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public wollte wissen, wie man Österreich anderenorts beurteilt und sprach mit Marc Fähndrich, dem Berater für wirtschaftspolitische Koordinierung in der Österreich-Vertretung der EU-Kommission, über Budgetlöcher und Fortschritt. Interview: Agnes Kern
Zum Budget
public: Österreich ist gerade von der Kommission für sein Budget 2015 gerügt worden. Wie sieht es momentan Ihrer Meinung nach in Österreich aus?
Marc Fähndrich: Österreich war eines von fünf Ländern, die gerügt worden sind, neben Frankreich, Italien, Malta und Slowenien. Österreich ist ja dieses Jahr aus der excessive-deficit-Prozedur entlassen worden. Das ist ein Verfahren, das die Europäische Kommission aufrecht erhält, wenn die Staatsverschuldung nicht nachhaltig unter die 3-Prozent-Schwelle geht. Das ist ja die erste Version des Stabilitäts- und Wachstumpaktes, zwei Kennziffern 60% und 3%. Wir haben Österreich lange in dieser Prozedur drin gehalten, weil wir Unsicherheit hatten, was mit der Hypo Alpe Adria passiert, obwohl Österreich schon seit drei Jahren unter der 3-Prozent-Verschuldung bei der Neuverschuldung liegt. Was die Staatsschuld anbelangt, das ist ein wichtiger Parameter in mittelfristiger Hinsicht. In Österreich liegt sie derzeit bei 86,5 Prozent. Sie ist deutlich angestiegen aufgrund von zwei Faktoren. Der eine Faktor ist, dass statistische Revisionen stattgefunden haben, dass die ÖBB und andere staatsnahe Unternehmen dort eingerechnet werden. Der zweite Grund ist dieser Einmaleffekt der Schaffung der Bad Bank, der Abwicklungsgesellschaft für die Hypo Alpe Adria. Deswegen auch ein doch sehr steiler Anstieg bei der Staatsschuld. Um damit beginnen zu können, diese abzubauen, Bedarf es einer dreijährigen Übergangsfrist.
Worauf wir aber dieses Jahr sehr starken Wert gelegt haben, ist dass die Länder ihr sogenanntes mittelfristiges strukturelles Budgetziel erreichen. In österreichischen Medien wird fälschlicherweise immer von Nulldefizit gesprochen, was nicht richtig ist. Null-Defizit in Österreich heißt minus 0,45, das ist der sogenannte österreichische Stabilitätspakt zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Österreich ist nun vom korrektiven Arm in den präventiven Arm gewandert. Wenn man aus dem excessive-deficit-Verfahren entlassen wird und hier heißt das eben, dass ein Land eine Verbesserung in der strukturellen Bilanz um 0,6 Prozentpunkte erzielen sollte. D.h. wir prüfen das sowohl ex ante als auch ex post. Wir hatten schon mal ein Problem mit dem österreichischen Stabilitätsprogramm, das im April übermittelt worden ist. Damals hatte Österreich ein Defizit in 2013 ausgerechnet von 1,1 und hatte dann ein strukturelles Budgetdefizit von 1,2 geplant. Das wäre eine Verschlechterung der strukturellen Bilanz um 0,1 gewesen, die hätten aber 0,5 machen müssen. D.h. hier wird ein Verfahren eröffnet, was im schlimmsten Fall zu Sanktionen führen kann, wenn die Abweichung signifikant ist. Signifikant heißt größer als 0,5. Man hat also gerechnet 1,2 minus 0,5 ist 0,7, ist also signifikant. |
Die länderspezifischen Empfehlungen ...
