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Die steigenden Pflegekosten bereiten vielen Gemeinden Sorgen, nicht nur hierzulande sondern auch in unseren Nachbarländern. So beispielsweise in der Schweiz, wo die Finanzierung der Pflege von Kanton zu Kanton recht unterschiedlich geregelt ist. Manche Gemeinden kommen noch gut damit zurecht, andere weniger. Von Agnes Kern
Die Schweizer werden immer älter. Das bestätigt ein Szenario, das das Schweizer Bundesamt für Statistik für die Jahre 2020 bis 2060 erarbeiten ließ. Zum einen wird erwartet, dass die Schweizer Bevölkerung von derzeit 8 Mio. Einwohnern auf rund 8,9 Mio. im Jahr 2040 wachsen wird. Zum anderen wird der Anteil der unter 20-Jährigen leicht zurückgehen, während sich der Anteil der über 65-Jährigen im Schweizer Durchschnitt von 17,4 Prozent (Jahr 2012) der Gesamtbevölkerung auf 26,9 Prozent (2040) erhöhen wird. Gemäß diesem Szenario wird sich außerdem der Anteil der über 80-Jährigen im gleichen Zeitraum von fast 5 Prozent auf 9,7 Prozent de facto verdoppeln. Die Hauptgründe für diese Entwicklungen liegen in der steigenden Lebenserwartung, im Geburtenrückgang sowie der anhaltenden Zuwanderung. Je älter die Schweizer aber werden, desto teurer wird auch das Pflegesystem. Hinzu kommt, dass außerdem auch die Ansprüche der Betroffenen steigen. Laut Bundesamt für Statistik kosten derzeit die Alters- und Pflegeheime sowie „Spitex“ (Abk. „Spitalexterne Hilfe und Pflege“, d.h. „ambulante Pflege“) jährlich rund 11 Milliarden Franken. Experten schätzen, dass sich diese Kosten in den kommenden 15 Jahren verdoppeln werden.
Neuordnung der Pflegefinanzierung
Die Frage, welchen Anteil Patienten, Krankenkassen und Staat zu tragen haben, beschäftigt die Politik schon seit längerem und wurde zuletzt mit Inkrafttreten der Neuordnung der Pflegefinanzierung am 1. Januar 2011 geregelt. Demnach teilen sich die Pflegekosten drei Akteure die Krankenkassen, die Pflegebedürftigen und die öffentliche Hand. Je nach Pflegebedarf bezahlt die Versicherung einen festgelegten Beitrag und die versicherte Person übernimmt bis zu 20 Prozent des höchsten vom Bundesrat festgesetzten Beitrages. Wer von Seiten der öffentlichen Hand für die sogenannte Restfinanzierung aufkommt, regeln die Kantone. Ziel der Neuordnung der Pflegefinanzierung war es, das Gesundheitssystem für die demographische Entwicklung zu wappnen.
Versorgungslücke im Bereich der ambulanten Pflege
Bereits im Sommer 2015 stellte aber der Basler Uniprofessor und Gesundheitsökonom Stefan Felder in einer Studie fest, dass der Schweiz bis 2035 eine Kostenexplosion und eine Versorgungslücke im Bereich der ambulanten Pflege droht, wenn die Politik nicht gegensteuert. Denn Felder sieht eine 57-prozentige Zunahme der Pflegebedürftigkeit bis 2035. Allein die Pflege zu Hause als Alternative zum Pflegeheim bremst diese Entwicklung. Doch selbst in diesem Bereich rechnet der Experte mit einer Verdreifachung der Kosten bis 2035. Zudem prognostiziert die Studie eine Versorgungslücke in der ambulanten Pflege. Die Menschen werden nicht nur immer älter, sondern leiden oftmals an mehreren Krankheiten. Die Herausforderungen an die Pflege- und Betreuungsleistungen wachsen und lassen die Nachfrage nach Quantität und Qualität stetig steigen. Um die Versorgungslücke zu schließen und die Kostenexplosion einzudämmen fordert die Studie eine umfassende Reform (Subjekt- statt Objektfinanzierung, Pauschalvergütungen gemäß Leistungskatalog, freier Wettbewerb, Vollangebot aus einer Hand).
