©Stadt Wien/PID, Fotograf Christian Jobst
Was ist Ihre Bilanz nach rund 100 Tagen Städtebundpräsident?
Städte wie Wien, Graz, Linz – Wels oder Lienz haben eine gemeinsame Herausforderung: Sie wachsen stark und das Umland wächst mit. Über 70 Prozent aller Menschen leben in Stadtregionen, in absehbarer Zeit werden es 80 Prozent sein. Von Krankenhäusern bis Schulen, vom Öffentlichen Verkehr bis hin zur Abwasserentsorgung müssen die Stadt und ihr Umland mit diesem Wachstum mithalten. Das sind riesige Herausforderungen, die nur gemeinsam bewältigt werden können. Wien hat als Metropolregion und Hauptstadt natürlich eine andere Dimension, aber die Herausforderungen sind dieselben. Dazu brauchen wir nicht nur eine starke Vertretung gegenüber dem Bund, sondern auch innerhalb von Europa. Der Österreichische Städtetag in Feldkirch war für mich ein gelungener Einstieg in meine neue Funktion: Ich habe dort Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus ganz Österreich getroffen und konnte mich auf Augenhöhe austauschen. Es ist wirklich bemerkenswert, was der Städtebund seit Jahren leistet: es existiert ein enges, von Vertrauen getragenes Netzwerk, in dem Kommunalvertreterinnen und Kommunalvertreter Wissen und Erfahrungen teilen. Und zwar über Parteigrenzen hinweg. Ich bin froh über den Vertrauensvorschuss und bin mir sicher, dass dieses bestehende Netzwerk auch in schwierigen Verhandlungen im Sinne unserer Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner die allerbesten Ergebnisse bringen wird.
Auch die internationale Vernetzung des Städtebundes ist ein bestehendes, tragfähiges Konzept, auf das ich gerne immer wieder zurückgreife.
Sehr oft hat man den Eindruck, dass man Stadt gegen Land ausspielen will – die Gründe dafür sind vielfältig, wie sehen Sie diese Thematik im Zusammenhang mit Landflucht und Wachstum der Städte?
Es kann nicht darum gehen, Land gegen Stadt auszuspielen, denn das sind Kategorien, die längst nicht mehr existieren. Insgesamt sind die Menschen mobiler geworden, es ist daher unsinnig, Stadt gegen Land auszuspielen, denn es sind kommunizierende Gefäße. Wir müssen daher in Stadtregionen denken und das alte Kirchturmdenken endgültig vergessen.
Österreichische Städte haben teilweise finanziell sehr angespannte Situationen.Stichwort Pflegeregress, Kinderbetreuung usw. – was für Lösungen sind hier angedacht?
Städte sind finanziell unterschiedlich aufgestellt, weil die Mittelverteilung über die jeweiligen Bundesländer erfolgt und die Finanzströme teilweise auch dorthin zurückfließen – in manchen Bundesländern haben es die Städte und Gemeinden daher schwerer als in anderen. Und natürlich spielen Einwohnerzahl und Finanzkraft eine Rolle. Die finanzielle Situation der Städte ist aber auch deshalb angespannt, weil die Städte besondere Herausforderungen haben: Sozialer Wohnbau, soziale Unterstützung für Bedürftige, aber auch Kindergartenplätze und Schulplätze erfordern mehr Mittel. Städte bilden soziale Veränderungen besonders stark und besonders früh ab – Städte bieten also auch die Chance, innovative Lösungen zu finden.
Von 24.-26. September findet die internationale Konferenz „Child in the City“ statt - Jugendwohlfahrt im Wandel der Zeit, wie soll eine kinderfreundliche Stadt aussehen?
Eine kinderfreundliche Stadt ist eine menschenfreundliche Stadt: sie bietet autofreie Zonen und öffentlichen Raum, der konsumfrei genutzt werden kann - also Parks, Spielplätze, Sportplätze, freie Flächen. Es gibt aufsuchende Sozial- und Jugendarbeit, Parkbetreuung und Freizeitprogramme. Und ganz allgemein: wir sollten immer wieder die Kinder und Jugendliche selbst fragen, was sie brauchen und ihre Vorschläge in die Planung miteinbeziehen. Da sind oft Vorschläge dabei, die so einfach und bestechend sind, dass kein Stadtplaner je darauf kommen würde.
Sie wollen Wien als Digitalisierungshauptstadt Europas positionieren – wie soll dies gelingen und wie sollen kleinere Städte mit weniger Ressourcen diese Entwicklung bewerkstelligen?