... werden von der Europäischen Kommission für jedes EU-Land erstellt. Sie stützen sich auf eine Analyse seiner wirtschaftlichen Lage und enthalten maßgeschneiderte politische Ratschläge zu Maßnahmen, die in den nächsten 18 Monaten getroffen werden sollten. Die Empfehlungen sind auf die individuellen Herausforderungen zugeschnitten und decken ein breites Spektrum von Bereichen ab, darunter Staatsfinanzen, Rentenreformen, Schaffung von Arbeitsplätzen und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Bildung und Innovation, Effizienz der öffentlichen Verwaltung, Wettbewerb. Die von der Kommission erarbeiteten Empfehlungen werden auf höchster Ebene von den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat endgültig verabschiedet. Quelle: EU-Kommission |
Daraufhin ist damals Minister Spindelegger am 8. Mai in der Eurogruppe aufgefordert worden, hier ein bisschen nachzubessern. Dann wurde von Österreich grob eine Milliarde angeboten, wovon 630 Millionen anerkannt worden sind. Dann war man in der strukturellen Bilanz bei 1,0, die Abweichung war genau 0,5, aber nicht drüber. Der Stabilitätspakt sagt, wenn es über 0,5 ist, ist es signifikant. Wir haben das erstmal so beruhen lassen. Dieser Sachverhalt war vorher eigentlich schon dem österreichischen Finanzministerium bekannt. Jetzt haben wir eben den neuen Haushaltsentwurf gesehen. Das strukturelle Defizit lag letztes Jahr bei minus 1,3, also höher als man es vorher angenommen hatte. Österreich hat 1,0 angeboten, also eine Verbesserung um 0,3 und eine Verbesserung von 1,0 auch für 2015. Die Hypo fällt dabei gar nicht in das strukturelle Budgetdefizit hinein, das ist ein Einmal-Effekt, den rechnen wir sowieso raus. Wir rechnen auch die Konjunktur raus, kein Land soll dafür bestraft werden, wenn in Japan, Russland, in China, in allen Teilen der Welt Krisen ausbrechen, sondern hier geht es einfach nur darum, alles was ein Land nicht in seinem Einfluss hat rauszurechnen, um diesen Wert zu haben. Natürlich ergeben sich dadurch viele Diskussionen, was ist jetzt eher konjunkturell, was ist strukturell. Das ist die Kernfrage, wenn man diese Zielgröße bestimmt.
Finanzminister Schelling hat dann vor einigen Wochen einen Brief abgeschickt und hat eine Verbesserung des strukturellen Budgetziels von 1,0 auf 0,7 in 2015 angeboten. Dadurch ist die Abweichung jetzt 1,3 auf 1,0 ist 0,3, dann von 1,0 auf 0,7 ist 0,3 - wobei wir nur das rechnen, was sie hätten machen müssen und das ist immer an der Grenze, weil wenn man über zwei Jahre hinweg unter seinem Ziel bleibt, gelten andere Werte. Das sollte dann im Durchschnitt 0,25 sein, aber wir haben da auch eine gewissen Marge, wir sehen jetzt keine signifikanten Probleme und das endgültige Resultat der Prüfung wird spätestens Ende November bekannt gegeben.
Identifikation von Problemfeldern
public: Wo sehen Sie die Hauptgründe dafür, dass sich Österreichs Position hier nicht signifikant verbessert?
Fähndrich: Es wurden zu wenige Strukturreformen durchgeführt. Wichtig in dem Kontext ist ja nicht nur die Budgetseite zu sehen, sondern sich auch die anderen Empfehlungen anzuschauen. Die Empfehlungen spielen in Österreich im Gegensatz zu anderen Ländern eine nicht so bindende Rolle, weil Österreich nicht Bestandteil eines der Länder der makroökonomischen Ungleichgewichteprozedur ist. Wenn ein Land jetzt sehr schwere Ungleichgewichte aufweist, kann das auch im schlimmstenfalls Fall - wenn sich die Politik weigert, diese Ungleichgewichte zu beheben, zu Sanktionen führen.
Allerdings ist Österreich da nicht drin, weil Österreich recht ausbalanciert ist, trotz alledem aber und das zeigt sich dann: Pensionen, das ist rein strukturell, das ist kein Einmal-Effekt, da sollte man mehr machen. Das haben wir auch im Juni gesagt. Die Republik sollte die Angleichung des Pensionsalters von Männern und Frauen vorziehen. Wir sagen auch, dass das effektive Pensionsalter stärker ansteigen sollte, in Zusammenhang mit der steigenden Lebenserwartung, und wir sagen auch, dass Invaliditätspensionen reduziert werden sollten. Österreich ist dem teilweise entgegengekommen. Es gibt dieses fit4work Programm, für unter 50-Jährige ist es nun fast unmöglich eine Invalidenpension dauerhaft zu bekommen. Das war früher ja möglich, dass sich Leute mit 45 Jahren endgültig aus dem Arbeitsmarkt verabschiedet haben. Beim Frauenpensionsalter wird uns immer gesagt, das ist nicht machbar, weil man dafür eine Verfassungsänderung benötigt und die Regierung sieht gegenwärtig keine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Ein anderer Bereich ist das Gesundheitswesen. Österreich hat sehr viele strukturelle