Wie wichtig eine umfassende Reform wäre, zeigen aber nicht nur die steigenden Kosten sondern auch viele ungelöste Probleme der letzten Reform. So ist beispielsweise auch die Restfinanzierung von Pflegeleistungen nicht ganz klar geregelt, insb. welcher Kanton bei einem außerkantonalen Pflegeheimaufenthalt dafür aufkommen muss: Jener, wo die versicherte Person ihren Wohnsitz vor dem Pflegeheimeintritt hatte oder jener, wo sich das Pflegeheim befindet?
Um zu verhindern, dass jene Kantone finanziell benachteiligt werden, in denen mehr Pflegeheimplätze zur Verfügung stehen, als für die eigene Bevölkerung benötigt werden, gilt in den meisten Kantonen, dass derjenige Kanton zuständig ist, in dem die versicherte Person vor Pflegeheimeintritt ihren Wohnsitz hatte. In zehn Kantonen entscheidet jedoch der aktuelle Wohnsitz der versicherten Person über die Zuständigkeit.
Aufgrund der steigenden Kosten gibt es auch Tendenzen, die Kosten auf die Pflegebedürftigen selbst umzuschichten. So verrechnen Heime Pflegekosten teilweise als Betreuungsleistungen - wie soziale Kontakte, begleitete Spaziergänge oder Weihnachtsfeiern im Heim, die die Bewohner selbst abdecken müssen. Gefordert wird daher mehr Transparenz bei der Aufschlüsselung der Kosten von Pflege und Betreuung.
Das Problem der Restfinanzierung
Aber auch in anderer Hinsicht gibt es zwischen den einzelnen Kantonen große Unterschiede. So gehört der Kanton Luzern zu jenen acht Kantonen, in welchen die Gemeinden die Restfinanzierung tragen müssen. Und das ist ein ziemlicher Brocken: Letztes Jahr beliefen sich die Kosten der 83 Gemeinden auf 108,3 Millionen Franken und lagen um rund 25 Mio. Franken höher als von der Regierung bei der Verabschiedung des Gesetzes im Kantonsrat prognostiziert worden war.
Das trifft dort insbesondere ländliche Gemeinden, in denen viele ältere Menschen leben. Sie werden durch die steigenden Kosten der Restfinanzierung „bestraft“. Dabei hat eine ländliche Lage durchaus auch ihre Vorteile. Viele alte Menschen werden hier von ihren Angehörigen gepflegt und bleiben dadurch vergleichsweise lange zuhause. Sie wechseln erst ins Heim, wenn die Angehörigen überfordert sind oder die Pflege aus medizinischer Sicht nicht mehr ausreichend abgedeckt werden kann. Laut Experten ließe sich das Problem lösen, indem der Kanton und nicht die Gemeinde die Restfinanzierung übernimmt, was derzeit in 14 Kantonen der Fall ist. Auf diese Weise würden die ungleichen Belastungen einzelner Gemeinden verschwinden und bei Bedarf könnten sie über den innerkantonalen Finanzausgleich ausgeglichen werden.
