Argumente.
Obermayr: Das haben wir mit unserer Europa-Kampagne im letzten Jahr versucht grafisch so darzustellen: China, die USA, die EU und Österreich mit Blöcken im Vergleich. Einfach nur zu zeigen wie die Welt ist, in der wir leben, ohne es groß zu erklären. Die Welt ist globalisiert in großen Blöcken. Solche Sachen zu zeigen und eine Auseinandersetzung damit anzuregen, war schon ein wichtiger Beitrag.
Rukschcio-Wilhelm: Das Gegenargument, das ich in diesem Zusammenhang schon oft gehört habe ist: "Was habe ich persönlich davon? Habe ich deswegen einen Arbeitsplatz?" Dieses Runterbrechen auf den Einzelnen ist eine kommunikative Kunst, denn die Globalisierung hört sich in der Theorie gut an, ist aber in der Praxis schwer fassbar. Und in der Gemeinde ist man dort, wo es die Menschen unmittelbar betrifft. Jeder ist davon betroffen, wie er beispielsweise seine Gartenhütte bauen darf.
Payr: Das geht nur in persönlichen Gesprächen. Wenn ich denen mit einer Website kommen würde ... Bei mir geht das sicher nicht.
Rukschcio-Wilhelm: Das Europäische Parlament setzt wie erwähnt sehr stark auf Social Media Kanäle. Es ist auf Facebook die zweitgrößte politische Institution nach dem Weißen Haus mit mittlerweile über einer Million Fans. Der Dialog ist intensiv, sei es jetzt über Facebook, Twitter und andere Kanäle. Wir publizieren auf diesen Kanälen auch die erwähnten Infografiken, die sehr gut angenommen werden. Jede Plenarsitzung, jede Ausschuss-Sitzung wird im Web gestreamt. Man kann in seiner eignen Muttersprache zuhören, alles wird ja gedolmetscht. Die Informationen sind da, das Problem ist oftmals der Zugang. Der beste Zugang ist für mich immer noch das persönliche Gespräch. Ich kann natürlich nicht mit allen 8 Mio. Österreicherinnen und Österreichern direkt reden. Und nicht nur die Abgeordneten, sondern auch die Mitarbeiter der Europäischen Institutionen, stehen zur Verfügung für Vorträge, für Diskussionen, usw. Wir sind viel unterwegs, nur ganz alleine können wir es auch nicht schaffen. Deswegen sind EU-Gemeinderäte so wichtig, weil sie vor Ort der erste Ansprechpartner für die Bevölkerung sind.
Obermayr: Es ist auch schön zu sehen, dass immer mehr Aktionen von den Gemeinderäten kommen. Besonders jetzt im Vorfeld der EP-Wahlen sind viele Aktionen und Veranstaltungen in den Gemeinden, Mailings, Diskussionsrunden. Es sind jetzt schon 640 Mitglieder in der Initiative und ich bekomme laufend neue Anmeldungen. Es spricht sich auch immer mehr unter den Gemeinderäten herum, dass man in der Gemeinde etwas mehr machen kann, nicht muss, aber kann. Und im jetzigen Regierungsprogramm steht als eines der Ziele, dass jede Gemeinde nach Möglichkeit einen Europa-Gemeinderat haben soll. Es ist also auch der politische Wille da.
Eder: Das war in meiner Gemeinde recht schwierig. Meine eigenen Fraktionskollegen sagen: "Geh, hör auf mit dem Blödsinn, du vergrämst uns nur die Leut. Hast nicht was anderes zu reden. Wir haben doch dieses oder jenes Thema." So läuft es wirklich. Als EU-Gemeinderat bist du ein skurriler Typ. Ich mache alles ehrenamtlich. Ich habe auch eine Kooperation mit der WKÖ mit dem EU-Schirm. Bei jeder größeren Veranstaltung im Ort habe ich den Schirm von der WKÖ. Die sind sicher 4-5 Mal im Jahr da und das kommt sehr gut an.
Soudek: Ich habe zum Glück, obwohl ich Oppositions-Gemeindemandatar bin, trotzdem einen Rückhalt vom Bürgermeister, was die EU-Themen betrifft. Aber ich war auch NR-Kandidat. Was mir sehr stark aufgefallen ist, ist dass die EU möglichst viel rausgehalten worden ist. Insbesondere die Regierungsparteien haben möglichst versucht das Thema EU nicht anzusprechen, weil du mit so einem heiklen Thema keine Stimmen gewinnst. Das finde ich schade. Für mich sind das halbe Lippenbekenntnisse. Einerseits ist man interessiert mehr Europa-Gemeinderäte zu haben. Das ist schön und gut und auch wichtig. Aber auf der anderen Seite distanziert man sich. Ja nicht zu viel am Thema anstreifen. Und genau da liegt der Fehler. Wenn ich das schon in der Innenpolitik entsprechend unangenehm sehe und transportiere, dann die Boulevardmedien, die das so noch unterstützen - es ist nur noch ein Scherbenzusammenkehren und immer wieder gut machen, was hier im Prinzip verabsäumt oder verfehlt wird.