Probleme im Gesundheitswesen. Wenn wir die OECD-Studie aber auch andere Studien anschauen, dann sehen wir, dass Österreich mit am meisten in sein Gesundheitssystem hinein steckt. Wenn man das mit der Größe des Landes in Zusammenhang bringt, bekommt es relativ wenig dafür heraus, für diese hohen Ausgaben im Gesundheitswesen. Es gibt jetzt vielerlei Gründe. Der wichtigste Grund ist natürlich die Lebensweise der Österreicher, die vielleicht nicht so gesund ist wie die anderer Länder. Weil im EU-15-Vergleich sieht Österreich sehr schlecht aus, im EU-28-Vergleich sieht Österreich natürlich besser aus. Man kann jetzt Länder wie Ungarn, die mit eine der niedrigsten Lebenserwartungen haben, schwer vergleichen, aber wo man sie vergleichen kann und das sehen wir auch relativ deutlich in einem West-Ost-Gefälle, ist, dass die Lebenserwartung in Tirol, in Vorarlberg, deutlich höher ist wie im Burgenland. Ein Grund liegt mit Sicherheit im Lebensstil der Österreicher, der volkswirtschaftlich teuer ist. Ein zweiter Grund liegt aber auch darin, dass in der österreichischen Spitals-/Ärztelandschaft sehr viele Doppelgleisigkeiten bestehen, sehr viele Ineffizienzen da sind. Das fängt an bei Spitälern, die irgendwo auf Landesebene geplant werden, wo im Prinzip der primäre Grund nicht der ist, gesundheitspolitisch das Bestmögliche für Patienten herauszuholen, aber wo andere Interessen hineinkommen, arbeitsmarktpolitische Interessen, weil wenn ich Landeshauptmann bin, dann ist das sehr schön, wenn ich ein neues Spital eröffnen kann, das schafft Arbeitsplätze, auf der anderen Seite profitiert aber nicht der Patient davon. Es ist ja bekannt, dass je höher eine Fallzahl ist, die ein Spital hat, je öfter jemand eine Operation macht, umso gesünder kommen dann die Patienten raus. Wenn eine Operation nur 20 Mal im Jahr gemacht wird in irgendwelchen Provinzkrankenhäusern, nur um nah am Bürger zu sein, dann ist das teuer, führt zu Fehlbehandlungen, ist ineffizient, weil teilweise große Häuser nicht ausgelastet sind. Da müsste man mit Sicherheit drüber nachdenken. Und was wir auch sehen, ein weiteres Problem der österreichischen Spitalszentrierung ist, dass die Leute wegen Banalitäten ins Spital laufen, weil keine gute flächendeckende Versorgung mit Kassenärzten da ist. Ein Besuch im Spital kostet grob gesagt 70 Euro, ein Besuch beim Kassenarzt sieben Euro. Insofern wäre es sinnvoll die Spitäler a) zu spezialisieren und b) aber auch die Spitäler nur dafür zu nutzen, was sie auch tatsächlich besser machen können wie ein niedergelassener Arzt und deshalb sollte man die Richtung gehen, dass man dort umdenkt. Es gibt ja die österreichische Gesundheitsreform, die wir positiv begrüßen, da ist aber nur darin enthalten, dass man den Kostenanstieg dämpfen möchte, von 5,2 Prozent jährlich auf 3,6 Prozent. Das erreicht man relativ einfach, weil die Zahlen vielleicht auch ein bisschen zu dramatisch gesehen worden sind. Das ist eine Entwicklung, die man prognostiziert hat und da sagt man, man möchte unter dieser Entwicklung bleiben und legt einfach einen niedrigeren Prozentsatz fest. Jedes Bundesland hat jetzt eine andere Gesundheitsstruktur - natürlich kann man Tirol mit den Bergen nicht vergleichen mit Niederösterreich, das Wien im Herzen hat, mit sehr vielen Spitälern und deswegen überlegt sich jetzt jedes Bundeland einzeln wie man diese Ziele umsetzen kann. Da gibt es Zielsteuerungskommissionen, usw. Das wäre also das Gesundheitssystem, wo man viel Geld einsparen könnte, was dann auch strukturell wirksam ist.
In der Bildungspolitik könnte man auch mit Sicherheit einiges effizienter gestalten. Haben wir auch in den Empfehlungen drin. Wir sehen auch, dass das Potential von Frauen in Österreich unzureichend genutzt wird, es gibt das dritthöchste gender pay gap in Österreich, die Beschäftigungsquote von Frauen in Vollzeitäquivalenten ist schlecht. Das hängt damit zusammen, dass Frauen vorrangig in Teilzeitbeschäftigung sind. Sie sind aus drei Gründen in Teilzeitbeschäftigung: zum einen gibt es zu wenig Kinderbetreuungsplätze, da ist Österreich ganz unten, insb. bei den unter 3-jährigen, ein anderer Grund ist, dass das österreichische Steuersystem da auch wenig hilfreich ist. Bis 11.000 Euro zahlt man nichts, d. h. viele in Teilzeit zahlen keine Steuern, und dann, wenn man anfängt mehr zu arbeiten, geht es brutal los mit 36,5 Prozent. Das hat auch die Politik mittlerweile erkannt, die Steuerreform, die mehrfach diskutiert wird, soll ja gerade den Einstiegssteuersatz senken. Es gibt viele Bereiche, wo Reformen notwendig sind, die sich dann auch letztendlich positiv auf die Budgetlage auswirken.
