BILDNACHWEIS: EUROPEAN UNION 2014 - EP
Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon haben Bürgern in der EU die Möglichkeit über eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) in einen Dialog miteinander und den EU-Institutionen zu treten. Von Agnes Kern
Seit April 2012 bietet die Europäische Bürgerinitiative (EBI) EU-Bürgern ein Instrument, sich abseits von Wahlen und Parteien auf EU-Ebene politisch zu engagieren. Und sie wird rege nachgefragt. Seither haben mehr als fünf Millionen Bürger über 20 Initiativen unterzeichnet. Die Anforderungen sind hoch: Um die Europäische Kommission zum Handeln in einem bestimmten Bereich aufzufordern, bedarf es einer Million Menschen aus mindestens sieben Mitgliedstaaten, in denen eine erhebliche Mindestzahl von Unterschriften gesammelt werden muss. Diese Mindestzahlen entsprechen der Anzahl der im jeweiligen Mitgliedstaat gewählten Mitglieder des Europäischen Parlaments multipliziert mit 750. Hinzu kommt dass die Organisatoren unterschiedliche einzelstaatliche Verfahren für die Registrierung und Verifizierung von Unterschriften beachten müssen. Beispielsweise verlangen von 28 Mitgliedstaaten 19 die persönliche Identifikationsnummer im Personalausweis oder Reisepass, neun verzichten darauf. Aufgrund dieser 28 verschiedenen Umsetzungsverordnungen kann es zu Widersprüchlichkeiten kommen, die es manchen Bürgern sogar unmöglich machen können, an einer EBI teilzunehmen. So fordert Österreich eine Passnummer, während man in Großbritannien seinen Hauptwohnsitz haben muss. Eine Evaluierung des Instruments ist für 2015 geplant. Eine Harmonisierung der Standards ist angesichts der Erfahrungen der letzten Monate dringend notwendig.
Trotzdem ist sie ein wichtiges Instrument der Mitbestimmung. Mithilfe der EBI können Bürger nicht nur die Kommission, sondern auch die Medien und die Öffentlichkeit auf eine bestimmte Fragestellung aufmerksam machen und eine europaweite Diskussion darüber anregen. Sie gibt Bürgern aber kein Vorschlagsrecht für Gesetzgebungen, da das Ergebnis einer EBI für die Kommission nicht bindend ist. Selbst wenn eine EBI die erforderliche Anzahl von Unterschriften sammelt und alle Voraussetzungen erfüllt, kann die Kommission immer noch die Ablehnung der Initiative entscheiden.
Die erste erfolgreiche europäische Bürgerinitiative ist "Right2Water". In Österreich lief die EBI unter dem Titel "Wasser ist ein Menschenrecht". Mit fast 1,9 Millionen Unterschriften lag sie weit über dem rechtlich vorgeschriebenen Minimum und erreichte die Mindestzahl in 13 Mitgliedstaaten. Die Kampagne wurde sowohl im Internet als auch direkt auf der Straße durchgeführt.
Ihr Anliegen ist EU-Bürgern das Recht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung zu sichern und die Wasserwirtschaft nicht liberalen EU-Binnenmarktregeln zu unterwerfen. "Wasser ist ein Menschenrecht" entstand auf Initiative des Europäischen Gewerkschaftsverbandes des Öffentlichen Dienstes und im Zusammenhang mit den diskutierten Privatisierungsbestrebungen von Wasserdienstleistungen vor allem in europäischen Krisenstaaten wie Griechenland und Portugal. Ihr Erfolg basiert unter anderem auch darauf, dass sie auf ein großes Netzwerk zurückgreifen konnte, da sie maßgeblich von Europäischen Gewerkschaftsverbänden organisiert wurde. "Zudem betrifft das Thema viele und wurde im Sammelzeitraum wegen einer EU-Richtlinie von der Presse aufgenommen", erklärt Thomas Kattnig. Der leitende Mitarbeiter der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten hat die Initiative in Österreich mitorganisiert.
In Österreich konnten 57.643 vom Innenministerium zertifizierte Unterschriften gesammelt werden. "Gäbe es nicht die Ausweispflicht, wären wir sicher auf über eine Million Unterschriften allein in Österreich gekommen," so Kattnig.
