Heider, Reifinger, Rosner-Scheibengraf, Enzeslberger, Ritzberger-Moser, Wittig - Bildnachweis: Husar
Bei der gut besuchten Auftaktveranstaltung des Sozialministeriums zur gleichnamigen EU-Kampagne am 5. Juni im Haus der Musik herrschte einhelliger Tenor: Betrieblicher Arbeitsschutz hilft psychische Belastungen zu vermeiden und verbessert neben der Gesundheit auch die gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung. Darum riefen die anwesenden Vertreter der Sozialpartner zur regen Teilnahme am Programm "Gesunde Arbeitsplätze" und zum EU-weiten Wettbewerb auf.
"Gesunde Arbeitsplätze - den Stress managen", so der Titel der Wiener Auftaktveranstaltung zur gleichlautenden EU-weiten Kampagne. Das österreichische Sozialministerium lud aus diesem Anlass Hauptakteure zum Kompetenzaustausch ins Haus der Musik ein, mehr als 100 Teilnehmer folgten der Einladung.
Die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts stellt neue Anforderungen an Mitarbeiter und Führungskräfte, immer öfter jedoch führen Termin- und Leistungsdruck, Informationsüberflutung und jederzeitige Erreichbarkeit zu Krankheiten an Körper und Psyche. Innerhalb Europas gilt Stress heute als das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem. Die aktuelle EU-Kampagne zum Thema Arbeitsschutz stellt sich daher der weltweit zunehmenden Problematik stressbedingter, psychischer Erkrankungen, welche nicht selten überdurchschnittlich lange Krankenstände und Invaliditätspensionen nach sich ziehen.
Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU- OSHA) mit Sitz in Bilbao macht aus diesem Grund psychische Belastungen am Arbeitsplatz zum Thema ihrer aktuellen zweijährigen Kampagne, an welcher sämtliche 28 EU Mitgliedsstaaten sowie alle EFTA-, Beitritts- und Kandidatenländer beteiligt sind. Ziel der Kampagne ist es, Betriebe und deren Mitarbeiter über die Gefahren und Auswirkungen von anhaltendem Stress am Arbeitsplatz sowie über wirkungsvolle und einfache Strategien zur Bekämpfung und Vermeidung zu informieren.
Bei der Wiener Auftaktveranstaltung sprachen Fachleute im Rahmen von Vorträgen, Podiumsdiskussion und Round Table über unterschiedliche Aspekte psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz; Erfolgsbeispiele aus österreichischen Unternehmen und Organisationen veranschaulichten das hohe Potential entsprechender Verbesserungsmaßnahmen. Österreich kommt in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle zu: Die Novelle des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes vom 1. Jänner 2013 regelt klar, dass auch Gefahren durch arbeitsbedingte psychische Belastungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen, ermittelt und beurteilt werden müssen. Erforderliche Maßnahmen zu Vermeidung und Reduktion dieser Gefahren sind in der Folge ebenso vorgeschrieben.
Präsentation Martina Häckel-Bucher, Zentral-Arbeitsinspektorat
Präsentation Eckhard Metze, Leiter des Arbeitgeberbüros
Gute Evaluierung verspricht Erfolg
Sämtliche Vortragenden und Diskutanten waren sich einig, dass eine gute Arbeitsplatzevaluierung sowohl für ArbeitnehmerInnen als auch ArbeitgeberInnen von großem Vorteil ist. Dies wurde auch eindrucksvoll anhand der dargelegten Best- Practice-Beispiele zum Ausdruck gebracht. So berichtete Karin Prethaler, Geschäftsführerin der Lebenshilfe Bruck/Mur, über ihre sehr positiven Erfahrungen im Zusammenhang mit der eben durchgeführten Arbeitsplatzevaluierung und resümierte: "Man erfährt dadurch auch in großen Betrieben, wo an der Basis der Schuh drückt. Dadurch wird sich einiges zum Guten wenden." Seitens der Lebenshilfe wurden die BelegschaftsvertreterInnen aktiv eingebunden und mittels ausführlicher Mitarbeiter-Information die Belegschaft zur aktiven Teilnahme motiviert. In Folge des betrieblichen Prozesses konnte eine Neustrukturierung im Sinne der Mitarbeitergesundheit eingeleitet werden.