public: Wie schätzen Sie die österreichische Politik ein? Glauben Sie, dass es realistisch ist, dass sich jetzt wirklich etwas bewegt und dass diese Reformen wirklich kommen? In der Bevölkerung ist ja schon ein sehr großer Frust da und die Institutionen sind sich auch durchaus bewusst, dass sich etwas tun muss?
Fähndrich: ECFIN hat eine Studie gemacht "Inwieweit reagieren Mitgliedstaaten auf diese Empfehlungen?" Und sie reagieren schon. Hier wird ein Prozentsatz von 40 genannt, Österreich liegt da relativ gut in der Implementierung, das ist natürlich schwer messbar. Teilweise werden die Sachen schon angegangen. Es gibt Bestrebungen im Kindergartenbereich mehr Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen, das steht auch im Regierungsprogramm drin, es steht auch drin, dass das effektive Pensionsalter auf 60 Jahre bis 2018 steigen soll. Ich glaube ohne diesen Druck, ohne das Europäische Semester, würde weniger geschehen. Natürlich wird das nicht von heute auf morgen perfekt sein, das sind kleine Schritte. Aber es ist wichtig, ständig den Dialog zu fördern, deswegen haben wir auch dreimal innerhalb eines Semesters einen Dialog mit der Bundesregierung. Der findet in Brüssel statt. Das läuft über die Ständige Vertretung. Dort diskutieren wir auch die Implementierung der Länderreformen und wenn Sie sich den Haushaltsentwurf angeschaut haben, der nach Brüssel geschickt wurde, dort ist ein Anhang, was von unseren Vorschlägen implementiert worden ist. Also es ist schon so, dass Mitgliedstaaten dem Bedeutung beimessen. Wenn wir Spielraum haben beim Stabilitäts- und Wachstumspakt, ist es natürlich ein Unterschied in der Betrachtung, ob ein Land Reformen umsetzt oder wenn ein Land genau das Gegenteil davon macht.
Wir haben ja eine gewisse Flexibilität, wie signifikant ist diese Abweichung. Wir haben die Pläne erstmal alle akzeptiert. Alle Länder bemühen sich, Schritte in die richtige Richtung zu setzen, das sind teilweise kleine Schritte, teilweise aber auch große Schritte. Wir sehen z. B. die stärkste Implementierung unserer Vorschläge haben wir im Bereich der Banken. Das brennt, da muss man schnell mit viel Löschwasser kommen, weil sonst die Milliarden versenkt sind. Wir sehen es in Irland. Ein Land das bei einer Staatsverschuldung von 40 Prozent war, einer der niedrigsten in Europa, das explodiert auf einmal und geht über 100 Prozent. Wir sehen es auch bei der Hypo. Ich war ganz erstaunt, ich hatte den Medien entnommen, dass der Kaufpreis in der Größenordnung von 200 Millionen sein soll, letztes Jahr war dieses Osteuropanetzwerk angeblich - lt. Buch - meistens wird ja mehr als der Buchwert bezahlt, 1,5 Milliarden wert. Also man sieht, bei Banken ändern sich die Zahlen im Minutentakt und deswegen ist es da besonders wichtig, schnell Reformschritte zu setzen. Und da sehen wir die stärkste Implementierung in dem Bereich. Wir sehen auch eine starke Implementierung bei den Budgetzielen, weil es da eben im schlimmsten Fall Konsequenzen geben könnte. Wobei unsere Politik ist, wir möchten nicht strafen, aber dadurch, das die Perspektive da ist, vermeidet ja auch jeder diesen Weg zu gehen. Es hat heuer auf EU-Ebene noch keine einzige Sanktion gegeben. Aber ich glaube, wenn man jetzt sagen würde, das hat keinerlei Konsequenzen, wenn man sich daneben benimmt. Das ist so, die meisten Menschen begehen ja keine Straftaten. Wenn man jetzt sagen würde, es wird eh niemand bestraft, wenn man im Geschäft stehlen würde, dann würde der ein oder andere vielleicht sagen, ja die neuen Schuhe gefallen mir gut, die nehme ich mit. Man braucht das im Prinzip, damit man es nie anwenden muss.