Dank der Initiative ist es jedenfalls gelungen, den Bereich Wasser aus der Konzessions-Richtlinie auszunehmen und eine umfassende Ausschreibverpflichtung bei der Vergabe von Konzessionen für Dienstleistungen der kommunalen Grundversorgung zu verhindern. "Die Ausnahme des Wassersektors aus der Konzessionsrichtlinie, die Respektierung des Prinzips der Selbstverwaltung von nationalen, regionalen und lokalen Behörden sowie die Gewährleistung der interkommunalen Zusammenarbeit und die Ausnahmen für Stadtwerke und Mehrspartenunternehmen entschärfen die Richtlinie entsprechend unseren Forderungen. Eine Umgehung von sozialen Standards und Umweltkriterien bei der Vergabe von Konzessionen ist nicht mehr möglich", argumentiert Kattnig.
Durch die Einengung der Handlungsspielräume der Kommunen wäre eine Privatisierung durch die Hintertür möglich geworden. Unter dem Eindruck des massiven Widerstandes hatte der zuständige EU-Kommissar Michel Barnier bereits letzten Sommer den Richtungsschwenk der Kommission in Brüssel bekannt gegeben.
Im Februar fand schließlich die erste offizielle Anhörung zu einer EBI im Europaparlament in Brüssel statt. Die Fordrungen wurden von der Mehrzahl der Parlamentarier positiv aufgenommen. "Das Europaparlament hat einmal mehr bewiesen, dass es durchaus im Stande ist die Interessen der EU-Bürgerinnen und Bürger zu vertreten", stellte Kattnig zufrieden fest.
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Das Thema ist jedoch noch nicht gegessen. Ende März gab die EU-Kommission ihre Stellungnahme zur EBI ab. Vizepräsident Maroš Šefčovič sagte: "Die Bürgerinnen und Bürger Europas haben ihr Anliegen vorgebracht, und die Kommission hat (heute) positiv darauf reagiert. Als direktes Ergebnis dieses ersten gesamteuropäischen, bürgergesteuerten Demokratieprozesses kommen verbesserte Wasserqualität, Infrastruktur, Abwasserentsorgung und Transparenz allen Menschen - in Europa und in den Entwicklungsländern - zugute. Ich beglückwünsche die Organisatoren zu ihrem Erfolg."
Die Kommission ist der Auffassung, dass die Entscheidung über die optimale Verwaltung von Wasserdienstleistungen fest in den Händen der Behörden in den Mitgliedstaaten liegt. Sie will auch künftig die AEUV-Bestimmungen beachten, nach denen die EU zu Neutralität gegenüber den nationalen Entscheidungen über die Eigentumsordnung für Wasserversorgungsunternehmen verpflichtet ist. Auch bei internationalen Handelsverhandlungen wird die Kommission weiterhin sicherstellen, dass die auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene getroffenen Entscheidungen über die Verwaltung von Wasserdienstleistungen respektiert und gesichert werden. Die einzigartige Bedeutung der Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungs-dienstleistungen für die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse der Bevölkerung wird durchgehend im EU-Recht anerkannt, so die Kommission.
"Von der sind wir enttäuscht", sagt Kattnig. "Sie hat erklärt, sie hätte hier keine Gesetzgebungskompetenz, was nicht stimmt." Kattnig kritisiert vor allem, dass sich die EU-Kommission auf den Standpunkt versteift, dass sie kein Recht zum Handeln habe, da dieses Recht den einzelnen Mitgliedsstaaten vorbehalten wäre. Tatsächlich könnte sie aber sehr wohl den Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung ganz leicht aus dem Wettbewerbs- und Binnenmarktrecht herausnehmen. Das gleiche gelte für internationale Handelsabkommen. Kattnig: "Das ist so kurz vor der EU-Wahl im Mai kein positives Signal an die BürgerInnen." Er und seine Mitstreiter wollen sich damit nicht zufriedengeben und fordern eine Reform der Bürgerinitiative, damit sich der Rat der EU und das Parlament ab einem gewissen Unterstützungsniveau unabhängig von der Kommission mit solchen Forderungen beschäftigen müssen. "Mit ihrer Stimme haben außerdem erstmals Millionen EU-Bürger und -Bürgerinnen das noch neue Instrument des länderübergreifenden Bürgerbegehrens genutzt. Wenn die EU-Kommission ihren Bürgern und Bürgerinnen wieder näher kommen will, tut sie gut daran, auf dieses Bürgerbegehren zu hören", so AK-Umweltexperte Lukas Strahlhofer. Zudem wurden vor der EU-Wahl Spitzenkandidaten gefragt, wie sie zum "Recht auf Wasser" stehen. "Fast alle wollen sich für eine EU-Gesetzesinitiative im Sinne unseres Wasseranliegens nach der Wahl einsetzen", sagt Kattnig. "An das Versprechen werden wir sie nach der Wahl erinnern."
Linksammlung:
Voraussetzungen für die Unterstützung einer Europäischen Bürgerinitiative