Ein weiteres Erfolgsbeispiel brachte die XYLEM Manufacturing Austria GmbH in die Diskussion ein: Der Produktionsbetrieb für Industrie- und Großpumpen verfügt über mehr als 100 Jahre Firmentradition und beschäftigt aktuell rund 270 Mitarbeiter. Geschäftsführer Ing. Peter Steinbach betonte den hohen Wert der Mitarbeiter-Information, ganz besonders zu Beginn des Projekts: "Wichtig war in der Kommunikation vor allem das Faktum, das der Arbeitsplatz bzw. der Arbeitsfluss untersucht werden und nicht die Mitarbeiter." Seitens des Betriebsrats konnten letzte Bedenken einzelner Mitarbeiter auch im persönlichen Gespräch ausgeräumt werden. Steinbach wies weiters darauf hin, dass sich die Kosten für die arbeitspsychologische Expertise bereits rechnen, wenn nur ein einziger innerbetrieblicher Burnout-Fall dadurch vermieden werden kann. Dabei sind häufig Details bedeutend: "Oft sind es die Kleinigkeiten, die jeden Tag auf uns einprasseln und eigentlich leicht zu ändern sind, die einen wesentlichen Ausschlag geben", so Steinbach.
Stressprävention sichert Wertschöpfung
Am "runden Tisch" trafen sich schließlich die VertreterInnen der Sozialpartner Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB), Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und Bundesarbeitskammer (BAK) sowie der Industriellenvereinigung, der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) und des Sozialministeriums. Diskutiert wurde die Bedeutung des Themas "Stress managen", wobei bereits zu Beginn des Round Table durch Dr. Ingrid Reifinger, ÖGB-Fachexpertin für ArbeitnehmerInnenschutz, darauf hingewiesen wurde, dass durch die verpflichtende Evaluierung auch ein entscheidender Schritt zur Enttabuisierung des Themas gesetzt wurde.
Mag. Pia-Maria Rosner-Scheibengraf, WKO-Referentin der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit, wies auf den steten Anstieg psychischer Belastungen in den letzten Jahren hin und betonte, das Gleichgewicht in der beruflichen Situation müsse wieder hergestellt werden. Stressauslöser am Arbeitsplatz seien oftmals auch Faktoren, die im Interesse des Unternehmens und der Beschäftigten leicht behoben werden können. "So sind 85 Prozent der Maßnahmen, die im Zuge von Stressprojekten und Evaluierungen identifiziert wurden, mit keinen Investitionskosten verbunden," berichtet Rosner-Scheibengraf und unterstreicht: "Kleine Maßnahmen können aber große Wirkung haben."
Dr. Julia Enzelsberger, seitens der Industriellenvereinigung im Bereich Arbeit und Soziales als Expertin für Arbeitsrecht tätig, hob hervor, dass nur gesunde MitarbeiterInnen auch motivierte MitarbeiterInnen sein können und dadurch ihre ganze Innovationskraft in das Unternehmen einbringen. "Der Mensch ist ein ganzheitliches Wesen", so Enzelsberger, und verwies damit auch auf die gesellschaftliche Relevanz des Themas. Daher sollte man bei diesbezüglichen Betrachtungen nicht allein den Arbeitsplatz beachten, sondern vielmehr eine breitere Sichtweise anstreben. "Der Mensch besteht nicht nur aus Arbeit allein", sagt Enzelsberger. Aus diesem Grund reiche das Engagement der Unternehmen weit über die Arbeitssphäre hinaus: "Gesundheitsprogramme umfassen häufig präventive Maßnahmen wie Umgang mit Stress, Zeit- und Selbstmanagement, Sensibilisierung von Führungskräften, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie und teils sogar kurative Angebote wie Beratungsangebote von PsychologInnen für Beschäftigte."