Arbeitsmarkt und Pensionen
public: Kommen wir zurück zu den Pensionen, weil Sie diese erwähnt haben. Österreich zählt innerhalb der EU zu den Ländern mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit. Wir führen hier sogar regelmäßig die Statistik an, auch wenn kritisiert wird, dass die offizielle Quote nicht alle Menschen miteinbezieht, die wirklich gerne arbeiten würden. Aber ist es nicht so, dass wenn man jetzt das Pensionsalter massiv anheben würde, auch die Arbeitslosenquoten steigen würde?
Fähndrich: Dieses Argument höre ich vielfach. Es geht davon aus, dass im Prinzip der Arbeitsmarkt wie ein großer Kuchen ist. Wenn der eine mehr Kuchen isst, dann kriegt der andere weniger vom Kuchen. Allerdings zeigen das alle Studien, dass dem nicht so ist. Wir haben keinen statischen Arbeitsmarkt, Arbeitsmärkte verändern sich und man kann nicht sagen, wenn jemand der alt und qualifiziert ist, der für seinen Betrieb einen gewissen Wert hat, dass ein Junger genau diesen Job ausfüllen kann. Wir haben ja auch in Österreich mittel- und langfristig sogar einen Bedarf an Arbeitsplätzen. In vielen Bereichen suchen Firmen qualifizierte Leuten, im technischen Bereich, im naturwissenschaftlichen Bereich und insofern funktioniert diese statische Betrachtung nicht. Wenn man sich mit dem AMS unterhält. Wir haben in Österreich einen Bedarf an qualifizierten Jobs, dort ist die Arbeitslosigkeit auch niedrig. Die Arbeitslosigkeit ist ja nur im low skill Bereich hoch. Österreich ist aber kein Land, dass sich im low skill / low cost Bereich positionieren kann. Österreich kann nicht mit Ländern wie China, wie Indien, die in diesem Billiglohnsektor sind, konkurrenzieren. Man braucht die besten Köpfe, das Potential der besten Köpfe muss man auch entsprechend nutzen. Und zu den besten Köpfen gehören ja auch Frauen, deren Potential teilweise auch verschwendet wird. Wenn man sich vorstellt, eine Frau, die eine exzellente akademische Ausbildung macht, bekommt ein Kind, dann findet sie keine adequate Kinderbetreuungseinrichtung. Ich habe eine Weile in Belgien gelebt, da funktioniert das ab vier Monaten wunderbar. Es wird hier ja niemand gezwungen. Es wird von einigen Seiten behauptet, man wolle den Müttern die Kinder wegnehmen. Das entscheidet jede Frau für sich selber. Aber es gibt ja in Österreich das Angebot nicht, das ist das Problem. Es gibt genug Frauen, die sagen "Ich will das und das ist mein Lebensmodell. Ich habe Spaß am Arbeiten, ich möchte mich da verwirklichen." Da muss man dann auch akzeptieren, wenn eine Frau ihren einjährigen Sohn in eine Betreuungseinrichtung gibt. Aber wir sehen ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem was ist und dem was nachgefragt wird. Die haben lange Wartelisten, da muss man die Kinder vor der Geburt anmelden, damit man einen Betreuungsplatz für ein Unter-3-Jähriges bekommt und das in Wien. Wien hat hier noch die beste Situation. Ich weiß in vielen Gegenden am Land, da gibt es keine Kinderbetreuungseinrichtungen. Wenn ich mich dann mit Bürgermeistern unterhalte, heißt es: Wir wollen ja gar nicht, dass die Frauen arbeiten gehe. Stellen Sie sich vor, ich habe das öfters gehört, wir leben hier, ich will jetzt nicht sagen, wo das jetzt ist, wir leben hier in einem Tal, der Mann pendelt in die nächste größere Stadt aber die Familie lebt hier, hat hier ihr Haus und wenn die Frau auch pendeln würde, dann würden die beiden schnell auf die Idee kommen, warum ziehen wir nicht gleich in die große Stadt, warum bleiben wir dann noch hier auf dem Land, wenn wir beide tolle Jobs haben. Dann ist die Angst da, dann würden Täler verwaisen. Es sind teilweise auch andere Ängste hinter diesen ideologischen Überlegungen, die sehr stark ausgeprägt sind im deutschsprachigen Bereich, in Deutschland auch. In Bayern hat es die CSU geschafft die sogenannte Herdprämie einzuführen. Die Niederländer haben auch ein ähnliches Modell. Das ist so klassisch für diese drei Länder, die irgendwo meinen ein Kind von unter drei Jahren gehört zur Mutter. Das führt aber dazu, dass gewisse Karrieren für Frauen nicht möglich sind. Wenn man drei Jahre aus dem Beruf raus ist, der Teilzeitarbeitsplatz geht sich immer aus, den bekommt man immer, da kann man auch das zweite und das dritte Kind bekommen, aber dadurch wird sehr viel Potential von Frauen nicht effizient genutzt. Das ist aus unserer Sicht ein Grund. Wir sehen es dann auch später bei den Pensionen. Die Frauen erwerben unzureichend Alterspensionsanrechte. Hier spiegelt sich auch teilweise die katholische Struktur des Landes wider, die vom 19. Jhd. ausgeht, wo es keine Ehescheidungen gab und da ist es ja egal, ob eine Frau nun eine Pension bekommt oder nicht. Der Mann bekommt ja später eh eine. Hier muss man sagen, die Zeiten ändern sich.