Derzeit noch keine Lösung
Eine der besonders betroffenen Gemeinden ist Werthenstein. Die rund 2.000-Einwohner Gemeinde liegt in der Region Entlebuch-Wolhuse (Kanton Luzern). Auch hier wird die ältere Generation in den nächsten 15 bis 20 Jahren stetig wachsen. Der Zuwachs wird zwar ungefähr dem schweizerischen Durchschnitt entsprechen, aber die jährlichen Pflegekosten haben sich seit 2011 von einer halben Million Franken inzwischen fast schon doppelt. Dies entspricht rund einem Sechstel der Steuereinnahmen von 5,3 Millionen. Und das obwohl nur zwei Prozent der Einwohner von Werthenstein einen Heimplatz benötigen. „Das ist einfach zu viel. Hinzu kommt, dass Werthenstein bereits heute einen hohen Steuerfuß von 2,4 Einheiten hat“, sagt SVP-Kantonsrat Bernhard Steiner aus Entlebuch. „Man kann nicht alle Kosten auf die Gemeinden abwälzen.“
Gemeinden unter Druck
Im Durchschnitt bezahlt eine Luzerner Gemeinde pro Einwohner und Jahr 213 Franken an die Pflegekosten. Wie hoch die tatsächlichen Kosten ausfallen, ist vor allem für kleinere Gemeinden schwer einzuschätzen Ein Pflegefall der höchsten Stufe zwölf kostet eine Gemeinde bis zu 140 Franken täglich. Einige wenige Pflegefälle können das Budget daher bereits ordentlich unter Druck setzen. Am 15. November wurde daher über eine Initiative zur Pflegefinanzierung des überparteilichen, SVP-nahen Komitees abgestimmt, die verlangte, dass sich der Kanton zu 50 Prozent an den Kosten der Gemeinden für Pflegeleistungen der Spitex und der Pflegeheime beteiligt. Die Regierung, der Kantonsrat und die Grünen lehnten die Initiative jedoch ab, da sie einen Mehraufwand von 54 Millionen Franken pro Jahr für den Kanton bedeutet hätte.
Die Kosten wären nur von den Gemeinden zum Kanton verschoben worden und hätten nicht zur Lösung der steigenden Pflegekosten beigetragen. Damit hätte die Initiative die Aufgabenteilung Kanton-Gemeinden aus dem Gleichgewicht gebrächt und hätte seinerseits den Kanton zu Steuererhöhungen und Sparpaketen gezwungen. Der Kanton habe in der Spitalfinanzierung deutlich höhere Mehrkosten zu tragen als die Gemeinden in der Pflegefinanzierung, so die Begründung. Die Verteilung der Kosten zwischen Gemeinden und Kanton müsse zudem im Rahmen der Finanzreform 2018 in einer Gesamtschau betrachtet werden. Außerdem meinte Gesundheitsdirektor Guido Graf bereits im Vorfeld der Abstimmung: „Die Initiative fordert eine Kostenbeteiligung des Kantons, sieht aber keine Verbesserung der Kostensteuerung vor und löst deshalb auch das Problem der steigenden Pflegekosten nicht. Im Gegenteil: Die Verlagerung der Kosten von den Gemeinden zum Kanton reduziert für die Gemeinden den Anreiz, die Pflegeheime und Spitex-Organisationen zur wirtschaftlichen Leistungserbringung zu verpflichten.“ „Nachdem die Regierung innerhalb der verlängerten Behandlungsfrist von zwei Jahren keinen brauchbaren Gegenvorschlag ausarbeiten konnte, wird die Problematik weiter auf die lange Bank geschoben“, konterte Steiner. Die Herausforderungen werden vorerst also bestehen bleiben.
Um sich für die weitere Entwicklung zu wappnen, erarbeitete die Gemeinde kürzlich ein neues Altersleitbild, in dem sie zahlreiche Maßnahmen für die kommenden Jahre fixiert: Es umfasst Themen von der regionalen Mobilität, über Präventionsmaßnahmen, gesundheitsfördernde Aktivitäten und altersgerechte Wohn- und Unterstützungsmöglichkeiten bis hin zur Freiwilligenarbeit. Die Bevölkerung soll für eine rechtzeitige Auseinandersetzung mit dem Wohnen im Alter sensibilisiert werden. Außerdem erwägt die Gemeinde den Aufbau einer Informations- und Koordinationsstelle für ältere Menschen und ihre Angehörigen, um sie über Dienstleistungen, finanzielle Unterstützung und Entlastung zu informieren. Ein besonderes Augenmerk legt die Gemeinde auch auf die mittel- und langfristige Gewährleistung der hausärztlichen Versorgung. Einer der politischen Aufträge lautet auch die Spitäler in Wolhusen und Langnau langfristig zu erhalten.
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