DI Klaus Wittig, Stellvertretender Leiter der Präventionsabteilung der AUVA (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt) verwies auf den hohen themenspezifischen Stellenwert der Sozialpartnerschaft. Die AUVA sei darum bemüht, ArbeitgeberInnen bei der Evaluierung der psychischen Belastungen zu unterstützen. Seit längerer Zeit bietet man eine Evaluierungshilfe, die Arbeits-Bewertungs-Skala (ABS). Das Instrument besteht aus einer Broschüre, einem Fragebogen und drei zugehörigen Postern. Zusätzlich gibt es durch die AUVA eine Hilfestellung in Form eines webbasierten, individuellen Fragebogens: www.fragebogen-arbeitsanalyse.at
Alexander Heider, Leiter der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit der Arbeiterkammer Wien, warnte davor, ein Übermaß an Stress zu verleugnen: "Zu viel Stress umzudeuten ist Selbstbetrug und macht krank." Heider zitierte Studienergebnisse, wonach die gesamtwirtschaftlichen Kosten auf Grund psychischer Arbeitsbelastungen mit etwa 1,2% des BIP oder 3,3 Milliarden Euro jährlich anzusetzen sind (arbeitsbedingte Erkrankungen wegen körperlicher Arbeitsbelastungen betragen jährlich rund 2,8 Milliarden Euro).
"Stress und psychische Belastungen am Arbeitsplatz als 'nicht wichtig' abzutun kann teuer kommen", erklärte Dr. Anna Ritzberger-Moser, Leiterin der Sektion Arbeitsrecht und Zentral-Arbeitsinspektorat im Sozialministerium. "Die Verringerung der Produktivität, die Erhöhung der Personalfluktuation, vermehrte Fehlzeiten und erhöhte Unfallgefahr führen auch zu massiven finanziellen Einbußen." Das Arbeitsinspektorat werde seine Kontrollen unvermindert fortsetzen, "aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern vielmehr als Partner, der kompetente Beratung anbietet".
Aufruf an Unternehmen: Mitmachen und gewinnen!
Der einhelliger Tenor der anwesenden Fachleute lautete: Bereits die Vermeidung eines einzigen Langzeitkrankenstands lohnt die Evaluierung für den jeweiligen Betrieb. So zeigt auch eine aktuelle Studie der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung, an der sich Unternehmen aus 19 Ländern - darunter auch Österreich - beteiligten, dass jeder Euro, der für Prävention ausgegeben wird, mehr als das Doppelte an Einsparungen mit sich bringt. Ritzberger-Moser richtete daher einen eindringlichen Appell an Österreichs Unternehmen, bei den Evaluierungen tatkräftig und zahlreich mitzuwirken. Viele positive Beispiele belegen bereits jetzt das hohe Erfolgspotential der Maßnahmen, so die Sektionschefin: "Viel Gutes ist auf dem Weg und das sollte man auch herzeigen."
Die Kampagne "Gesunde Arbeitsplätze - den Stress managen" läuft über einen Zeitraum von zwei Jahren unter der Beteiligung hunderter Organisationen aus ganz Europa. Sie umfasst Aktivitäten wie Schulungen, Konferenzen und Workshops, Plakat-, Film- und Fotowettbewerbe, Quizspiele, Vorschlagsprogramme, Anzeigen- und Werbekampagnen sowie Pressekonferenzen. Einer der wichtigsten Punkte im Kampagnenkalender ist der Europäische Wettbewerb für gute praktische Lösungen, der seit dem 15. April läuft. Österreichische Unternehmen, unabhängig von ihrer Größe, die Maßnahmen zur Reduzierung und Beseitigung von Stress in ihrem Betrieb erfolgreich einführen, sind zur Teilnahme herzlich eingeladen.