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Ende April hat die Europäische Kommission einen neuen Aktionsplan zum Schutz von Natur und Biodiversität verabschiedet. Er soll den Regionen – den Menschen und der Wirtschaft – helfen vom Naturschutz zu profitieren.
Von Agnes Kern
Die Naturschutzrichtlinien zum Vogelschutz (1979) und zu Fauna-Flora-Habitat (1992) bilden die Eckpfeiler der Biodiversitätspolitik der Europäischen Union. Mit ihrer Hilfe wurde das größte Netz von Schutzgebieten – das Natura-2000-Netz – geschaffen. Derzeit umfasst es 18 Prozent der Land- und sechs Prozent der Meeresfläche der EU. Indem diese Ökosysteme mithelfen, Kohlenstoff zu speichern, Wasser zu reinigen und eine flächendeckende Bestäubung der Pflanzen sicherzustellen (Pollinisierung), und gleichzeitig Erholungsflächen für den Fremdenverkehr bieten, leisten sie einen Beitrag zum BIP der EU in Höhe von 1,7 bis 2,5 Prozent.
Warum ein neuer Aktionsplan?
Ziel des am 27. April 2017 verabschiedeten Aktionsplans ist es, einerseits die Biodiversität zu schützen und andererseits auch wirtschaftlich vom Naturschutz zu profitieren. So soll die Bewirtschaftung der Natura-2000-Gebiete verbessert, der Naturschutz und sozioökonomische Tätigkeiten enger verknüpft und dabei nationale Behörden, Interessenträger sowie junge Menschen eingebunden werden. Der Plan umfasst 15 Maßnahmen, die die Umsetzung der Vogelschutz- und der FFH-Richtlinie bis zum Jahr 2019 verbessern sollen.
Diese beiden Naturschutzrichtlinien wurden erst kürzlich einem sogenannten „Fitness-Check“ unterzogen (wie wir bereits in der ersten Online-Ausgabe public 1/17 berichteten) Die Schlussfolgerungen der Kommission bestätigten zwar, dass die Naturschutzrichtlinien ihren Zweck erfüllen. Um ihre Ziele zu erreichen und ihr Potenzial umfassend ausschöpfen zu können, wird darin jedoch gefordert, die Durchführung zu verbessern.
Daher wurde ein neuer „Aktionsplan für Natur, Mensch und Wirtschaft” erarbeitet. Das Projektteam umfasste zehn Kommissare und den Vizepräsidenten des Ausschusses der Regionen (AdR), Karl-Heinz Lambertz. Lambertz wurde hinzugezogen, da den regionalen und lokalen Behörden bei der Durchführung der Richtlinien eine zentrale Rolle zufällt. Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission und zuständig für eine bessere Rechtsetzung, meinte: „Wir haben diese Richtlinien gründlich überprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie ihrem Zweck gerecht werden. Nun sorgen wir dafür, dass sie ihr volles Potenzial beim Schutz und bei der Erhaltung der reichen Biodiversität Europas entfalten. Dies ist ein wertvolles Beispiel dafür, wie eine bessere Rechtsetzung die Wahrung der hohen Umweltstandards der EU verbessert.“
„Der Aktionsplan ist ein Schritt in die richtige Richtung. Als die Versammlung, die die Städte und Regionen Europas repräsentiert, werden wir die Durchführung des Plans unterstützen und die lokalen und regionalen Behörden aktiv beteiligen, um sicherzustellen, dass wir unsere Biodiversitätsziele bis 2020 erreichen.“ Karl-Heinz Lambertz, Vizepräsident des Ausschusses der Regionen |
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Was kommt?
Konkrete Maßnahmen sollen nun dafür sorgen, dass die Naturschutzrichtlinien besser umgesetzt werden können. „Wir schaffen eine solide Grundlage für die Vereinbarkeit von Biodiversitätserhaltung und Wirtschaftstätigkeiten, was auch Investitionen in unser Naturkapital umfasst. Unser Erfolg hängt von der intensiven Zusammenarbeit mit Interessenträgern ab, insbesondere mit den lokalen und regionalen Behörden“, erklärte der für Arbeitsplätze, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit zuständige Kommissar Jyrki Katainen.
Die 15 Maßnahmen konzentrieren sich auf vier Bereiche:
Erstens sollen Leitlinien, Wissen sowie die Vereinbarkeit mit allgemeineren sozio-ökonomischen Zielen verbessert werden.
Zweitens sollen die politische Eigenverantwortung gestärkt und Einhaltung der Rechtslage verbessert werden. Hierbei wird die Kommission mit nationalen und regionalen Behörden, Grundbesitzern und anderen Interessenträgern zusammenarbeiten, um die Durchführung zu verbessern und Probleme zu lösen.
Drittens sollen Investitionen in Natura-2000-Projekte gefördert und die Verwendung von EU-Fördermitteln verbessert werden. Die Kommission schlägt vor, das LIFE-Budget um zehn Prozent aufzustocken. Gleichzeitig sollen private Investitionen angeregt werden. Über die Finanzierungsfazilität für Naturkapital, eine Finanzierungspartnerschaft zwischen der Kommission und der EIB, sollen maßgeschneiderte Darlehen bereitgestellt werden. Darüberhinaus will man Synergien im Rahmen der GAP schaffen und Leitlinien zur Förderung grüner Infrastruktur erarbeiten, um beispielsweise auch Mittel aus Horizont 2020 ausschöpfen zu können.