Das sind grundlegende Dinge. Wenn die Kinderbetreuungseinrichtungen da sind, kann eine Frau selber entscheiden, gehe ich arbeiten oder nicht. Der gesetzliche Kündigungsschutz beträgt zwar in Österreich zwei Jahre, aber wenn die vorüber sind und kein Kindergartenplatz zur Verfügung steht, steht man gegebenenfalls vor der Tür. Das sind gesetzliche Regelungen, die nicht gerade dazu führen, dass Frauen sich entwickeln können. Es muss ja nur das Angebot da sein. Da muss man auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Die Qualität in den Kindergärten muss besser werden. Es gibt Studien, die besagen, dass Österreich hier relativ weit unten liegt. Bei der Kindergartenqualität beispielsweise liegt Österreich bei den EU-15 an letzter Stelle: die Gruppen sind zu groß, die Öffnungszeiten sind nicht arbeitsmarktrelevant, die Ausbildung ist unter dem Niveau, das man in Skandinavien hat, wo das akademisiert ist, wo Leute in den Kindergarten gehen, die auch über Ernährung Bescheid wissen, über Spiele, wie Kinder frühzeitig gefördert werden können. Prof. Keuschnigg hat in einer Studie gezeigt, die ganz interessant war, wenn man ganz früh ansetzt, hat das den Wert von einem Schuljahr, das man dadurch gewinnen kann. Man kann auch dieses Potential der Kinder spielerisch nutzen, indem man gute qualifizierte Pädagogen in den Kindergärtner hat. Nicht wie es in Österreich teilweise ist, da sind es riesige Gruppen, da ist ein Pädagoge, dann sind das teilweise ungelernte Hilfskräfte, die im Prinzip nichts anderes machen, als aufzupassen, dass sich die Kinder nicht prügeln oder vom Tisch runterfallen.
Mix aus Verantwortung und Entscheidung
public: Woran liegt es, dass Reformen hierzulande so schwer umzusetzen sind?
Fähndrich: Es ist auch schwieriger in Österreich solche Veränderungsprozesse anzustoßen durch die föderale Struktur des Landes. Österreich hat sehr viele Doppelgleisigkeiten, entweder ich habe ein System wie die Schweiz, da haben die Kantone mehr Kompetenzen wie die österreichischen Bundesländer, wo Verantwortung und Entscheidung klar ist, aber hier ist ein Mix aus Verantwortung und Entscheidung, was dazu führt, dass man den schwarzen Peter immer dem anderen zuschiebt und dadurch blockiert sich auch vieles. Wir sehen das auch im Bereichen, die wir jetzt nicht unbedingt monitoren, wie die Reform des österreichischen Bundesheeres. Da ruft der Landeshauptmann X, die Musikkapelle muss bleiben, da kann man natürlich keine Politik aus einem Guss machen. Wenn zu viele Partikularinteressen berücksichtigt werden müssen, dann kommt am Ende irgendwie kein überzeugendes neues Gebäude heraus, bildlich gesprochen, sondern etwas, das gar keinen Sinn macht, weil jeder berücksichtigt werden möchte. Wir sehen das insb. in den Bereichen, wo die Länder Kompetenzen haben, Gesundheitspolitik, Kinderbetreuung, Bildungspolitik, genau da sehen wir, dass diese Bereiche nicht weitergehen. Wir sehen es auch immer in diesem bilateralen Gespräch, dass die Bundesregierung sagt, ja das ist Länderkompetenz, da können wir nichts machen. Auf Länderebene ist es sehr schwierig durchzudringen. Wir werden jetzt auch stärker im Europäischen Semester in die Bundesländer gehen, um da diese Diskussion anzustoßen, um da zu sagen, dass ist nicht nur ein Thema in der Beziehung EU - Republik Österreich, aber ein Thema für die einzelnen Bundesländer, diese Empfehlungen stärker zu kennen, umzusetzen und dort auch darüber Diskussionen zu haben. Wenn keine Diskussionen stattfinden, dann gibt es keinen entsprechenden Druck in den Ländern, das war immer so und was immer so war, da regt sich auch niemand auf. Es wird einfach hingenommen.
public: Glauben Sie, dass das teilweise eine Frage der Generation ist?