Obermayr: Ich glaube doch, dass wir über die letzten Jahre versucht haben intensiv Europa zu erklären, auf allen Ebenen.
Rukschcio-Wilhelm: Europa wird ja thematisch gerne in eine Ecke verräumt, sei es in ein eigenes Ressort, in einen eigenen Ausschuss oder in eine eigene Rubrik in der Zeitung. Europa ist aber eine Querschnittsmaterie. Es betrifft so viele Lebensbereiche, sei es Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik, Regionalpolitik usw. Würden wir das Thema mit den einzelnen Lebensbereichen besser verknüpfen, würde es auch verständlicher werden. Wir drehen uns im Kreis und bleiben immer bei der gleichen Diskussion: Wollen wir Europa oder wollen wir Europa nicht? Es wäre mir persönlich ein Anliegen, dass man das Thema Europa ein stärker verschränkt mit den einzelnen Sachbereichen.
Obermayr: Im letzten Wahlkampf sah man schon auch, dass Europa berührt, positiv oder negativ, wie jetzt auch im Europawahlkampf, und ich glaube, dass ist auch eine Chance für Sachthemen. Die werden kommen. Ich glaube, dass die Kandidaten es ganz gut schaffen die Themen anzusprechen, auch über die Medien. Fürs Außenministerium ist natürlich wichtig die Wahlbeteiligung zu heben.
Eder: Für mein Befinden ist die Bierdeckelaktion zu Europa (Anm.: Zahlen und Fakten zur EU) extrem erfolgreich. Wir sind mit Leuten beim Wirt gesessen und redeten über Arbeitslose und da lag der Bierdeckel unterm Glas. Und ich sagte. "So und jetzt hebst du deinen Bierdeckel auf und liest, was da steht. Was, das stimmt ja nicht? Na klar stimmt das!" Da erreichst du das Publikum in einer prägnanten Form.
Obermayr: Das ist auch unsere Erfahrung. Wir bekommen auch laufend Anfragen von verschiedenen Veranstaltern. Es kommt wirklich gut an.
Das wichtigste ist, dass die Leute mal wissen, dass es überhaupt eine Europawahl gibt. Das Datum ist schon ein großes Thema. In meinem Bekanntenkreis wissen die wenigsten, wann die Wahl überhaupt ist.
Soudek: Die Broschüren sind ja wirklich alle interessant, aber es geht schon darum dass ich manche Dinge einfacher und verständlicher mache. Das direkte Gespräch ist wichtig, aber es ist schon immer gut wenn ich etwas zur Unterstützung habe. Und wenn ich jetzt in ein Gasthaus gehe, in ein Restaurant, dann kann ich nicht mit komplexen Regulierungen kommen. Ich brauche ein Muster in einfacher Sprache.
Obermayr: Aber die Bevölkerung unterfordern brauchen wir auch nicht. Wenn man beispielsweise eine Gemeindezeitung liest, sind da ja auch relativ komplexe Themen drinnen. Das dürfen wir auch nicht vergessen. Jetzt müssen wir alles runterbrechen, nur mit Schlagwörtern versehen, usw. Man darf die Leute auch nicht für dumm verkaufen. Ganz im Gegenteil sie sind durchaus fähig Zusammenhänge zu sehen. Z.B. geht es im Gemeindeblatt auch um Ausschreibungen und andere Sachen, die gelesen werden, weil es die Leute unmittelbar betrifft. Da können ruhig Fremdwörter drin sein, die lass ich mir halt dann erklären. Aber es interessiert mich, weil es mich unmittelbar betrifft. Die Zeit muss einfach kommen, wo einen Europa auch betrifft. Und es ist ja auch eine gewisse Holschuld, nicht nur eine Bringschuld, dass muss man schon sagen. Man muss den Leuten nicht alles fertig servieren, die müssen sich auch selbst informieren.
Nückel: Es wird ja von der Politikverdrossenheit geredet, oder vielmehr ist es eine Politikerverdrossenheit. Im Moment glaube ich, dass die Leute sagen: Politik ist nicht etwas was man einfach so passieren lassen kann. Man muss sich schon einbringen und aktiv sein. Wenn das mal da ist, dass Demokratie nicht etwas ist, das bis in alle Ewigkeit da ist, weil es einfach jemand mal erkämpft hat und nun lehne ich mich zurück und ich habe damit nichts zu tun. Die Unzufriedenheit bringt die Leute dazu sich insgesamt mehr mit Politik auseinanderzusetzen. Und jeder der eine Petition unterschreibt, der wird auch eher zur Wahl gehen. Denn welche Mittel stehen mir als Bürgerin oder Bürger zur Verfügung?