Zu guter Letzt gilt es die Kommunikation mit Bürgern, Interessenträgern und Gemeinschaften zu verbessern. Über eine gemeinsame Plattform mit dem AdR will man den Wissensaustausch mit lokalen und regionalen Behörden fördern. Zudem können sich junge Menschen im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps für den Erhalt von Natur-2000-Schutzgebieten engagieren. Dazu Umwelt-Kommissar Karmenu Vella: „Der Aktionsplan enthält ehrgeizige Maßnahmen zur Verbesserung der Durchführung der Naturschutzrichtlinien. Für den wirksamen Schutz künftiger Generationen ist es unerlässlich, junge Menschen einzubinden. Genau dies macht unser Europäisches Solidaritätskorps. Die lokalen und regionalen Verwaltungen der Mitgliedstaaten können bei der Verwirklichung dieser und anderer für den Schutz unseres Naturerbes wichtiger Maßnahmen eine führende Rolle übernehmen.“
Stimmen der Anderen
Grundsätzlich wird der neue Aktionsplan vom Umweltdachverband und WWF als positives Signal für den Naturschutz bewertet. Zwei Kritikpunkte gibt es aber trotzdem. Einerseits seien zwar wichtige Themen adressiert, aber zu unkonkret ausgeführt worden. Und andererseits gebe es für Natur- und Umweltschutz weiterhin zu wenig Geld. Denn die Finanzierung der notwendigen Projekte und Maßnahmen bleibt weiterhin unklar. Der derzeitige EU-Haushalt decke nur ein Fünftel der Kosten ab, die auf 5,8 Milliarden Euro jährlich geschätzt werden.
„Knapp sechs Milliarden Euro, das klingt auf den ersten Blick nach viel Geld. Setzt man jedoch den Gegenwert aller Dienstleistungen der europäischen Ökosysteme – geschätzte 200 bis 300 Milliarden Euro – im Verhältnis zu diesen Managementkosten, wird deutlich, dass der Gewinn die Kosten um ein Vielfaches übersteigt. Die Finanzierungserfordernisse für Natura 2000 hätten im Aktionsplan viel eindeutiger adressiert werden müssen, um dem Thema Naturschutz in der Debatte über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU mehr Gewicht zu verleihen. Eine wichtige Chance, die dringende Notwendigkeit der Sicherstellung der Finanzierung für die Umsetzung hervorzustreichen und entsprechende Maßnahmen anzuleiten, ist damit vergeben“, so Gerald Pfiffinger, Geschäftsführer des Umweltdachverbandes.
Der WWF vermisst konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Biodiversitätsverluste durch Landwirtschaft, Energie und Verkehr. „Naturschutz sichert die Grundlage unseres Lebens, schafft Green Jobs, beugt Naturkatastrophen vor und ist eine vergleichsweise günstige Maßnahme, die Folgen des Klimawandels zu dämpfen. Es ist nicht zuletzt den EU-Naturschutzrichtlinien zu verdanken, dass viele beinahe ausgerottete Arten europaweit Comebacks feiern konnten und die Erhaltung naturschutzfachlich bedeutsamer Lebensräume im Natura 2000-Netzwerk für eine hohe Lebensqualität in Europa sorgt. Intakte Natur ist schließlich für uns alle von Bedeutung – ganze Wirtschaftszweige, wie etwa der Tourismus, profitieren von einer gesund erhaltenen Natur- und Kulturlandschaft“, betont Jurrien Westerhof, politischer Leiter des WWF.
Sie fordern die europäischen Regierungen auf, den Schutz der Natur in den anstehenden Reformen wichtiger EU-Agenden, beispielsweise der Gemeinsamen Agrarpolitik, voranzutreiben. „Dazu gehört etwa die Forderung einer Zweckwidmung von Geldern für Biodiversität. Nicht zuletzt sind vor dem Hintergrund der UN-Agenda 2030 (Sustainable Development Goals) Natur- und Umweltschutzbelange in den allgemeinen Verhandlungen des nächsten EU-Budgets verstärkt einzufordern – eine Verpflichtung, die auch Österreich betrifft“, so Pfiffinger und Westerhof.
Weitere Informationen:
Der Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft, COM(2017) 198 final, vom 27.4.2017 (deutsche Fassung)
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Der 21. Mai wird zukünftig im Zeichen des europäischen Naturschutzes stehen. Führende Mitglieder der Europäischen Kommission, des EU Parlaments und des Ausschusses der Regionen unterzeichneten am Mitte Mai eine Erklärung, die den 21. Mai zum "Europäischen Natura 2000 Tag" ernennt.
Bereits in diesem Jahr finden in ganz Europa eine Vielzahl an Veranstaltungen und Möglichkeiten zum Austausch statt. EU-Umweltkommissar Kamenu Vella bezeichnete die Natura 2000 Naturschutzgebiete als eine der größten Errungenschaften der EU: Ein Netzwerk von 27.000 geschützten Orten, die insgesamt mehr als eine Million Quadratkilometer über Land und Meer schützen. In Österreich gibt es mehr als 230 Gebiete, die etwas 15 Prozent der Gesamtfläche Österreichs ausmachen. Dazu zählen z. B. die Wachau, das Karwendel, das Ötscher-Gebiet oder das Lechtal.