Die Digitalisierung umfasst jetzt schon alle Lebensbereiche – von der Arbeitswelt über die Bildung bis hin zum gesellschaftlichen Miteinander. Ich denke, dass das eine große Chance für den Wirtschaftsstandort Wien und den Wirtschaftsstandort Österreich ist, die wir auch nutzen werden. Gerade in diesem Bereich ist es wichtig eine Brücke zu jenen zu schlagen, die dieses Tempo nicht mithalten können. Es darf zu keiner Vertiefung von sozialen Gegensätzen kommen, sondern wir müssen versuchen, alle Menschen auf diesen Weg mitzunehmen. Wir haben großartige Unternehmen in diesem Bereich, in Wien und in ganz Österreich.
Klar ist, dass einzelne Städte die Herausforderungen der Digitalisierung nicht alleine stemmen können. Hier geht es um Zusammenarbeit auf den unterschiedlichsten Ebenen. Städte, Gemeinden, Länder, Bund und Sozialpartner.
©Städtetag/Markus Wache Wachablöse: Michael Ludwig über nimmt am Städtetag Anfang Juni 2018 von Michael Häupl den Vorsitz
Superschnelles Internet fällt mittlerweile eigentlich unter Daseinsvorsorge und sollte auch so behandelt werden. Werden Sie das Thema Daseinsvorsorge, ähnlich Ihrem Vorgänger, Michael Häupl, ebenfalls forcieren?
Daseinsvorsorge ist ein sperriges Wort für all das, was die Spitzenqualität unserer Städte ausmacht: eine gute Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung, Müllabfuhr, aber eben auch die Anbindung an schnelles Internet. Selbstverständlich sind mir diese wichtigen Grundversorgungs-Leistungen ein essentielles Anliegen, vor allem aber, diese Angebote leistbar für alle anzubieten. Es ist auch wichtig, dass diese Leistungen in öffentlicher Hand bleiben.
Derzeit hat Österreich den EU Vorsitz inne. Setzt der Österreichischen Städtebund mit seinem Europabüro - in der ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel heuer besondere Schwerpunkte?
Während des EU-Vorsitzes plant der Österreichische Städtebund eine große internationale Konferenz von 7. -9. November in Wien, die gemeinsam mit dem Österreichischen Gemeindebund initiiert wurde. Dabei geht es um den Austausch aktueller kommunaler Fragen mit EU-Belang. Die Veranstaltung soll sich inhaltlich einerseits an den Prioritäten der Österreichischen Ratspräsidentschaft orientieren und zudem zeigen, dass Subsidiarität, Transparenz und Kooperation Garanten für ein zukunftstaugliches Europa sind. Die Kommunalverbände sind gelebtes Subsidiaritätsprinzip, denn sie geben den kleinen Einheiten dort Unterstützung, wo diese sie benötigen. Ziel der Konferenz ist unter anderem die Verabschiedung einer Erklärung, die in der Folgewoche auch bei der Subsidiaritätskonferenz in Bregenz einfließen soll. Denn den Worten der Erklärungen der Europäischen Räte müssen auch Maßnahmen folgen, die Kooperation und Vernetzung auf subnationaler Ebene ist nicht nur für die Umsetzung makroregionaler Strategien, sondern ganz generell für die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, das gegenseitige Lernen, die Vermittlung Europäischer Werte und die Schaffung von Lebensperspektiven und daher für die Zukunft Europas ein bedeutender Schlüssel.
Wien übernimmt die Koordination der EU Donauraum Strategie – das betrifft 14 Staaten im Donauraum und Westbalkan. Was bedeutet das für die Österreichischen Städte und Gemeinden?
Dass Wien nunmehr die Koordination der EU Donauraum-Strategie übernimmt, ist ein wichtiges Signal an die anderen Städte und Gemeinden in Österreich dafür, dass es künftig wichtiger sein wird, sich auf kommunaler Ebene auch international zu vernetzen. Gelebte Praxis dafür ist beispielsweise BACID, für das der Österreichische Städtebund soeben einen 3-Jahresvertrag mit der Österreichischen Entwicklungsagentur ADA abgeschlossen hat: Städte und Gemeinden sind aufgerufen, Projekte mit einer Partnerstadt einzureichen. Das ist ein gutes Beispiel für internationale Vernetzung auf kommunaler Ebene – ein Modell für die Zukunft.
Herzlichen Dank für die ausführlichen Antworten!