Fähndrich: Ich sehe, dass es schon Änderungen gibt. Ich bin demnächst in Vorarlberg, um das zu diskutieren, da haben wir ja eine neue Regierung. Wir haben eine veränderte politische Landschaft. Wir begrüßen keine bestimmten politischen Parteien. Aber Österreich ist doch nicht so statisch, wie man lange Zeit gedacht hat, wo es immer nur Große Koalitionen gibt. Jetzt gibt es, glaube ich, in sechs österreichischen Bundesländern, die Grünen, die mitregieren, die in ihrem Programm sehr stark das Thema Kinderbetreuung mitreinbringen. Wenn ich mir das neue Vorarlberger Programm anschaue, da sind auch Aspekte drinnen, die im Sinn unserer Empfehlungen sind, auch in Tirol setzt man auf das Thema Kinderbetreuung. Grad in den westlichen Bundesländern gibt es viele Punkte in der Bildungspolitik, wo wir auch sagen, es ist zu früh, bei 10-jährigen den beruflichen Weg festzulegen. Zu sagen, der eine wird Handwerker und der andere wird Universitätsprofessor, das muss man später machen. Davon sind wir überzeugt, ohne dass wir die Gesamtschule wollen, aber wir müssen ein System haben, dass die Fähigkeiten von Kindern besser entwickelt. Österreich braucht gut ausgebildete Menschen, um ein Arbeitskräftepotential zu haben, um im Jahr 2020, 2030 wettbewerbsfähig zu sein, um diesen hohen Lebensstandard sichern zu können.
Wenn man sich die Statistik ansieht, dann ist es schon so, je höher die Ausbildung, umso niedriger ist die Arbeitslosigkeit. Es muss auch nicht jeder studieren. Aber man sollte relativ spät im Schulsystem entscheiden, in welche Richtung man geht. Mit 10 Jahren kann man Kinder nicht richtig einordnen. Die, die aus besser gestellten Elternhäusern kommen, die das entsprechende Geld haben, deren Kinder gehen auch weiter, wenn sie schlecht sind, die bekommen Nachhilfe, die werden so getrimmt, dass sie doch die Matura machen, dass sie doch ein Studium abschließen, aber bei denjenigen, die nicht über diese finanziellen Mitteln verfügen, da entgehen, glaube ich, einige Potentiale.
Das wird man auch nicht von heute auf morgen ändern können. Es muss nur in die richtige Richtung gehen. Eltern haben generell ein Interesse daran, dass aus ihren Kindern etwas wird. Teilweise gibt es auch Studien, wenn Eltern selber eher schlechtere Jobs haben, dann herrscht die Meinung, was für mich gut genug war, muss auch für dich gut genug sein. Da ist es dann umso wichtiger, dass diese Kinder frühzeitig in einem Kindergarten sind. Da stellt man dann fest, vom Kindergarten profitieren nicht in erster Linie diejenigen, die viel Geld haben. Es profitieren die Kinder, die eine positive Sozialisierung durch den Kindergarten früh erfahren. Die sagen dann von sich aus, ich will aber gerne lernen, mir macht das Spaß, Bücher zu lesen, Mathematik macht mir Spaß und wenn sie selber das Bestreben entwickeln und dann in der Schule entsprechend gefördert werden, dann wird der ein oder andere, der es heute nicht wird, vielleicht einmal Universitätsprofessor oder Top-Forscher oder entwickelt neue Produkte, die wiederum Wohlstand und Arbeitsplätze nach sich ziehen. Es geht ja einiges in die richtige Richtung in Österreich. Ich war bei diesem European Institut for Technology in Klosterneuburg. Das ist ein Campus, wo man schon sagen kann, da hat man Spitzenforscher, die auch ideal fördert werden. Solche Ausgaben in Forschung und Bildung zahlen sich immer aus. Da muss man aber in Details reingehen. Wenn man zu wenige Studienplätze hat, von etwas das Sinn macht. In Deutschland gibt es z. B. zu wenig Medizinstudienplätze, was dazu führt, dass die Deutschen nach Österreich gehen, was hier nicht unbedingt zur Freude beiträgt. Auf der anderen Seite gibt es Fächer, die nicht im Numerus Clausus sind wie Jura, das kann man studieren, das ist aber ein billiges Studium. Die Länder weigern sich, teure Medizinstudienplätze zur Verfügung zu stellen. Dabei weiß man, Mediziner sind immer gefragt. Alle reden von Medizinermangel in Österreich, in Deutschland, es gibt kaum arbeitslose Mediziner. Ich selber habe nach meinem Studium in der Pharmaindustrie gearbeitet und wir haben dort händeringend versucht, Mediziner zu bekommen, für klinische Studien. Es gibt diverse Aufgaben, wo ein Medizinstudium hilfreich ist, aber man findet diese Mediziner nicht. Die sind alle so gefragt, warum kann man nicht mehr Studienplätze in Medizin anbieten? Das gehört auch in die Debatte rein, damit die Leute adequat, für die Bedürfnisse des zukünftigen Arbeitsmarktes ausgebildet sind.
public: Glauben Sie, dass man das planen kann?