Rukschcio-Wilhelm: Erst gestern habe ich im Standard gelesen, dass 41% der 16-17-Jährigen sowie 32% der 18-21-Jährigen angeben niemals mit ihren Freunden über Politik zu diskutieren. Das finde ich schon einen erschreckend hohen Wert. Ich kann natürlich nicht von mir ausgehen. Ich bin politikinteressiert und spreche nicht nur berufsbedingt, sondern auch mit Familie und Freunden über Politik, aber dass wirklich zwei Fünftel der jungen Menschen gar nicht mal interessiert - egal ob man positiv oder negativ darüber denkt -, was politisch im Land oder in Europa passiert, erstaunt mich schon.
Eder: Die Denkzettelwahl ist das größte Problem. Spindelegger und Faymann haben keine Ahnung, was sie bei uns am Land verbrechen. Das kann sich hier in der Zentrale in Wien anscheinend keiner vorstellen. Die Leute überlegen gerade wie sie den beiden ans Bein pinkeln können.
Soudek: Es ist natürlich die Politikerverdrossenheit, die hier bei der EU-Wahl sicher die Stimmung dementsprechend widerspiegeln wird.
Eder: Das hat mit der EU nichts zu tun und da kann ich mit EU-Argumenten auch nichts dagegen ausrichten. Mein Wissensstand ist, dass die Jungen, die bei uns zur Wahl gehen, zu 90% FPÖ wählen. Die machen sich daraus einen Spaß.
Payr: Ich bin ein Praktiker. Ich gehe raus und rede mit den Leuten. Ich kann nur in meiner Gemeinde etwas verändern und sonst nirgends und das weiß ich. Wir haben in Langschlag eine Europaveranstaltung am 25.-27. April, den Eurojack. Da sind die besten Holzhacker Europas da. Es gibt einen in Österreich, in Deutschland, in der Schweiz, in Frankreich und in Tschechien, wo der Europameister gekürt wird. Wir sind eine Marktgemeinde mit 1.800 Einwohnern und in der Zeit bewegen sich 5.000 Leute bei uns - das ist eine große Veranstaltung und recht spektakulär. Die Teilnehmer klettern in Sekundenschnelle auf 10-m-hohe Bäume, machen mit der Motorsäge diverse Stunts, usw. Unsere EU-Abgeordnete Karin Kadenbach kommt und wird auch mit den Leuten diskutieren. Sie ist fachlich sehr gut und wird bei den Leuten bestimmt gut ankommen.
Soudek: Ich hatte letztes Jahr eine Veranstaltung mit Othmar Karas und Karin Kadenbach. Ich habe auch Frau Lunacek eingeladen, aber das ist sich dann nicht ausgegangen. Aber ich habe bewusst nicht nur eine Fraktion genommen, weil dann wieder dieser parteipolitische Beigeschmack dazukommt und das versuche ich bewusst zu vermeiden, Europa parteipolitisch zu präsentieren, denn dann erreicht man nur einen sehr kleinen Kreis. So ist Europa im Fokus und man spricht die breite Masse an.
Rukschcio-Wilhelm: Ich finde es toll, dass Sie die Abgeordneten zu sich in die Gemeinde einladen. Die Abgeordneten kommen auch erfahrungsgemäß sehr gerne diesen Einladungen nach, sofern es ihr Terminkalender zulässt, und diskutieren dann oftmals stundenlang mit den Bürgerinnen und Bürgern. Eine andere Möglichkeit wäre zu den Abgeordneten zu kommen, nämlich ins Europäische Parlament nach Brüssel oder nach Straßburg. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass alle Besucher die dort waren, begeistert heimfahren. Dieses Angebot nehmen viele Besucher auch gerne wahr. Ein zweiter Punkt, der mir noch ganz wichtig ist zum Thema politische Bildung. Meiner Meinung nach hängt derzeit noch viel vom persönlichen Engagement der Lehrer in den Schulen ab. Wenn einem Lehrer Europa ein Anliegen ist, dann macht er oder sie etwas, zum Beispiel ein EU-Projekt oder eine Klassenfahrt nach Brüssel oder Straßburg. Man könnte ja auch einmal darüber nachdenken, nicht nur EU-Gemeinderäte, sondern auch einen EU-Lehrer pro Schule zu haben und Europa damit zu einem wahren Querschnittsthema zu machen.