Fähndrich: Man kann das nicht planen, die ganzen Pläne stimmen meist nicht. Man kann hier nur ein Bewusstsein schaffen. Ich würde aber nicht jungen Leuten empfehlen, irgendetwas zu studieren, weil irgendeine Statistik sagt, in zehn Jahren brauchen wir diese Leute. Weil diese Statistik nicht stimmen muss. Wir haben so große Veränderungen in der Weltwirtschaft, in der Angebot- und Nachfragestruktur, das ist von so vielen unbekannten Variablen abhängig. Vor einigen Jahren hat man z. B. gesagt, Informatik sei eine Goldgrube. Aber niemand hat bei den Studien daran gedacht, nur an den begrenzten deutschen Markt. Niemand ist auf die Idee gekommen, dass man das auch relativ leicht in Indien programmieren lassen kann, wo es viel billiger ist. Diese Luxusgehälter für Informatik haben sich dann auch nicht in dem Maße realisiert, wie man es prognostiziert hat. Planung ist da schwer machbar. Dasselbe gilt für den Zyklus bei den Lehrern, das gibt es nicht nur in Österreich, das gibt es auch in Deutschland und vielen Ländern. Wenn es zu viele Lehrer gibt, dann gehen sie woanders hin. Diese Lehrer wurden dann teilweise umgeschult, bspw. als Bürokaufleute und dann hat man gesehen, der Nachbar hat Lehramt studiert und der sitzt jetzt im Büro und macht Buchhaltung. Dann haben alle gesagt, so will ich nicht enden. Das hat sich herumgesprochen, dann hat niemand mehr Lehramt studiert und auf einmal war gar keiner mehr da, übertrieben gesagt. So was ist alles schwer planbar. Die Leute denken aus unterschiedlichen Motiven heraus, bei Berufsentscheidungen muss man mit solchen Planungen vorsichtig sein.
Wachstum
public: Wie sehen Sie das Wirtschaftswachstum in nächster Zeit?
Fähndrich: Wir haben jetzt eine deutliche Reduktion in der Prognose für dieses Jahr vorgenommen, von 1,7 Prozent auf 0,8 Prozent, für nächstes Jahr hatten wir auch 1,7 Prozent, in der Wifo-Prognose drin, jetzt ist das auch revidiert worden auf 1,2 Prozent, also deutlich weniger. Es ist schwer abschätzbar. Wir sehen jetzt keine eindeutigen Driver, außer dass es hochgehen wird. Man kann nicht einfach sagen, wir warten ab und der Aufschwung kommt. Man muss sich den Aufschwung erarbeiten, man muss hier Rahmenbedingungen in Europa setzen, die dafür sorgen, dass a) einerseits Vertrauen da ist auf den Finanzmärkten, Vertrauen der Investoren, dass wir hier keine Abwanderung erleben, dass Arbeitsplätze woanders verlegt werden, denn das geht schneller als man denkt. Und b) die Politik kann das Wachstum auch nicht planen, aber sie kann stabile Rahmenbedingungen setzen. Diese Rahmenbedingungen, glaube ich, sind auch die, die im Europäischen Semester genannt werden. Österreich hat ja noch eine sehr gute Unternehmenslandschaft, sehr wettbewerbsfähige Unternehmen. Sie haben Probleme in Frankreich, in Italien, wo die Wettbewerbsfähigkeit deutlich abgenommen hat. Wir sehen aber auch in Deutschland, wo es für einige einen völlig überraschenden Einbruch gegeben hat, dass die deutschen Unternehmen, die sehr gut aufgestellt sind, zu wenig investieren. Auch da muss man jetzt in die Zukunft investieren. Da muss man jetzt in Forschung Geld stecken, dass sich vielleicht erst in zehn Jahren amortisiert. Inwieweit wir jetzt die Weichenstellungen richtig setzen, werden wir auch die Früchte ernten, aber wir müssen erst säen, bevor dann die guten Zahlen kommen. Da kann man schlecht prognostizieren.
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